24.795 Zuschauer erlebten am Sonntag ein berauschendes Fußballfest. RB Leipzig schlug den 1. FC Lok im Zentralstadion mit 3:1 (1:0). Der Viertliga-Rekord lässt in Probstheida die Kasse klingeln, da Rasenball im Wissen um die finanzielle Situation Lok das Heimrecht überließ. Ungetrübt dürfte die Freude beim Traditionsclub dennoch nicht sein.
“119 Jahre Leipziger Fußballtradition” war auf dem Riesenbanner zu lesen, das die Lok-Fans vor Anpfiff präsentierten. Doch ausgerechnet seine Macher bescherten dem Derby einen faden Beigeschmack. Warum friedlich Fußball gucken, wenn man mehr erleben möchte? Erst stachelten Anhänger der rechtsradikalen Ultra-Gruppe “Scenario” sich selbst und andere zu verbaler Gewalt auf: “Wir sind die Krieger, wir sind die Fans, Lokomotive Hooligans.”
Der Schlachtruf schallte bis zur Medientribüne im Oberrang. Dann flogen Böller und Feuerzeuge in Richtung RB-Spieler, die sich in der ersten Hälfte vor der Lok-Kurve aufwärmten. Gegen Ende der Partie legten die Lok-Zuschauer in Richtung RB-Fans verbal nach: “Ihr habt bezahlt, ihr bekommt auf’s Maul.”
Mancher trug dabei seine Einstellung ganz unverhohlen mittels eines Skrewdriver-Logos auf der Brust. Skrewdriver-Sänger Ian Stuart Donaldson gründete das Rechtsrocknetzwerk “Blood & Honour”, dessen deutsche Sektion den NSU unterstützt haben soll. Das das Tragen dieses Shirts einen Verstoß gegen die Stadionordnung der ZSL darstellt, schien am Sonntag niemanden gestört zu haben.
Nach dem Schlusspfiff lieferten sich dann Lok-Fans teils gut alkoholisiert vor dem Stadion Scharmützel mit Ordnern und Polizisten. Steine flogen, Wasserwerfer kamen zum Einsatz. Friedlich scheint mit einigen angeblichen Fans halt nicht zu gehen, eigentlich will da der angestaute Frust über Gott und die Welt nach außen und zum Schaden Dritter an den Mann. Und wenn der Gegnerclub keine eigenen Hooligan-Gruppierung mitbringt, sucht sich der Frust gern ein anderes Ventil.
Die Polizei erstattete 29 Anzeigen. Wegen Raubes, Körperverletzung, Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte. Heute kam eine weitere hinzu. Rechte Lok-Fans hatten wenig später auf der Jahnallee zwei Reporter verbal angegriffen und bedrängt. Mit Benjamin S. (23) konnte jedoch ein Täter identifiziert werden. Dem Hooligan könnte nun neben einem Verfahren wegen Nötigung ein mehrjähriges Stadionverbot drohen.
Während die Rasenballer schon am Montag-Vormittag wieder trainierten, versucht die Lok-Fanszene in einem Internetforum ihr Problem mit Neonazis und Gewalt klein zu reden. “Die Staatsmacht hat ein wenig mit ihren Muskeln gespielt und den Mob gewässert”, meint ein User. “Aber in diesem Fall von Ausschreitungen zu reden, ist doch etwas übertrieben.”
Stimmt – setzte man die Messlatte dafür irgendwo bei brennenden Autos und totgetretenen Polizisten an. Doch nicht zuletzt das sofortige Eingreifen der Einsatzkräfte ließ offensichtlich so manchen am Sonntag zurückzucken.
“Die RB-Spieler haben provoziert”, sucht ein anderer die Schuld beim Gegner. “Nach den Toren sind sie zum Lok-Fanblock gelaufen und haben dort Handzeichen gegeben. Wenn sie angeblich so friedlich sind, weswegen provozieren sie dann? Die wollten, dass etwas passiert. Das war alles von langer Hand durch RB geplant.”
Womit man dann im Reich der Verschwörungstheorien und der Schuldabwälzung angelangt wäre. Klingt fast nach der Frau, die eben vergewaltigt werden wollte, weil sie so ein luftiges Beinkleid trug.
Denn die RB-Anhänger verhielten sich durchweg friedlich, warfen keine Gegenstände auf Lok-Kicker und riefen nicht zu Gewalt auf. Nicht nur die Fans fielen unangenehm auf. Probstheidaer Auswechselspieler und Betreuer trugen neben unzähligen Gästen T-Shirts, die vor dem Spiel von “Scenario” vertrieben worden waren. Das darauf abgebildete Markenlogo des 1. FC Lok jedenfalls darf man so einfach nicht benutzen, geschweige damit Geld verdienen, gibt es schließlich einen Rechteinhaber und nicht zuletzt deshalb die Freigabenotwendigkeit durch den Verein dazu.
Haben Vereinsmitarbeiter mit der Freigabe zur T-Shirt-Produktion und Verkauf an “Scenario” etwa eine rechte Struktur finanziell unterstützt? Erhält der Klub selbst etwas von den Einnahmen, wäre es ebenso seltsam, wie wenn “Scenario” oder einzelne Mitglieder der Ultra-Gruppe das Geld neben der Bannerproduktion vielleicht auch für politische Arbeit nutzen sollten. Nachprüfen könnte dies wahrscheinlich dann niemand. Womit auch die Aussage vom “unpolitischen Verein Lokomotive”, welche Vereinspräsident Michael Notzon noch vor Anpfiff gegenüber L-IZ postulierte schwerlich zu halten wäre. Wie auch die Distanzierung des Lok- Sicherheitschefs und Teammanagers Steffen Kubald vom Fanmarsch gegenüber der LVZ.
Während sich die Lok-Funktionäre Gedanken machen dürfen, wie sie ihr Neonazi-Problem in den Ultra-Kreisen lösen möchten, ist am Cottaweg wieder der Alltag eingekehrt. Die Rasenballer trainierten am Vormittag. Am Dienstag haben sie frei, am Mittwoch steht der allseits gefürchtete Laktattest auf dem Programm. Um im Rhythmus zu bleiben, suchen die Verantwortlichen händeringend einen Testspielpartner. Am Liebsten eine höherklassige Mannschaft. Ursprünglich wollten sie am Freitag gegen Kickers Offenbach antreten. Die Hessen sagten das Match wegen Fanprotesten ab.
In Leipzig nichts Neues.
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