Unbekannte haben in der Nacht zum 27. Juni die Geschäftsstelle der Leipziger Grünen in der Hohen Straße angegriffen. Mit Steinwürfen beschädigten die Täter die Eingangstür. Zu dem Anschlag bekannten sich anonyme Schreiber auf dem linksextremen Szeneportal Indymedia: "Damit wollen wir unsere Wut über das Vorgehen der Bullen und der Grünen Bezirksregierung in Friedrichshain-Kreuzberg und unsere Solidarität mit den Geflüchteten in der Ohlauerstraße ausdrücken", heißt es dort in einem Bekennerschreiben. Gut, wenn man für einen komplexen Vorgang immer einen Watschenmann zur Verfügung hat.
Unbekannte veröffentlichten den Text am 4. Juli 2014 auf dem Webportal “Indymedia”, das meist anonym vor allem von der linken Szene genutzt wird. Da die Leipziger Grünen sich zu diesem Zeitpunkt nicht zum Vorgang zu Wort gemeldet hatten, die Leipziger Polizei ebenso schwieg, könnte das kurze Schreiben Täterwissen beinhalten und als echt gelten. Auffällig dabei auch die hohe Nähe zu dem weiteren Vorfall am Technischen Rathaus in der gleichen Nacht.
Ebenfalls am 27. Juni griffen Unbekannte die Ausländerbehörde an, die im Technischen Rathaus untergebracht ist. Die Angreifer zerstörten 21 Scheiben, indem sie Steine und mit Farbe gefüllte Gläser gegen die Fassade warfen. Einen Tag später tauchte ein Bekennerschreiben ebenfalls bei “Indymedia” auf. Mit dem gleichen Verweis auf die Situation von 40 Flüchtlingen, die in Berlin-Kreuzberg eine Schule besetzt hatten. Ob hinter beiden Angriffen tatsächlich dieselben Täter stecken, ist nicht bekannt.
Mit dem Bezug zu Berlin, wo die Grüne Bürgermeisterin Monika Herrmann derzeit um den “Kreuzberger Kompromiss” ringt, schreiben die anonymen Schreiber unter dem neusten Bekennertext “!!REFUGEES WELCOME!!”.
Als wenn das so einfach für eine Berliner Stadtteil-Bürgermeisterin, seit Sommer 2013 im Amt, wäre. Die Vorgänge rings um die Schulbesetzung in der Ohlauerstraße seit dem 24. Juni sind das Ende einer langen Reihe von ungelösten Widersprüchen – auch und gerade im deutschen Asylgesetz und dessen Anwendung. Ausdruck des sich seit knapp zwei Jahren in Berlin Kreuzberg aufschaukelnden Prozesses um Zeltlager, fehlende rechtliche Möglichkeiten für Flüchtlinge, eine Arbeit aufzunehmen, grüne Einladungen zum Bleiben, das Schweigen der Berliner Regierungskoalition und den abgelehnten Asylanträgen einiger in der Ohlauerstraße.
Derzeit besteht ein “Kompromiss”, welcher in der Realität keiner ist und ein Licht auf die Situation in ganz Deutschland wirft. Die abgewiesenen Asylbewerber dürfen vorerst bleiben – wie lange, traut sich offenbar niemand mehr zu sagen. Ob sie arbeiten dürfen ebenfalls nicht, das Gesetz verbietet es ihnen. Erste Berliner haben nach Medienberichten der Hauptstadtpresse welche von ihnen privat aufgenommen. Und sind dazu übergegangen, ihnen fair bezahlte Jobs zu besorgen. Natürlich in Form von Schwarzarbeit, also ebenso illegal, wie die privat organisierte, dezentrale Unterbringung. Menschlichkeit prallt so erneut auf deutsches Recht, welches sich auch mit den, vergangener Woche gefeierten, neuen Regelungen zum deutschen Asylgesetz nicht maßgeblich ändert.
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Während die darin beschlossenen 300 zusätzlichen Beamten des Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) versuchen werden, auf Bundesebene die Asylanträge schneller zu bearbeiten und Serbien, Mazedonien sowie Bosnien und Herzegowina als sichere Drittstaaten eingestuft wurden, bleibt die Gesetzgebung selbst rigide. Die neuen Regelungen sollen für kürzere Bearbeitungszeiten und eine schnellere Abschiebung oder Gestattung des Aufenthalts sorgen. Auch mit dem Argument der höheren Gerechtigkeit für die anerkannten Bewerber. Ob dies Fehler in den Prüfungen der oft komplizierten Einzelfälle wirksam ausschließt, bleibt abzuwarten – doch die Widerspruchsmöglichkeiten werden damit ebenfalls verkürzt. Von verstärkter Integration, dezentraler Unterbringung und schnelleren Arbeitsgenehmigungen war ebenso wenig zu lesen, wie von einer Aufhebung oder Neuregelung der Residenzpflicht. Im weiteren Widerspruch dazu gibt es ebenfalls keine sichtbaren Bemühungen auf Bundesebene, die Entwicklungshilfe oder den fairen Handel mit meist eigentlich reichen, praktisch aber armen Ländern zu verbessern. Reich an Rohstoffen, arm an Strukturen in postkolonialen Zeiten, reich an kriegerischen Konflikten, arm an wirklichen Lösungen dafür.
Niemand soll also nach wie vor in der umkämpften Ferne Nordafrikas und den arabischen Ländern hören, in Deutschland sei man wirklich willkommen. Es könnten zu viele kommen, die bleiben und arbeiten wollen. Die Konflikte in den Ländern bleiben ebenfalls und die Waffenausfuhr wurde noch von keiner Regierung so großzügig gehandhabt, wie von der Schwarz-Gelben. Schwarz-Rot scheint da keine echte Kehrtwende vorzuhaben. Die eigentlichen Rahmenbedingungen bleiben also, man ist eher mit einem Mauerbau um Europa herum befasst und ab und zu wirft man ein paar Gewehre über die Zinnen der Burg.
Und in Berlin-Kreuzberg eskaliert eine Situation, bei welcher der Gesetzesbruch im Sinne der abgelehnten Asylbewerber die letzte Möglichkeit scheint, sich fair gegenüber Flüchtlingen zu verhalten. Diesen bleiben eigentlich nur noch zwei Wege: Untertauchen oder über kurz oder lang abgeschoben werden.
Vielleicht auch deshalb regt sich auf “Indymedia” neben Zuspruch auch Widerstand gegen die Aktion(en) in Leipzig. Während es die einen als eine gewaltsame Möglichkeit sehen, den Druck auf staatliche Strukturen zu erhöhen, fassen sich andere längst an den Kopf angesichts der dafür erwählten Ziele. Und der drohenden Diskreditierung derjenigen, die es in Berlin und anderswo mit zivilem Ungehorsam und Hilfsangeboten an die Flüchtlinge versuchen. Also konkret handeln und Glasscheiben oder die Grünen nicht als das eigentliche Problem erkannt haben. Im zunehmend benötigten Wissen, dass Gewalt immer ein Zeichen fehlender Handlungsoptionen und zu lang unaufgelöster Widersprüche ist.
Die Debatte selbst könnte sich weiter verschärfen. Auch in Sachsen steigen die Zahlen der Flüchtlinge von gesamt 5.800 (2013) auf 10.300 (inkl. Folgeanträge) in diesem Jahr. Angesichts der 4 Millionen Sachsen für viele kein Problem. Für manche jedoch der Beginn des Untergangs des Abendlandes.
5. Juli 2014
Kreuzberger nehmen Flüchtlinge im Gästezimmer auf
4. Juli 2014
Das Chaos von Kreuzberg
www.berliner-zeitung.de/berlin/fluechtlinge-in-berlin-das-chaos-von-kreuzberg,10809148,27712400.html
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