Mahmoud Abu Khater lacht, obwohl die Lage alles andere als lustig ist. Aber was soll man machen, sagt er, es ist absurd. Abu Khater ist Chefarzt der Neurochirurgie im Al Aqsa-Krankenhaus in Deir al-Balah, einer Stadt im Süden des Gazastreifens. Wie viele Menschen vor den israelischen Angriffen aus dem Norden hierher geflohen sind, lässt sich nicht zählen.
Der erste Videoanruf mit Mahmoud Abu Khater ist verpixelt und abgehackt. Ob es an seiner oder an meiner Internetverbindung liegt, weiß ich nicht. Abu Khater ist eigentlich gerade in einer Besprechung mit einigen Kollegen, trotzdem ruft er mich zwischendurch an. Auch beim zweiten Versuch ist er noch im Krankenhaus, diesmal in einem Hinterzimmer in der Notaufnahme.
Zwischendurch dreht er die Kamera und zeigt mir seine Kollegen. Der eine sei seit drei Tagen im Dienst, der andere habe seit Beginn des Krieges das Krankenhaus nicht verlassen. Wir heben die Hand und begrüßen uns: „Salaamu-aleikum“.
Seit dem 7. Oktober und dem Beginn des Krieges erreichten uns Bilder aus dem Al-Shifa-Krankenhaus und anderen, wo Patient*innen auf dem Boden liegen müssen, wo mehr als hundert Menschen bereits gestorben sind. 30.000 Tonnen Sprengstoff hat Israel zur Bombardierung Gazas genutzt. 50 Prozent der Häuser sind zerstört, mehr als 2,3 Millionen Menschen auf der Flucht, mehr als 11.300 Palästinenser*innen sind gestorben.
Woran mangelt es, will ich zuerst wissen. Abu Khater lacht. Die Frage müsse anders lauten: Woran mangelt es nicht? „Wir haben keinen Strom, kein Wasser, kein Öl, keine Medikamente, keine Instrumente, gar nichts. Wir haben nur Luft. Und die ist auch verseucht“, so Abu Khater.
Von Deutschland nach Palästina
Mahmoud Abu Khater wurde in Gaza geboren und absolvierte in Deutschland sein Abitur. Zum Studium kam er nach Leipzig. Er wurde renommierter Arzt, veröffentlichte in unterschiedlichen Zeitschriften. 20 Jahre lebte er in Deutschland und nahm die deutsche Staatsbürgerschaft an, bevor er vor rund 10 Jahren nach Gaza zurückging.
Auch in Israel lebte Abu Khater. Er hatte dort viele Freunde, so sagt er mir. Dass die beiden Völker sich nun gegenseitig kaputt machen, findet er schade.
„Gewalt erzeugt Gegengewalt“, so Abu Khater. „Stellen Sie sich vor: Die Leute, die Familienmitglieder verloren haben, haben nur Wutanfälle. Ich weiß nicht, ob die Berater von den israelischen Politikern kopflos sind. Die Gewalt erzeugt nur Wut und Hass gegen andere Menschen. Das will keiner. Es braucht vernünftige Politiker auf beiden Seiten.“
Er wolle jetzt, wie viele andere, so erzählt er, weg aus Gaza und mit seiner Familie nach Deutschland kommen, damit seine Kinder in Frieden aufwachsen können. Doch trotz deutscher Staatsbürgerschaft tut sich nichts. Ohne das Auswärtige Amt und die Zustimmung israelischer Behörden sei es unmöglich, das Land zu verlassen.
Permanente Lebensgefahr
„Wir haben viele Menschen, die aus dem Norden in den Süden gekommen sind“, so Abu Khater. „Deshalb ist die Zahl der Patienten um das Zehnfache, wenn nicht sogar mehr gestiegen. Wir brauchen deutlich mehr Instrumente, Medikamente und Intensivbetten. Vor allem an Intensivbetten fehlte es. Während drei Tagen musste die Patienten sterben, weil wir keine Operationen machen konnten. Wir verloren um die 15 bis 18 Patienten pro Tag, weil wir keine Intensivbetten hatten.“
Deir al-Balah liegt im Süden des Gazastreifens. Nachdem die israelische Armee kommuniziert hatte, dass alle Einwohner des Nordens sich in den Süden begeben sollen, kamen hier immer mehr Binnenvertriebene an. Humanitäre Hilfen kommen nur noch sporadisch in den Gazastreifen.
Das UN-Hilfswerk warnte nun, dass ihr Treibstofflager fast leer sei. Man werde in den kommenden zwei Tagen nicht mehr in der Lage sein, Krankenhäuser zu versorgen, Abwasser zu beseitigen und Trinkwasser bereitzustellen, so ein Sprecher der UN am Montag.
Auch Mahmoud Abu Khater selbst musste sein Haus verlassen. Ob es woanders sicherer sei, wisse man aber nicht. Überall sei man in Lebensgefahr. Wenn man in ein Haus hineingehe, wisse man nie, ob man lebendig oder tot herauskomme. Auch in Deir al-Balah gibt es immer wieder Raketenangriffe des israelischen Militärs.
„Es braucht endlich Frieden. Das bedeutet nicht nur, dass es keinen Krieg gibt, sondern dass es einen wirtschaftlichen Aufschwunggibt, ein Ende der 17-jährigen Blockade und – was für uns sehr wichtig ist – dass wir wie alle anderen Völker auf diesem Planeten leben dürfen. Wir haben keine hohen Ansprüche. Wir wollen einfach wie normale Menschen leben“, so Abu Khater.
„Auf beiden Seiten will die absolute Mehrheit der Menschen Frieden. Es ist die Mehrheit. Ich habe auch in Israel gearbeitet und dort viele Freunde gehabt. Warum sollen wir uns kaputt machen und die anderen Völker schauen uns dabei an? Wir dürfen das nicht zulassen. Bei einem Krieg kann es keine Gewinner geben.“
Kein Frieden in Sicht
Ein Frieden ist jedoch momentan nicht in Sicht. Das israelische Militär tötete bisher rund 11 300 Palästinenser*innen. Die UN spricht von einem drohenden Genozid. Der Angriff der Hamas am 7. Oktober, bei dem 1200 Menschen umgebracht wurden, hat sich eingebrannt.
Er lässt die israelische Regierung Vertreibungs- und Vernichtungsreden halten, das Militär führt aus. Israelische Politiker*innen sind in dieser Hinsicht klar: Es geht nicht nur um eine Zerstörung von Hamas, sondern um die Vertreibung und Vernichtung der Palästinenser*innen.
So sagte Ghassan Alian, Generalmajor der israelischen Armee am 9. Oktober in einer Ansprache: „Tiermenschen werden entsprechend behandelt, ihr wolltet die Hölle und ihr kriegt die Hölle.“
Yoav Gallant, der Verteidigungsminister Israels sprach am 9. Oktober in einer Fernsehansprache davon, dass es keine Strom- und Lebensmittelversorgung mehr geben werde. Es gebe keine unschuldigen Palästinenser*innen (Jitzchak Herzog, Präsident Israels, 13. Oktober in einer Pressekonferenz), man werde „Gaza dem Erdboden gleichmachen“ (Tally Gotliv, Knesset Abgeordnete der Likud-Partei, 9. Oktober auf X), es zu einer „Insel aus Ruinen“ machen (Benjamin Netanjahu, Premierminister Israels, 8. Oktober in einer Fernsehansprache). Der Sprecher der israelischen Armee Daniel Hagari sagte am 10. Oktober in der Zeitung Haaretz: „Wir werfen hunderte Tonnen von Bomben auf Gaza. Der Fokus liegt auf Zerstörung, nicht auf Genauigkeit.“
6.407 Palästinenser*innen wurden durch israelische Angriffe in den letzten fünfzehn Jahren getötet. In derselben Zeit registrierte die UN 308 getötete Israelis. Seit 2005 Jahren wurde maßgeblich von Israel eine Land- und Seeblockade errichtet, die sich maßgeblich auf die Grundversorgung in Gaza auswirkt.
Man wisse nicht, was kommt, so Abu Khater. Er hoffe aber auf einen baldigen Waffenstillstand, damit seine Kinder in Frieden aufwachsen können.
Abu Khater arbeitet weiter, während die beiden größten Krankenhäuser in Gaza, das Al-Shifa- und das Al-Quds-Krankenhaus ihren Betrieb einstellen mussten. Während Menschen unter den Händen von Ärzt*innen und Pfleger*innen sterben und das Al-Shifa Krankenhaus 179 Personen in einem Massengrab beerdigen musste.
Während das israelische Militär in das Al-Shifa Krankenhaus eindringt, wo noch immer Patient*innen und tausende Schutzsuchende sind. Die Hamas weist den Vorwurf zurück, Krankenhäuser als Kommandozentralen zu benutzen und wirft Israel und den USA vor, damit ihre „brutalen Massaker“ zu rechtfertigen.
„Ich bin Arzt“, so Mahmoud Abu Khater. „Ich kämpfe um jedes Blutströpfchen. Und auf einmal gibt es so viele Tote. Was soll ich sagen …“