Anfang des Jahres hat Clara Sjölin die Aufgabe der künstlerischen Leitung der Juniorcompany der Älteren am Leipziger Tanztheater (LTT) übernommen. Die gebürtige Schwedin tritt damit in die Fußstapfen von Bettina Werner, welche lange Jahre die künstlerische Leitung der 14–18-Jährigen am LTT innerhatte. Mit ihrem Stück „Plaza“ feiert Sjölin am 14. Juni Premiere. Wir haben vorab mit ihr über die Produktion gesprochen, über die Herausforderungen ihrer neuen Aufgabe und darüber, das Leben im Fluss zu verstehen.
Hallo Clara, du bist die neue künstlerische Leiterin der Juniorcompany der Älteren am Leipziger Tanztheater (LTT). Wie fühlst du dich inzwischen mit dieser Aufgabe? Bist du gut „angekommen“?
Im Prinzip arbeite ich schon seit Beginn dieses Jahres als künstlerische Leiterin. Im letzten Jahr habe ich viele Monate parallel mit Bettina Werner, der Mitgründerin der Juniorcompany und meiner Vorgängerin, gearbeitet. So konnte ich mich gut eingewöhnen in diese neue Aufgabe, es war ein fließender Übergang. Die Tänzer*innen wussten schon lange Bescheid, dass ich den Posten übernehmen würde, aber jetzt erst mit der Premiere machen wir es öffentlich.
Ich bin sehr glücklich und dankbar, dass man mir diese Aufgabe zutraut. Ich fühle mich wohl damit, aber es gab und gibt natürlich auch einige Herausforderungen zu bewältigen: Es ist eine große Gruppe, die ich leite. In der Juniorcompany der Älteren betreue ich momentan 42 Tänzer*innen im Alter von 14 bis 18 Jahren. Das ist auch auf sozialer Ebene manchmal herausfordernd.
Und natürlich spüre ich Erwartungen, die an mich gestellt werden. Meine Herangehensweise ist eine andere, als die von Bettina. Das macht allein schon unsere unterschiedlichen Hintergründe aus. Es brauchte also auch das Vertrauen der Jugendlichen, sich auf meinen Stil einzulassen. Wir haben auf jeden Fall ein wenig Zeit gebraucht, um einander besser zu verstehen.
Du hast Verantwortung für Jugendliche und gehörst somit auch zu den Personen, die Einfluss haben auf die Entwicklung dieser jungen Menschen. Ist dir das während deiner Arbeit bewusst?
Natürlich. Manchmal ist es schwer, das richtige Verhältnis zu den Jugendlichen zu finden. Es betrifft die Frage von Autorität. Ich gewöhne mich an diese Rolle, in der ab und zu von mir erwartet wird, auch mal durchzugreifen. Bisher habe ich vor allem mit erwachsenen Tänzer*innen gearbeitet, das läuft anders ab. Es ist mir wichtig, einen Raum von gegenseitigem Respekt zu schaffen, in welchem gleichzeitig klare Regeln gelten. Das ist einfach ein Lernprozess.
Vor einigen Monaten beispielsweise war die Beteiligung an den Proben sehr gering. Ich wusste noch nicht genau, wo es hingehen würde mit dem Stück und hätte die Tänzer*innen in diesem Prozess gebraucht. Ich fühlte mich unsicher und bin schließlich in einer Probe sehr emotional geworden. Erst, als ich meine Enttäuschung so offen zeigte, wurde den Jugendlichen anscheinend wirklich klar, wie wichtig diese Proben für mich sind und wie wichtig jede*r einzelne Tänzer*in für das gesamte Stück ist.
Trotzdem hoffe ich natürlich, in Zukunft auch ohne solche Gefühlsausbrüche auszukommen. Ich navigiere durch meine Rolle als Leiterin und versuche, die Machtdynamik in diesem Kontext zu verstehen, was nicht einfach ist. Ich habe gemerkt, wie notwendig es manchmal ist, sie einzusetzen, aber gleichzeitig möchte ich diese Machtposition, in der ich mich befinde, auf keinen Fall ausnutzen. Ich habe Verantwortung für die Jugendlichen, damit möchte ich nicht spielen.
Du hast vorhin kurz auf deinen tänzerischen Hintergrund angespielt. Kannst du ein wenig mehr erzählen über dienen Werdegang?
Klar, gern. Ich bin aufgewachsen in Nordschweden und eigentlich habe ich schon immer getanzt. Dort in der Gegend sind die Möglichkeiten allerdings begrenzt, weshalb ich mit 16 Jahren nach Göteborg gezogen bin, um dort mein Abitur mit dem Schwerpunkt Tanz zu absolvieren.
Nach dem Abschluss habe ich am Trinity Laban Conservatoire of Music and Dance in London meinen Bachelor gemacht und bin schließlich nach Leipzig gekommen. In den letzten Jahren war ich Teil von verschiedenen Produktionen und habe eigene Stücke erarbeitet. Für diese eigenen Kreationen brenne ich wohl am meisten (lächelt).
CS: Dieser Prozess war spannend. Zu Beginn habe ich alles so gemacht, wie ich es gewöhnt war aus der Arbeit mit Professionellen (und Erwachsenen). Für beide Seiten war das neu, wir mussten zum Teil umdenken. Meine Arbeitsweise ist weniger festgelegt, denke ich. Ich arbeite gern mit der Gruppe zusammen. Meist komme ich mit einer Idee, mit einem Bild in meinem Kopf und weiß selbst noch nicht, wie das „Endprodukt“ aussehen wird. Wahrscheinlich sind die Tänzer*innen inzwischen genervt von dem Wort „ausprobieren“ – das habe ich in den letzten Monaten sehr oft gebraucht (lacht). Aber das ist tatsächlich die Art, wie es für mich funktioniert.
Manchmal mache ich auch Kameraaufnahmen, schaue mir alles in Ruhe noch mal an nach der Probe und merke- so, wie es in meiner Vorstellung aussah, funktioniert es nicht. Und dann verändern wir es. In diesen Prozess habe ich die Tänzer*innen einbeziehen müssen. Das alleine herauszufinden war oft keine Option. Das hat am Anfang schon für Verunsicherung gesorgt. Ich habe nicht die Erwartung, von Beginn an das Ende eines Stücks zu kennen, meist aber ein großes Vertrauen darin, dass es zusammenkommen wird.
Ich denke, deshalb habe ich auch einen hohen Anspruch an die Bereitschaft der Jugendlichen. Manchmal komme ich nicht weiter damit, mir die Choreographie zu Hause auszudenken. Ich brauche die Tänzer*innen, um voranzukommen und möchte, dass sie ihre Ideen einbringen.
In wenigen Wochen steht die Premiere von „Plaza“ an – bist auf aufgeregt?
Natürlich (lacht). Vor ein paar Monaten aber war die Aufregung viel größer. Ich war einfach nicht sicher, ob es wirklich klappen würde. Inzwischen habe ich verschiedene Rückmeldungen, auch von meinen Kolleg*innen, bekommen. Sie haben mir das Gefühl gegeben, dass es zusammenkommen wird. Das hat mich sehr beruhigt. Trotzdem gibt es immer ein gewisses Maß an Unsicherheit bei dem, was man schafft. Im Moment bin ich zum Beispiel so sehr in den Prozess vertieft, dass ich mich blind fühle und noch nicht wirklich klar sehen kann, was ich kreiere.
Worum geht es in dem Stück?
Zuallererst geht es um den öffentlichen Platz, den „Plaza“. Vor etwa einem Jahr habe ich einen Freund besucht in Wien. Er hatte eine Performance, die über mehrere Stunden auf einem großen Platz in der Stadt aufgeführt wurde. Ich habe an diesem Tag sehr lange dort gesessen und das Treiben beobachtet – nicht nur die Aufführung, sondern die Menschen, die kamen und gingen, die Interaktionen. Ich würde sagen, das war der erste Impuls für das Stück „Plaza“. Das Stück ist übrigens auch ziemlich humorvoll. Ich beabsichtige das meist nicht, aber diese witzigen Elemente finden sich fast immer in meinen Stücken.
Es geht um die Begegnung mehrerer Gruppen, nennen wir sie „Gangs“. Jede Gang hat eine eigene Art, sich zu bewegen, einen eigenen Ausdruck, eigene Kostüme. Im Laufe des Stücks stellen wir uns die Frage: Wie können diese Gruppen miteinander verschmelzen und wer bin ich in dieser Konstellation?
Es dreht sich um eine Entwicklung, die zumindest ich in der Gesellschaft denke wahrzunehmen: eine Trennung bzw. der „Trend“ zum Binären und zur Polarisierung. Im Moment bin ich es sehr leid, dass wir uns gegenseitig so gespalten sehen. Sobald man eine bestimmte Meinung äußert, steckt man in einer Schublade.
Gehört man zu einer bestimmten Gruppe, werden einem automatisch weitere Eigenschaften zugeschrieben. Ich mag diese Kategorisierung nicht, ich interessiere mich für die Nuancen dazwischen. Ich denke, wir sind viel mehr als das eine oder das andere. Das ganze Leben ist fließend und ständig in Bewegung.
Wo liegen deiner Meinung nach die Gründe für diese Polarisierung?
Meiner Meinung nach hat das mit der Suche nach Sicherheit und Stabilität zu tun. Mit dem Thema habe ich mich auch in meiner Masterarbeit auseinandergesetzt. Wir Menschen halten an Dingen fest, weil es uns (vermeintlich) Stabilität und Kontrolle gibt. Vielleicht kämen wir jedoch besser zurecht, wenn wir akzeptierten, dass sich die Welt im Fluss befindet. Vielleicht müssen wir diese Sicherheit in anderen Bereichen finden. Das ist natürlich anwendbar auf alle möglichen Bereiche des Lebens – Beziehungen, Arbeitsverhältnisse und und und.
Wie gehst du an ein neues Stück heran? Was kommt zuerst – die Tanzschritte, die Handlung, die Musik?
Die Musik spielt eine große Rolle dabei. Eigentlich suche ich immer aktiv nach neuer Musik. Die erste Phase in der Erarbeitung eines neuen Stückes ist eine Art „Bilder-Sammlung“ – Eindrücke, die auf Reisen oder im Alltag auf mich einwirken. Diese sind sehr oft mit bestimmten Liedern verbunden. Dieser Prozess kann lange andauern, aber es macht mir sehr viel Freude.
Dann brauche ich aber auch recht schnell das Ausprobieren im Tanzsaal. Ich weiß noch – im September, bevor wir mit den Proben begannen, fragte ein Tänzer meiner Gruppe, ob das Stück schon fertig sei. Ich musste lachen, denn natürlich war es noch lange nicht soweit. Für mich passiert das mehr in der Praxis, obwohl ich natürlich auch viele Notizen mache. Und jetzt feiern wir bald Premiere (lächelt).
Gibt es bis dahin noch viel zu tun?
Wir müssen das Ende noch proben (lacht). Oder sagen wir besser: Ich bin noch nicht ganz zufrieden mit dem Ende. Deshalb werden wir in den nächsten Proben noch mehr ausprobieren. Für mich ist ein Stück eigentlich nie ein fertiges „Produkt“. Wenn wir „Plaza“ im nächsten Jahr wiederaufführen, werde ich sicher einige Dinge daran verändern.
Hast du Wünsche oder auch konkrete Pläne für die Zukunft am LTT?
Ich habe einen Wunsch für die Zukunft: Ich würde mich sehr freuen, wenn wir unsere Arbeit auch mal außerhalb von Leipzig umsetzen könnten. Eine Jugendtanzgruppe dieser Größe ist generell ziemlich einzigartig, denke ich. Für mich hat die Company so viel Potenzial, die Strukturen, die über die Jahre hier aufgebaut wurden, sind fantastisch.
Was wohl schwieriger umzusetzen sein wird, ist, dass ich die Tänzer*innen gern noch öfter hier bei den Proben hätte. Die Jugendlichen sind natürlich aber auch abseits vom Tanzen viel beschäftigt – allein schon mit der Schule.
Für mich persönlich und für meine künstlerische Entwicklung wünsche ich mir, noch mehr zu lernen, mich auf wenige Dinge zu fokussieren. Tief in eine Sache zu gehen. Manchmal möchte ich viele viele Dinge auf einmal in eine Produktion einbringen, das kann auch mal unübersichtlich werden. Daran möchte ich arbeiten (lächelt).
Empfohlen auf LZ
So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:
Keine Kommentare bisher