Seit am heutigen Dienstag einige junge Männer in der Innenstadt auftauchten, schwarze Fahnen mit arabischen Schriftzeichen schwenkten, eine Mordszene nachstellten und dabei so taten, als seien sie die Scharia-Polizei von Leipzig und angebliche ISIS-Anhänger gab es erstmal ein bisschen polizeiliches Rätselraten. Die Beamten waren nach einem Zeugenhinweis zu spät vor Ort, seither ermittelt die Kriminalpolizei. Eventuell hat sich die Schauspieltruppe nun jedoch selbst verraten, indem sie ein Foto eines Videos auf Facebook hochgeladen hat. Auf der Facebook-Fanpage der "Jungen Nationalisten Leipzig" (Die JN bei Facebook laut Eigenbeschreibung in der Bezeichnung) sieht man drei der vermummten Laiendarsteller aus der Nähe aufgenommen in Großaufnahme.
Der Grund für die Nahaufnahme und die öffentliche Darstellung von der Aktion im Netz könnte ein einfacher sein. Was nützt eine Aktion, bei welcher man sich erst mühevoll maskiert und vorbereitet, wenn sie letztlich kaum jemand wahrnimmt? Und ein bisschen angeben muss man da schon, will man auf sein Anliegen aufmerksam machen. Bei Neonazis spätestens seit der getarnten “Bürgerinitiative” gegen den Moscheebau in Leipzig-Gohlis sehr beliebt, dies anonym auf Facebook zu tun. Als die Betreiber der Seite dann die Unterschriften gegen den Moscheebau der Ahmadiyya-Gemeinde im Rathaus abgeben wollten, war es vorbei mit dem Versteckspiel: Es traten dabei unter anderem Alexander Kurth und Enrico Böhm in Erscheinung, um die Unterschriften im Ratssaal zu übergeben.
Das als “Handy-Upload” des Seitenbetreibers “JN Leipzig” gekennzeichnete Bild ist ein Standbild eines Handyvideos und zeigt zwei schwarz verschleierte Männer, welche vor dem alten Rathaus auf dem Leipziger Markt stehen und ein Transparent mit arabischen Schriftzeichen hochhalten. Davor ein maskierter Mann, der actiongeladen in die Kamera schaut – alle haben offenkundig eine wenig orientalische Hautfarbe.
Hochgeladen wurde das Bild am heutigen 30. September laut Facebookdatierung etwa 16 Uhr, um 13:17 Uhr hatte heute die Polizei den ersten Hinweis auf die “ISIS-Aktion” auf dem Leipziger Marktplatz erhalten. Das Bild ist unter anderem mit der Textzeile versehen: “Die weitere Islamisierung unserer Messestadt stoppen!”. Die Maskeraden sind in NPD-Kreisen nicht ungewöhnlich – im Wahlkampf versuchte man es mit einem Elchkostüm, nun offensichtlich mal in Verschleierung.
Erhärtet sich dieser Verdacht, wäre die Aktion dennoch skurril: offenbar in Ermangelung echter Motive vollverschleierter Muslime, der Scharia-Polizei oder gar Terroristen in Leipzig scheinen sich nunmehr bereits Neonazis in die Vollverschleierung zu begeben, um auf eine Gefahr in Leipzig hinzuweisen, die sie selbst dafür schauspielerisch darstellen müssen.
Die Facebookseite, welche derzeit neben der Facebookseite von Ex-Stadtratskandidaten Alexander Kurth als einzige ein öffentlich auffindbares Bild zu dem heute stattgefundenen Mummenschanz in der Leipziger City im Netz beinhaltet, dient sonst zur Verbreitung von Demonstrationsaufrufen und Wahlkampagnen. Unter anderen sind dort Bilder von Alexander Kurth zu sehen, welcher wegen seiner schweren Vorstrafen 2014 nicht als Kandidat der NPD zur Landtagswahl in Sachsen zugelassen wurde und danach ankündigte, aus der Partei auszutreten. Auf einem weiteren Bild der gleichen Seite, welche heute das Bild postete, neben ihm Enrico Böhm, designierter und zukünftig einziger Stadtrat der NPD in Leipzig.
Nachtrag d. Redaktion: Auf einer weiteren Facebook-Seite, welche mit der JN Leipzig – Page über Slogans und Aktionen eng verzahnt ist, wurde heute verkündet man hätte bald “weitere Informationen” zur Aktion auf dem Leipziger Marktplatz. Beide FB-Seiten mobilisieren derzeit gemeinsam für eine rechte Demonstration am 4. Oktober in Döbeln. Weitere bekannte Neonazis verbreiten das Video-Standbild ebenfalls bereits eifrig und wohlwollend bei dem sozialen Netzwerk. Damit liegt es nahe, dass es sich bei den Initiatoren der heutigen “ISIS-Aktion” um rechtsradikale Kreise aus Leipzig und Sachsen handeln dürfte.
Die Leipziger Polizeidirektion ruft wegen der Aktion auf, sich bei der Kriminalpolizei zu melden, wenn man einen Flyer habe, welche heute bei der Aktion verteilt worden sein sollen oder weitere Auskünfte erteilen könne. “Hierzu kann jede Polizeidienstelle aufgesucht werden. Telefonische Hinweise nimmt die Kriminalpolizei Leipzig unter 0341-9664 6666 entgegen.”
Auch die L-IZ würde sich freuen, wenn es einen eingescannten Flyer oder Fotos der Aktion gäbe. Diese können jederzeit auch an redaktion@l-iz.de gesendet oder auf unserer Facebookseite unter www.facebook.com/LeipzigerInternetZeitung eingestellt werden. Aufgrund der derzeit weiterhin dünnen Faktenlage ist eine journalistische Einordnung der seltsamen Aktion noch nicht abschließend möglich – die Bilder oder ein Flyer könnten dabei hilfreich sein.
Zum Artikel vom 2. Oktober 2014 auf L-IZ.de
Leipziger “ISIS”- und “Schariapolizei”: Die Kripo am Drücker, ein Übersetzer und die Satiriker sind erwacht
Zum Artikel vom 30. September 2014 auf L-IZ.de
IS in Leipzig? Eine Gruppe spielt Terror und “Scharia-Polizei” – Zeugen und Beweise gesucht
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