Was ist Moral, was ist rechtens und was vor der Gesellschaft, insbesondere der Familie vertretbar. Darum ging es im Großen und Ganzen bei dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte im Falle der Beschwerde des Leipzigers Patrick S. (36). Er wurde wegen Geschlechtsverkehrs mit seiner leiblichen Schwester Susan (29) mehrmals zu Haftstrafen verurteilt. Das Urteil war eindeutig: Die Beschwerde wurde abgelehnt.
Endgültiges Fazit des Urteils: Inzest bleibt verboten. So hatte Patrick S., der seine Schwester erst im Jahr 2000 kennengelernt hatte, nachdem er bei einer Pflegefamilie aufgewachsen war, vergeblich auf eine Rehabilitation gehofft. Zwischen den beiden entwickelte sich eine Liebesbeziehung. Das Paar lebte mehrere Jahre zusammen und bekam zwischen 2001 und 2005 vier Kinder.
Patrick S. zog in Deutschland bis vor das Bundesverfassungsgericht, das seine Beschwerde im Februar 2008 abwies. Seine Hoffnung wurde von tradierten Vorstellungen, moralischen Werten und dem in vielen Ländern verankerten Recht auf Schutz des Familienlebens zerstört. Die beiden Geschwister haben vier gemeinsame Kinder, von denen zwei behindert sind. Auch dies ein Aspekt, der in dem Urteil Erwähnung fand, belegten laut Gericht doch Studien, dass beim geschwisterlichen Inzest geborene Kinder häufiger von Behinderung betroffen sind.
Zwar gebe es in den 47 Mitgliedsländern des Europarats keinen Konsens bezüglich der Beurteilung von Inzest, wie die Straßburger Richter feststellten. Doch sei gerade das der Grund, warum den deutschen Behörden ein “weiter Beurteilungsspielraum” zustehe. Im übrigen hätten die Gerichte in Deutschland bei der Verurteilung des Klägers eine “sorgfältige Abwägung der Argumente” vorgenommen.
Der Leipziger begründete seine Beschwerde damit, dass die Strafermittlungen der deutschen Justiz seine eigene Familie zerstört hätten. Nach Angaben seines Anwalts trennte sich das Paar aufgrund der Verurteilung des Mannes zu insgesamt gut drei Jahren Haft. Drei der Kinder leben heute in Pflegefamilien, die jüngste Tochter ist bei der Mutter. Laut seinem Dresdner Anwalt wolle man sich nächste Woche beraten, ob man noch weiter gehe und die aus 17 Richtern bestehende Große Kammer des Gerichtshofes für Menschenrechte anrufe. Allerdings, betonte der Anwalt, dass dies noch fraglich sei, da man nicht wisse, ob sein Mandant die Kraft dazu aufbringe. Dafür blieben, laut des Anwaltes von Patrick S. noch drei Monate Zeit.
Verständlich sind die Zweifel von Patrick S., sich einem weiteren Prozess auszusetzen, hat er doch einen wahren Gerichtsmarathon hinter sich. Der zog sich von den Amtsgerichten in Borna und Leipzig bis hin zum Oberlandesgericht Dresden und von Karlsruhe nach Straßburg hin. Insgesamt verbüßte Patrick S. mehr als drei Jahre Haft. 2008 wurde seine Beschwerde vom Bundesverfassungsgericht abgewiesen. Susan S., seine Schwester wurde nicht belangt, weil bei ihr laut Gericht eine “abhängige Persönlichkeitsstruktur verbunden mit einer leichten geistigen Behinderung” vorlag.
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