Seit 2022 hat das Schauspiel Leipzig das Shakespeare-Stück „Romeo und Julia“ in der Inszenierung von Pia Richter im Programm. „In einer Zeit, in der die romantische Liebe zwar noch als Sehnsuchtsort die Kinokassen füllt, im sogenannten echten Leben oft mit Zynismus quittiert wird; was begeistert also nach wie vor an Shakespeares berühmtestem Liebespaar? Sind Romeo und Julia in ihrer radikalen Selbstaufgabe heute der progressive Gegenentwurf?“, kommentiert das Schauspiel diese Inszenierung. „Für das Schauspiel Leipzig befragt Regisseurin Pia Richter diesen Klassiker neu.“

Die einen Kritiker meinten, wie vom Schauspiel auf seiner Website zitiert, der Stoff sei dabei nicht verraten worden, die anderen freuten sich, „dass die Inszenierung in den richtigen, den wichtigen Momenten Shakespeares Text vertraut“, die nächsten meinten: „Richter verfolgt die Grundsatzfrage, welche Wirkungen dieses Schlüsselpaar der popkulturellen Bilderbuchliebe entfaltet.“

Aber was fangen Schüler/-innen einer 9. Klasse mit dem Stück an, wenn sie eigentlich das Shakespearesche Original sehen wollen, mit dem sie sich im Unterricht beschäftigt haben? Bei einer 9. Klasse jedenfalls war die Enttäuschung nach dem Besuch der Inszenierung riesengroß. Und nicht nur bei ihnen, sondern auch bei ihrem Deutschlehrer.

„Ich schicke Ihnen, als Leserbrief, eine Rezension der aktuellen Inszenierung Romeo und Julias im Leipziger Schauspiel. Ich, als Deutschlehrer, war hart enttäuscht und erschüttert, wie vulgär dieses Stück war. Meine Klasse war ebenfalls so unzufrieden, dass ich diesen kurzen Brief verfasste. Ich hoffe, die Bewertung entspricht Ihren Erwartungen und bringt einen Impuls für klassische Inszenierungen.

Verbleibend mit den besten Wünschen
Kevin Markus Oelsner“

Die Rezension des Stücks

Der Hass auf Romeo

Leipzig, 13. III. 2025, die ersten Kritiken der 9. Klasse. Ihre Blicke wirkten enttäuscht, teilweise wütend, manche lachten: „Ich habe es mir schon anders vorgestellt. Ich dachte, sie tragen so Kleider.“ Sie hofften auf eine „schöne Julia“. Doch heute hatte sie einen Bart, heute trugen die Männer Kleider, heute kamen alle Schauspieler*innen aus einer Vagina eines rosa Bären. Unvorstellbar? Nein, eine Aufführung von Romeo und Julia.

Die Schauspieler*innen schrien im Chor das Publikum an, ebenfalls in eigentlich leisen Szenen, sie zeigten offen und mit Freude den Mittelfinger und glücklicherweise lernten die Schüler, die erst das Werk in der Schule lasen, drei neue Fäkalwörter. Es war für die Kinder schwierig, zu folgen. In der letzten Reihe bemerkte der aufmerksame Zuschauer, dass sich links die Beiden der Feuerwehr über das Stück lustig machten; dass in der Mitte die Angestellten der Technik, wie auch manche Schüler, sich lieber ihrem Handy zuwandten, als dem Stück zu folgen. Nur kurz gehen die Blicke hoch, weg vom Bildschirm: das Wort „ficken“ fiel. Lustig, oder?

Romeo und Julia gehört zu dem Muster der klassischen Literatur, welche immer wieder neu aufgelegt, gespielt und inszeniert wird. Die Namen ziehen. Die Zuschauer haben Erwartungen an das Stück. Aber die Regisseure, hier in Leipzig Pia Richter, wollen scheinbar mit der Idee, das Werk in das Hier und Jetzt zu ziehen, in die Ewigkeit aufsteigen.

Es muss in unsere heutige Gesellschaft passen: Natürlich küssen sich nicht nur zwei Männer. Nein! Jeder muss mal mit jedem schlafen. Die Schauspieler*innen wechseln die Rollen und dazu ihre Geschlechter, ganz normal und das im Minutentakt: Julia ist eine dünne Frau, ein dicker, bärtiger Mann, dann fünf Personen parallel.

Ich sehe es, ich hasse es. Ich werde wieder belehrt, dass die 2er heterosexuelle Ehe langweilig sei, dass sie mich, nein, alle unterdrückt. Ich bin schwul, verlobt mit einem Mann und ja, auch mich stört es, wenn Romeo und Mercutio sich küssen, da es nicht mehr das Stück ist, was ich bezahlte. Alles wird verzerrt, sodass nur noch die Namen übrigbleiben. Pia Richter machte das, was nun jeder Regisseur scheinbar will. Sie versteckt sich hinter einem großen Namen, heute war es Shakespeare. Die Moderne wird einem aufgezwungen, das Politische ins Gesicht geschlagen.

Muss Faust BWL studieren?

Muss Wilhelm Tell in einer Fabrik arbeiten?

Muss der Vater von Julia diese küssen und zärtlich im Schritt berühren? Eine Idee, welche 2009 schon in Altenburg umgesetzt wurde.

Es werden klassische Werke zerstört, weil wir sie nicht klassisch sein lassen, aber die Sehnsucht nach klassischen Inszenierungen ist groß: Lehrer, Schüler, Erwachsene sehnen sich nach einem Balkon, nach mittelalterlichen Kleidern und deren Sprache. Wir wollen ins Verona des 16. Jahrhunderts und nicht in die Gosse von 2025.

Es ist sicherlich verständlich, dass nicht jede Szene gespielt werden muss, da dann schnell vier Stunden überschritten sind. Aber in Potsdam wurde vor Jahren Kabale und Liebe gespielt, nicht jede Szene war vertreten, der Kammerdiener fehlte, aber das Publikum war im 18. Jahrhundert.

Moderne Stücke sollen moderne Themen aufgreifen. Autoren sollen über ihre heutigen Themen, wie Gendern, Geschlechtswechsel, Homosexualität, Krieg und Hass schreiben. Beispiele sind „Die Ermittlung“ (1965) über Auschwitz oder „Rhythm is a Dancer“ (2024) über die Corona-Politik. Lasst diese Stücke modern sein, aber gebt uns die Klassik zurück! Gebt uns den klassischen Wallenstein, Hamlet oder Maria Stuart. Versucht es, wir wollen es!

Was war nun das Ende des Abends? Die Schüler suchten das Positive: „Wenigstens waren wir mal wieder zusammen, aber das nächste Mal, können wir da was anderes machen? Döneressen?“

Das Resümee eines Theaterabends – Döner … Ist dies das Ziel?

Der Schule und den Eltern wird vorgeworfen, dass das Theater sterbe, da es beiden Institutionen an „kultureller Prägung“ mangele. Aber ist es nicht die mangelnde kulturelle Prägung der Inszenierungen? Wen wundert es nun, dass Amazon und Netflix gegen das Theater gewinnen?

In Bridgerton tragen sie wenigstens schöne Kleider …

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