Manche Fans von "Roter Stern Leipzig" (RSL) staunten nicht schlecht, als sie während des Vereinsfestes am 22. Juni ihre Blicke gen Himmel richteten. Über den Köpfen des alternativen Fußballpublikums kreiste ein kleines, unbemanntes Fluggerät. Eine Drohne, wie sie etwa von Sicherheitsbehörden eingesetzt wird.
Monika Lazar (B’90/Grüne) traute um 19:15 Uhr ihren Augen nicht. Die Bundestagsabgeordnete erblickte eine kleine Drohne, die im Himmel just unter dem Ort halt machte, an dem sich die meisten Menschen aufhielten. Dort verharrte der Flieger einige Minuten und flog anschließend an einen unbekannten Ort zurück. Ein Verdacht: Die Polizei hat aus der Luft Aufnahmen von Besuchern des Vereinsfestes angefertigt. “Zunächst müssen wir klären, von wem die Drohne und in welchem Auftrag kam”, so Lazar. “Wenn es eine Drohne war, bin ich gespannt wie der Einsatz begründet wird, denn hier gibt es sehr enge Schranken.”
Die Landtagsabgeordnete Eva Jähnigen verlangt jetzt Aufklärung. Die Grünen-Abgeorndete hat eine Kleinen Anfrage auf den Weg gebracht. Die Staatsregierung muss sich bis Ende Juli erklären. L-IZ.de hat bei Leipziger Polizei und Dresdner Innenministerium vorgefühlt. “Die Polizeidirektion Leipzig teilt Ihnen mit, dass uns ein solcher Einsatz nicht bekannt ist und auch nicht durch die Polizeidirektion Leipzig durchgeführt worden ist”, ließ Behördensprecher Uwe Voigt am Mittwoch wissen. “Der Sensocopter der Polizei war am fraglichen Tag nicht im Einsatz”, pflichtete ihm Frank Wend, Sprecher des sächsischen Innenministeriums, bei.
Der Rote Stern begegnet dem Vorfall mit Sarkasmus. “Sollte es eine Polizeidrohne gewesen sein, kann ich mir persönlich nur vorstellen, dass die Ermittlungsbehörden hier ihre eigenen Kollegen überprüft haben, die zu unserer Sicherheit vor Ort waren”, meint Vereinssprecher Jens Frohburg. “Sie wollten bestimmt herausfinden, ob sich Polizisten am Bierwagen angestellt haben, was ja ein doppeltes Verbrechen wäre: Biertrinken im Dienst soll verboten sein – und als Hüter der herrschenden Ordnung auch noch beim Klassenfeind einkaufen, geht natürlich nicht.”
Die Polizeipräsenz beim Vereinsfest würde allerdings wenig überraschen. Am 14. Juni, gut eine Woche vor der Feier, waren RSL-Fans von Neonazis angegriffen worden. Etwa 20 Kameraden missbrauchten das Volkssport-Spiel der Kiezkicker bei der SG Lausen als Bühne, indem sie nach Abpfiff die 40 bis 50 Fans der Connewitzer tätlich angingen. “Das waren Zuschauer, die normalerweise nicht zu unseren Spielen kommen”, berichtet der SG-Vorsitzende Mike Mähler, der bei dem Spiel nicht persönlich anwesend war. “Als 2009 die BSG Chemie unserer Anlage des Vereins zu Gast war, kam es auch zu Ausschreitungen.” Auch damals waren Neonazis zu Gast, die nicht zum Stammpublikum gehören – offensichtlich um zu provozieren.
Unter den Angreifern laut Aussagen von Linken-Stadträtin Juliane Nagel auf ihrem Blog unter den Angreifern: ein bekannter Neonazi, der sein politisches Betätigungsfeld inzwischen fast ausschließlich im Fußball sucht. An Wochenenden ist er regelmäßig bei Lok-Spielen präsent. In der Fanszene hält er sich im Umfeld der rechtsextremen Gruppe “Scenario Lok” auf, die sogar der sächsische Verfassungsschutz in seinem aktuellen Jahresbericht erwähnt.
Dennoch könnte der 24-Jährige den Heimspielen der “Loksche” möglicherweise in Zukunft fern bleiben. Seine Beteiligung an dem Hooligan-Angriff in Lausen müsste, bei konsequenter Umsetzung der Richtlinien des Sächsischen Fußballverbandes und bestätigten Zeugenaussagen, in ein dreijähriges Stadionverbot münden. Dieses würde landesweit gelten. Die Entscheidung liegt bei der SG Lausen als gastgebender Verein. “Die Polizei hat uns bisher nicht gebeten, Stadionverbote auszusprechen”, berichtet Mähler. Die Lausener werden im Falle des Falles wohl kooperieren. Ihr Vorsitzender ist von Beruf selbst Polizist.
Allerdings hält sich in der Leipziger Fußball-Szene schon länger das Gerücht, dass jene Person ab und an bei Spielen der Lausener zu Gast sei. Möglicherweise begleiteten just deswegen mehr RSL-Fans als üblich das Volkssport-Team in den Leipziger Westzipfel. “Ich kenne ihn nur dienstlich”, beteuert Mähler. “Er ist kein Mitglied in unserem Verein.”
Wenngleich die Attacke von den Neonazis ausging, mimten die RSL-Fans bei der Auseinandersetzung nicht die Unschuldslämmer vom Lande. Ein Handyvideo, das offenbar von einem der Angreifer stammt, zeigt ein differenziertes Bild. Etwa 20 Roter-Stern-Anhänger, teils vermummt und mit Fahnenstangen bewaffnet, lassen sich bereitwillig auf die Drohgebärden der rechten Schläger ein und suchen den Konflikt, statt sich diesem zu entziehen, wie es vermutlich der Otto-Normal-Fan täte. Nur ein meterhoher Zaun scheint Neonazis und RSL-Fans voneinander zu trennen.
Kolateralschäden, etwa an den vor dem Sportplatz geparkten Autos, scheinen die RSL-Supporter billigend in Kauf zu nehmen. Ebenso Stadionverbote, die auch in der Kreisklasse gelten würden. Mehrere Beteiligte sind auf dem verwackelten Video gut zu erkennen. Andere Stammgäste der Connewitzer lassen sich aufgrund charakteristischen Outfits und markanter Statur leicht identifizieren. Dass die Fußballfans, die teils der linken Szene angehören, nicht die Beine in die Hand genommen haben, könnte sich rasch zu einem gewaltigen Eigentor entwickeln. Von den angreifenden Neonazis hingegen sind bisher keine Aufnahmen aufgetaucht. Lediglich der 24-jährige Neonazis wurde bisher von mehreren Augenzeugen identifiziert.
“Es ist wichtig, hierbei nicht Ursache und Wirkung zu verwechseln”, meint Stadträtin Juliane Nagel (Die Linke). “Wenn ein explizit antirassistischer und antifaschistischer Fußballverein wegen seiner politischen Haltung angefeindet oder sogar angegriffen wird, ist nicht er das Problem, sondern die, die diese Grundwerte infrage stellen.” Der Rote Stern vertritt die Ansicht, seine Fans hätten in Notwehr gehandelt. “Unsere Anhänger haben verschiedene Gewalterfahrungen machen müssen”, so Frohburg. Diese leidvollen Erfahrungen mit Neonazi-Gewalt machen deutlich, dass man sich wehren muss.” Der “Red Star Supporters Club”, der den organisatorischen Rahmen für die linksradikale Politik des Vereins bildet, äußerte sich bislang nicht.
Stattdessen vermeldete die Fanorganisation am Mittwoch, dass sie die Umbettung des getöteten Wohnungslosen André K. mit 150 Euro unterstützen werde. Ein etwas durchsichtiges Ablenkungsmanöver. Denn ausgerechnet am Tage, an welchem eine Leipziger Tageszeitung die Auseinandersetzung in ihrer Printausgabe thematisierte, folgte eben jene Meldung. Dabei sollte dem Roten Stern an transparenter Aufklärung gelegen sein. Schließlich sind die Connewitzer seit wenigen Tagen der Leipziger Fußballclub mit den meisten aktiven Mitgliedern.
Die Randale sind inzwischen ein Fall für Polizei und Staatsanwaltschaft. Die Beamten ermitteln wegen Landfriedensbruchs. Mitglieder der SG Lausen wurden bereits als Zeugen vorgeladen. Polizeisprecher Voigt hält sich zum Stand der Dinge bedeckt: “Zu laufenden Ermittlungsverfahren geben wir keinerlei Auskünfte.”
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