Das Landgericht Leipzig hat am Montag die Haftstrafen gegen zwei Neonazis bestätigt. Ein dritter Angeklagter wurde zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Die jungen Männer hatten am 1. April 2011 auf dem Geithainer Marktplatz vor einer Pizzeria vier Jugendliche angegriffen, teils vermummt und mit Pfefferspray bewaffnet. Ein Angreifer trug Quarzsandhandschuhe.
Der Angriff galt einem 29-jährigen Geithainer, der sich zur linken Szene zählt. Die Angreifer sprühten ihm Reizgas in die Augen und schlugen zu. Einer zerschmetterte eine Bierflasche auf seinem Kopf. Selbst als er bewusstlos am Boden lag, traten sie weiter auf ihn ein. Er erlitt Schnittverletzungen und Prellungen. Es handelte sich offenbar um einen Vergeltungsakt, denn sie vermuteten irrtümlich, ihr Opfer habe vor zwei Wochen eine Freundin von ihnen attackiert. Zuvor hatten sie in Neukieritzsch einen rechten Vortrag besucht.
Als Richter Michael Dahms um 17:15 Uhr das Urteil verkündete, vergrub Andy K. (23) sein schamrotes Gesicht tief in beiden Händen. Zweieinhalb Jahre soll der Geithainer ins Gefängnis, weil er aus purem Hass politische Gegner angegriffen hat. Die heile Welt des Blondschopfs mit Tunneln in beiden Ohren, den Beobachter zum Führungszirkel der Geithainer Kameradschaft um Manuel Tripp zählen, war soeben innerlich kollabiert. In der stundenlangen Verhandlung hatte er halbherzig versucht, zu retten, was zu retten war.
“Meine Familie geht daran kaputt”, erklärte der Auszubildende. Seit einem halben Jahr habe er angeblich keinen Kontakt mehr zur rechten Szene. Ein unglaubwürdiger Ausstieg: Denn statt reinen Tisch zu machen, wollte er sich auf Nachfragen nicht erinnern, wer das Auto fuhr, mit dem er und seine Kumpels von einem Neonazi-Vortrag in Neukieritzsch zurück nach Geithain gefahren waren. Mehrmals umkurvten sie den Marktplatz, zuletzt mit ausgeschalteten Scheinwerfern. Dann griffen sie an.
Während Andy K. nur einmal vorbestraft ist, darf Albert R. (21) auf eine lange kleinkriminelle Karriere zurückblicken. Neun Eintragungen im Bundeszentralregister sprechen für sich: Sachbeschädigung, Beleidigung, Bedrohung, Körperverletzung. Fünf Mal wurde der Lunzenauer mit langem Kinnbart und Piercings im Gesicht wegen Gewaltdelikten verurteilt. Zurzeit verbüßt er eine 18-monatige Jugendstrafe, weil er im Mai 2010 einen Punker bei einem Angriff schwer verletzt hatte. Sein Hass auf Ausländer und Andersdenkende zieht sich wie ein roter Faden durch seine Akte. Er warf das Schaufenster eines von Migranten geführten Geschäfts ein, verklebte Nazi-Sticker in der Lunzenauer Sparkasse, verprügelte politische Gegner.
Die Justiz ging ausgesprochen milde mit ihm ins Gericht. Immer wieder kam er mit Arbeitsstunden davon. Ihm wurde ein Sozialarbeiter zugewiesen. Im März 2009 schickte ihn der Jugendrichter für drei Wochen ins Gefängnis, nachdem er eines seiner vielen Opfer mit einem Teleskopschlagstock zusammengeschlagen hatte. Gefruchtet haben die erzieherischen Maßnahmen nicht. Albert R. zeigte sich unbeirrt, beantragte seine vorzeitige Entlassung. Gegenüber dem zuständigen Gericht erklärte er, er würde nur wegen “Pillepalle” einsitzen.
Nach dem Angriff auf den Punker im Mai 2010 wanderte er in U-Haft. Das Amstgericht Chemnitz ließ ihn Ende Oktober mit einer Bewährungsstrafe davonkommen. Er machte weiter wie bisher. Im November brach er nach einem Aufmarsch in Döbeln zusammen mit anderen Kameraden aus dem Polizeikessel aus, wahrscheinlich um den Kontakt mit Neonazi-Gegnern zu suchen. Nachdem ihn das Chemnitzer Landgericht in der Berufungsverhandlung Ende März zu 18 Monaten Haft verurteilte, zerbrach seine Beziehung. Seine Maler-Ausbildung musste er abbrechen. Nur einen Tag später der nächste Angriff. Mehrere Gerichte attestierten ihm schädliche Neigungen. Während Dahms seine Urteile verliest, drängt sich der Eindruck auf, als würde auf der Anklagebank eine tickende Zeitbombe sitzen, die irgendwann gewaltig explodieren wird. Offenbar fällt es ihm schwer, zwischen Recht und Unrecht zu unterscheiden. In Haft bot man ihm eine Sozialtherapie an, damit er sein Gewaltproblem in den Griff bekommt. Er lehnte ab: “Ich lass mich nicht auf eine Ebene stellen mit Sexual- und Gewaltstraftätern.”
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Die Biografie von Albert R. ist nicht gerade rosig. Seit der 2. Klasse leidet er an ADHS, was ihn entscheidend seinen Werdegang prägt. Wegen seinem auffälligen Verhalten musste er mehrfach die Schule wechseln. Die 5. Klasse wiederholte er. Zu guter Letzt landete er an einer Lernförderschule in Burgstädt, die er mit dem Hauptschulabschluss verließ. Im Anschluss fand er eine Ausbildung. Nicht in einem Malerbetrieb, sondern einem Berufsbildungsverein. Mit seinem Freundeskreis verbindet ihn vor allem die rechte Gesinnung. Nun stehen ihm 4 Jahre und 8 Monate Haft bevor.
Anders Rico G. (21). Der Geithainer entstammt kleinbürgerlichen Verhältnissen und kann auf eine geradlinige Biografie zurückblicken. Nach dem Realschulabschluss absolvierte er eine Lehre zum Gerüstbauer. Wenngleich er nach eigenem Bekunden mit der rechten Szene nichts mehr zu tun haben möchte, zählen ihn Beobachter weiterhin zum harten Kern des “Freien Netz Borna/Geithain”. “Ich wollte meinen Freunden helfen”, beteuerte er vor Gericht. Dass die seine Hilfe benötigten, nahm ihm Staatsanwalt Dr. Brückner nicht ab: “Einziges Motiv ist die politische Einstellung einer Gruppe, die vor der Pizzeria stand.” Die Kammer ersparte ihm trotzdem die schwedischen Gardinen. Es habe sich bei seinem Tatbeitrag um eine “typische Jugendverfehlung” gehandelt, weshalb das mildere Jugendstrafrecht anzuwenden sei. Sie verurteilte ihn zu zwei Jahren auf Bewährung. Außerdem soll er 120 Stunden gemeinnützige Arbeit leisten.
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