Es war die nunmehr 9. Komplexkontrolle in Leipzig im Jahr 2012, mit der die Leipziger Polizei am Dienstag, 16. Oktober, Leipzig aufgemischt hat. Von 13 bis 21 Uhr waren Polizisten wieder im ganzen Stadtgebiet unterwegs. Seit 2011 nutzt die Polizeidirektion die öffentliche Präsenz, um irgendwie zu beweisen: Wir sind noch da. Eingeführt wurde es nicht ohne Grund.

Denn als die erste Komplexkontrolle 2011 anlief, war gerade offenkundig geworden, dass die Kriminalitätszahlen in Leipzig wieder deutlich anstiegen. Insbesondere Diebstähle und Beschaffungskriminalität nahmen spürbar zu. Von 25.751 angezeigten Diebstählen 2009 stieg die Zahl 2010 auf 28.482 und 2011 auf 30.113.

Eine profunde Analyse, warum das so ist, fehlt bis heute. Die sächsische Polizeiführung nutzte diese simplen Zahlen, um gleich einmal vorfristig in den Leipziger OBM-Wahlkampf einzusteigen und die Drogenpolitik der Stadt für die Entwicklung verantwortlich zu machen. Welche Rolle dabei die zunehmende Personalknappheit der Polizei selbst spielte, wurde genauso ausgeblendet wie die zunehmend grimmigere Sanktionspolitik des Leipziger Jobcenters.

Der Glaube, dass ein verstärkter Druck auf das “Milieu” das Problem lösen helfen könnte, hält sich bis heute. Und da sich 2011 keinerlei Entspannung im Dilemma zeigte, macht man einfach so weiter. “Ziel dieser und weiterer Kontrollmaßnahmen ist die Bekämpfung und Zurückdrängung der Eigentums- und Betäubungsmittelkriminalität”, erklärt die Polizei ihren Personaleinsatz am 16. Oktober. “Hauptaugenmerk liegt bei Diebstählen rund um/aus Kraftfahrzeugen, Einbrüchen in Geschäftsräume, Firmen und Einfamilienhäuser sowie der Raubstraftatenbekämpfung.”

“Bekämpfung und Zurückdrängung”?

Wer die Zahlen liest, sieht, wie effektlos dieser Präsenz-Einsatz ist. Er schafft zwar in der Öffentlichkeit so ein Bild von “Wir sind noch da”. Aber die Erfolge sind denkbar gering, auch wenn die Zahlen erst einmal nach einer Menge Fleißarbeit aussehen.

Besonderes Augenmerk wurde am 16. Oktober auf das Verhalten von Fahrradfahrern und dem technischen Zustand ihrer Fahrzeuge gelegt.

An der Komplexkontrolle am 16.10.2012 waren Polizisten der Polizeidirektion Leipzig und der Bereitschaftspolizei Sachsen beteiligt. Kontrollen fanden in der Zeit von 13:00 bis 21:00 Uhr im gesamten Stadtgebiet statt, erzählt die Polizei in ihrer Mitteilung dazu.

Das Resultat: 35 Strafanzeigen wurden erstattet. “Diese gliedern sich in 16 Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz, vier Zuwiderhandlungen im Sinne des Strafgesetzbuches, zwölf Verstöße gegen das Straßenverkehrsgesetz, je einen Verstoß gegen das Waffengesetz, das Pflichtversicherungsgesetz und das Sprengstoffgesetz, auf.” Klingt mächtig gewaltig. Hat man also wieder Bombenbastler und Drogendealer auf frischer Tat ertappt, oder.

Nur zum Vergleich: Wenn 2011 insgesamt 64.728 Straftaten angezeigt wurden, dann waren das pro Tag 177 im Schnitt.

35 Anzeigen während einer achtstündigen Komplexkontrolle bedeuten eigentlich nur: Die Polizistinnen und Polizisten kamen mal an die frische Luft.

Und wie war das mit den Drogen? – “Bei den 16 Ermittlungsverfahren wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz wurden Rauschgiftmengen von 1 bis 20 Gramm pro Verfahren sichergestellt. Es handelte sich dabei um Marihuana, Haschisch und Crystal.” Mit Bekämpfung der Betäubungsmittelkriminalität hat das nicht wirklich viel zu tun. Man bekämpft den Drogenmissbrauch nicht, indem man immer wieder die Konsumenten verhaftet. Die kommen dadurch, dass sie vor den Kadi wandern, nicht los von ihrer Sucht. Das braucht ganz andere Programme.

Auch wurden 240 Ordnungswidrigkeitsverfahren eingeleitet, verkündete die Polizeidirektion, darunter unter anderem 227 Zuwiderhandlungen im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr (u. a. StVO, StVZO), zwei Verstöße gegen das Waffengesetz sowie zwei Pflichtverletzungen gegen das Aufenthaltsgesetz.

Die Polizei stellte dabei 75 Fahrradfahrer fest, die die Ampel bei Rot überfuhren. 69 Fahrradfahrer wurden mit Verwarngeld belegt.Und die restlichen Verstöße gegen die STVO? – Mängel am Fahrrad.

L-IZ-Leser Tobias Roscher findet die Aktion logischerweise etwas obskur. “Welche Gründe die Polizeidirektion auch immer haben mag, um mehrmals jährlich eine regelrechte Jagd auf FahrradfahrerInnen zu starten, ich möchte Ihnen ein anderes Bild der Leipziger Verkehrssituation zeichnen. Und zwar eines, dass ich als (ordentlicher!) Fahrradfahrer jeden Tag erleben muss”, schreibt er. “Unerheblich wie viel Zeit oder Kilometer ich zurücklege, es vergeht kein Weg ohne irgendwelche von AutofahrerInnen herbeigeführten Gefahrensituationen: plötzliches Öffnen von Türen, plötzliches Abfahren aus Parkbuchten, Vorfahrtsmissachtungen, Rechtsabbiegen mit zu geringem Sicherheitsabstand, zugeparkte Radwege usw. Es grenzt an ein Wunder, dass mir über viele Jahre und hunderte Kilometer Fahrweg im Leipziger Straßennetz nichts ernsthaftes passiert ist.”

Aber auch da sagt die Statistik mittlerweile Deutliches aus: nicht nur, dass 2011 die Zahl der Unfälle mit Radfahrern gegenüber 2010 deutlich anstieg – von 909 auf 1.121.

Nein, zwei andere Fakten zur Leipziger Unfallstatistik sind wesentlich auffälliger. Das eine sind die Verkehrsunfälle mit Unfallflucht, deren Zahl seit 2009 ansteigt – von damals 3.465 auf 3.909 im Jahr 2011. Und das andere ist die Hauptursache für Unfälle. Das war jahrelang das Fahren mit ungenügendem Abstand oder falscher Geschwindigkeit. 2011 wurde diese Ursache erstmals abgelöst von der Ursachengruppe “Fehler beim Wenden und Rückwärtsfahren”. Diese Zahl stieg von 2.542 im Jahr 2009 auf 3.088. Was nicht einmal nur mit der Unerfahrenheit der Pkw-Fahrer zu tun haben muss. Mittlerweile sind die meisten innerstädtischen Stadtteile so chaotisch zugeparkt, dass kaum noch ein Verkehrsteilnehmer an Kreuzungen und anderen neuralgischen Punkten eine STVO-gemäße Übersicht hat.

Nur: Dergleichen scheinen weder Ordnungsamt noch Polizei in Leipzig zu kontrollieren.

Angefangen vom Parken “vor und hinter Kreuzungen und Einmündungen bis zu je 5 m von den Schnittpunkten der Fahrbahnkanten” oder “vor Bordsteinabsenkungen” bis hin zum Abstellen von Lkw mit “einem zulässigen Gesamtgewicht über 7,5 t” in Wohngebieten.

Da ist es natürlich der leichtere Part, Fahrradfahrer auf das Funktionieren ihrer Radbeleuchtung, der Klingel und der Bremsen hin zu kontrollieren. Das lenkt so schön von den eigentlichen Problemen ab.

Was kam sonst noch heraus bei diesem komplexen Einsatz? – “Ferner wurden im Zuge der durchgeführten Komplexkontrolle zehn Personen aufgegriffen, nach denen gefahndet wurde. Fünf Personen standen zur Aufenthaltsermittlung und fünf Personen wurden per Haftbefehl gesucht. Zudem wurden sechs Gegenstände (fünf Fahrräder und ein Mobiltelefon) aufgefunden, welche zur Fahndung ausgeschrieben waren. In 34 Fällen wurden diverse Gegenstände beschlagnahmt, die als Beweismittel im Strafverfahren dienen (unter anderem betäubungsmittelverdächtige Substanzen, Personaldokumente, amtliche Kennzeichen, sowie ein Schlagring und ein Springmesser).” Womit man bei den oben erwähnten Waffen wäre: ein Schlagring und ein Springmesser.

Und was will die Leipziger Polizei mit diesen Manövern erreichen? – “Die Komplexkontrollen werden auch in den kommenden Monaten fortgesetzt, um den hohen Fahndungsdruck aufrechtzuerhalten und Straftaten vorzubeugen.”

Es ist zumindest ein selten schönes Instrument, um diese Ziele zu erreichen.

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