Der Gerichtssaal ist übervoll. Alle 30 Besucherstühle, die sich gegenüber der Richterbank aufreihen, sind belegt. Als ein paar Minuten nach Eröffnung ein weiterer Mann den Saal betritt, schiebt die Rechtspflegerin den letzten freien Stuhl hinter der Richterbank vor. Es geht um zwei kleine Wohnungen an diesem Morgen im Amtsgericht Leipzig. Die eine ist 37 Quadratmeter groß, die andere 54. Das Verkehrswertgutachten setzt 10.000 Euro für die kleine - im Hausplan als Wohnung Nummer drei erfasst - an, für die größere - Nummer vier - setzt es 34.000 Euro an.
“Soviel Andrang ist normal”, sagt die Dame von der Immobilienfirma, welche die Wohnungen betreut. Sie sitzt links außen, hat Zettel und Stift gezückt, um die Gebote zu notieren. Ihr Kollege sitzt dort, wo bei Strafverfahren der Anwalt sitzt. Heute tritt er als Gläubiger auf. Die Wohnungen gehörten einem Mann mit griechisch klingendem Namen. Sie standen monatelang im Internet – zum einen im Zentralregister der Zwangsversteigerungstermine, zum anderen auf einem Kleinanzeigenportal.
Nachdem die Rechtspflegerin die Formalien verlesen hat, beginnt das Bieten. Als erster tritt Ernst B. vor, in Shorts und T-Shirt. Sein Akzent lässt darauf schließen, dass er aus Osteuropa stammt. Er scheint uninteressiert. Während er seinen Ausweis zur Personalienerfassung überreicht, blättert er im ausliegenden Verkehrswertgutachten. Das Erstgebot liegt bei 3.000 Euro für Nummer drei. Und nun folgt ein Bieter auf den anderen. Alle müssen zuerst ihre Personalien erfassen lassen, bevor sie ihr Gebot abgeben, und die Rechtspflegerin ordnet zu, ob die Sicherheitsleistung erbracht ist.
Diese beträgt ein Zehntel des Gutachtenwertes und muss bei der Landesjustizkasse eingezahlt sein, mindestens zehn Tage im voraus. Das ist die günstigste Variante, denn das Geld wird später anstandslos zurücküberwiesen. “Eine weitere Möglichkeit ist ein Verrechnungsscheck, der von der LZB gedeckt ist”, erklärt die Dame von der Immobilienfirma. Doch nicht alle Banken stellen solche Schecks aus. Zudem kostet es Gebühren – um die 50 Euro. “Oder man kann eine Bankbürgschaft vorlegen. So etwas geht, wenn man eine Finanzierung beantragt hat, aber auch das ist mit Kosten verbunden.”
Die Luft ist heiß und stickig in dem schmucklosen Saal. Durch das angekippte Fenster dringt der Straßenlärm hinein. In der hintersten Reihe hat man Mühe, die Rechtspflegerin zu verstehen. “Geboten sind 10.200 Euro für Nummer drei und 22.000 Euro für Nummer vier”, verkündet sie. Abgegeben hat die Gebote eine hochgewachsene Frau Ende vierzig, im Etuikleid und mit hochwertiger Tasche in der Hand. Mittlerweile reihen sich drei weitere Bieter vor dem Richtertisch auf. Als sie ihre Gebote abgegeben haben, stehen die Preise bei 13.000 Euro für Nummer vier und 27.000 Euro für Nummer drei. Bislang ist Irina I. die Höchstbietende. Als die Zahlen verkündet werden, verlassen die ersten Bieter den Saal. So zum Beispiel ein älterer Herr mit schlohweißem Haar und Hörgerät in der Ohrmuschel. Er macht eine abwinkende Geste und lässt die Tür offen stehen.
Mittlerweile schrumpft der Bieterkreis zusammen. Ein junger Mann bietet 16.000 Euro für Nummer drei. Eine Dame im großgepunkteten Kleid erwidert: 16.500 Euro. Der junge Mann versucht es wieder: 17.000 Euro. Die Kleid-Dame: 17.200 Euro. Da zuckt der junge Mann mit den Schultern und bietet nicht weiter. Die Kleid-Dame hat bislang die Höchstgebote aufgerufen, für beide Wohnungen. Nummer vier steht bei 30.000 Euro.
Nun meldet sich Ernst B. wieder zu Wort: 17.500 Euro für Nummer drei und 31.000 Euro für Nummer vier. Die Kleid-Dame hält noch eine Weile mit. Bei 19.000 Euro ist für Nummer drei Schluss. Bei 35.000 Euro für Nummer vier. Ernst B. hat beide erstanden. “Gegen die geballte Power aus dem Osten war nicht anzukommen”, sagt später eine junge Frau Mitte zwanzig. Auch sie hatte geboten, lag unter dem Verkehrswert für Nummer drei. Sie hatte bereits zwei Termine besucht, einfach um zu schauen, wie das so ablaufe, erzählt sie. Bei einer Wohnung sei kein Bieter da gewesen, bei einer anderen nur einer. “Doch die Wohnungen waren nicht so gut gelegen.” Nummer drei und Nummer vier befinden sich in einem Mietshaus unweit des Lindenauer Marktes.
Es scheint als habe sich bei diesem Termin die Binsenweisheit aller Immobilienmakler bewahrheitet: Den Wert einer Immobilie bestimmen drei Dinge: erstens die Lage, zweitens die Lage und drittens die Lage. Nummer drei ist für knapp die doppelte Summe des Verkehrswerts weggegangen, Nummer vier lag leicht über dem Wert. “Ungewöhnlich für einen Termin hier”, sagt ein Prozessbeobachter, der auch Gelegenheit hatte, Nummer vier zu besichtigen. Der Schnitt sei nicht ideal gewesen, ein sich lang ziehender Flur, das Bad ein Problem und die Wände mit Gipskartonplatten verschalt. Die junge Interessentin für Nummer drei meint, die Bieter hätten sich von der Auktion mitreißen lassen. Nummer drei ist zwar vermietet aber abgewohnt. “Und wie lang bleibt der Mieter noch drin?”, fragt sie sich. Bei einem Auszug müsse alles neu gemacht werden: die Wände verputzt, das Bad renoviert und der Bodenbelag raus. “Unter 10.000 kommt man da nicht weg”, schätzt sie. Ob es das wert ist?
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