Neonazis missbrauchen das Grundrecht auf Pressefreiheit, um politischen Gegnern und Journalisten das Leben schwer zu machen und sie einzuschüchtern. Sie geben sich bei ihren Aufzügen als Pressefotografen aus. Ihre Aufnahmen machen unter Kameraden die Runde oder landen im Internet, bisweilen in Verbindung mit persönlichen Daten, damit alle Welt weiß, wer auf den Bildern zu sehen ist. Am 2. März sorgte solch ein Fall aus Sachsen für Wirbel.

In einer für jeden Facebook-Nutzer einsehbaren Gruppe veröffentlichte ein Rechtsextremist 110 Fotos von Journalisten sowie weitere 296 Aufnahmen von politischen Gegnern. Die Bilder entstanden am Rande von rechten Aufmärschen. Alle Abbildungen sind mit einem Wasserzeichen versehen. Zwei gekreuzte Sturmgewehre, darunter der Schriftzug “Anti-Antifa Sachsen”.

Die Intention des Urhebers: “Diese Seite dient dazu Linksextremisten beim Namen zu nennen!” Nicht nur, dass viele der Abgebildeten gar keine Linksextremisten sind. Die Nennung der vollständigen Klarnamen der Abgebildeten ohne deren Einverständnis verstößt regelmäßig gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht. Obendrein handelt es sich bei vielen Aufnahmen um Portraits. Sieht man von einigen Ausnahmen ab, dürfen diese selbst bei Versammlungen nur mit Genehmigung des Abgebildeten erstellt werden. Diese liegt Neonazis in der Regel nicht vor.

Die 110 Fotos der Journalisten garnierte der Ersteller der Fotogalerie mit der Beleidigung: “Linke Fotografen und anderes Lügengetier.” Unter den Abgebildeten befinden sich Journalisten, die regelmäßig für überregionale Medien wie “Der Spiegel” oder die “taz” unterwegs sind. Andere arbeiten für renommierte Bildagenturen wie “Action Press”. Wieder andere sind für regionale und lokale Medien tätig, etwa dem MDR oder L-IZ.de.

Eine heiße Spur führt zu Ralf H.. Der Rechtsextremist aus Aue, ein korpulenter Mann, Anfang 20, fotografierte zuletzt regelmäßig bei Neonazi-Aufmärschen in der Region. Selbstredend immer mit Genehmigung der Veranstalter. Deswegen wurde er, anders als die richtigen Journalisten, nicht von den ansonsten eher wenig pressefreundlichen Ordnern und mitmarschierenden Kameraden bei der “Arbeit” behindert.

Ausgestattet mit Presseweste und -ausweis, beides im Internet erhältlich, dokumentierte Ralf H. die Arbeit anwesender Journalisten. Bei Facebook offeriert er seine Dienste unter dem Label “Bad Skulls Photografie”. Die auffällige Schriftart in seinem Profilbanner ist identisch mit der des Wasserzeichens. Zudem äußerte H. gegenüber einem Kameraden, dem er um ein Tele-Objektiv bat, er würde “Anti-Antifa-Arbeit” verrichten.

Darunter verstehen Neonazis das gezielte Ausspähen von politischen Gegnern. Mittlerweile steht nach Angaben von Kollegen fest, dass Ralf H. bei zwei Veranstaltungen, bei denen viele der Anti-Antifa-Fotos entstanden sind, gezielt Pressevertreter abfotografiert hat. Besonders klar ist dabei ein Ablauf am Rande einer Demonstration im thüringischen Weimar.

Anfang Februar 2014 richtete dort ein Fotograf seine Kamera auf den Neonazi und drückte etwa zur gleichen Zeit auf den Auslöser wie Ralf H.. Was zum Foto “Ralf H. bei der Arbeit führte” (Bilder liegen L-IZ.de vor). Zu allem Überfluss soll der Auer nach Angaben des Journalisten bei dieser Veranstaltung der einzige unter den rund 80 Teilnehmern gewesen sein, der eine Fotoausrüstung mit sich führte.

Kaum tauchten im Internet erste Vorwürfe in Richtung des Erzgebirglers auf, geriet dieser in Panik. Vergangenen Montag gab er ein Inserat auf, in dem er weite Teile seiner Fotoausrüstung zum Kauf anbietet – deutlich unter Wert. Offensichtlich ein Versuch, Beweismittel aus der Welt zu schaffen, denn im Zweifel ist es möglich Kamera und diverse in Fotos eingebettete Informationen und Einstellungen zuzuordnen. Zum schnellen Verkauf hat H. allen Grund. Seit vergangener Woche ermittelt die Leipziger Staatsanwaltschaft in der Angelegenheit, weil ein Journalist Anzeige erstattete.

Der Gesinnungswandel war nur von kurzer Dauer. Bereits am 8. März richtete der Neonazi am Rande eines rechten Aufzugs in Dessau seine Kamera abermals auf einen Journalisten. Eine Anfrage von L-IZ.de zu den Veröffentlichungen ließ Ralf H. unbeantwortet. Die “Anti-Antifa Sachsen” selbst ist in der virtuellen Welt Facebooks schon wieder Geschichte. FB teilte keine 24 Stunden nach Gründung der Gruppe mit, dass diese bereits gelöscht sei.

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