Einst eine Markthalle, später ein Kino, heute eine perfekte Symbiose: Das Gründerzeitgebäude in der Konradstraße 27, das im Obergeschoss das Ost-Passage Theater (OPT) beherbergt. Unten ALDI, oben Kultur – direkt neben der wuseligen Eisenbahnstraße gelegen und damit mitten im Geschehen des Leipziger Ostens. 2011 konnten die Mitglieder der gemeinnützigen Initiative Ost-Passage Theater e. V. den damaligen Hauseigentümer von ihrer Idee eines Nachbarschaftstheaters überzeugen.
Doch es sollte noch sieben Jahre dauern, bis das OPT schließlich am 9. März 2018 seine feierliche Eröffnung feiern konnte. Seitdem ist das Theater fester Bestandteil des Leipziger Kulturlebens. Gut 200 Veranstaltungen in den Bereichen Theater, Film, Musik, aber auch Workshops, Lesungen und Diskussionen finden inzwischen jährlich in den Räumlichkeiten unter der sogenannten „Schillerdecke“, einem tonnenförmigen Dachkonstrukt aus Betonbindern, statt.
„Wir machen das jetzt selbst!“
Wenige Stunden vor unserem Besuch waren unter ebenjener historischen Decke Medien-Vertreter*innen und Akteur*innen der Kultur- und Literaturszene eingeladen zur Pressekonferenz im Vorfeld der Leipziger Buchmesse 2024. Der Saal, in welchem 96 Personen Platz finden, summt noch immer von Gesprächen und Vorfreude. Daniel Schade, der sich beim OPT unter anderem um die Öffentlichkeitsarbeit kümmert, führt uns deshalb für ein wenig Ruhe die schmale Treppe neben der Bar hinauf in das kleine Büro, welches zu Kinozeiten als Vorführraum diente.
Daniel ist seit den frühen Anfängen des Theaters Teil des Teams. „Viele unserer Mitglieder kommen aus der Freien Theaterszene. Das bedeutete oft: Kein fester Spielort, Improvisation und die ständige Suche nach Proberäumen. Irgendwann hatten die meisten die Nase voll von diesem ‚Garagendasein‘. Wir waren schon damals ein recht tatkräftiger Haufen und haben kurzerhand beschlossen: ‚Wir machen das jetzt selbst!‘“ Der Grundgedanke dabei: ein Spielort für das Viertel zu sein.
„Wir wollten keine Konkurrenz in der hiesigen Theaterszene darstellen, sondern eine Ergänzung. Deshalb haben wir uns bewusst für den Standort im Leipziger Osten entschieden. Zu der Zeit, als wir uns hier angesiedelt haben, gab es vor Ort keine anderen gewachsenen Strukturen im Bereich Theater. So konnten wir diesen Raum schaffen, der auch offen ist für die Ideen und Energien der Nachbarinnen und Nachbarn und für alle, die sich einbringen wollen. Deswegen nennen wir uns ‚Nachbarschaftstheater‘.“
Aus Lust und Laune
Ganz ohne Hürden war dieser Weg jedoch nicht zu bewältigen. Erst, nachdem der Hauseigentümer nach Jahren der tatenlosen Versprechungen wechselte, konnte es vorangehen mit dem Ausbau der Räume – damals zunächst ohne weitreichende finanzielle Mittel, dafür aber mit einer Unmenge an Ideen und Tatendrang. Angefangen mit ausschließlich ehrenamtlicher Arbeit, können heute ca. 3,25 Personalstellen finanziert werden. Dazu hat auch eine institutionelle Förderung durch das Leipziger Kulturamt seit 2020 beigetragen. Der Großteil der Arbeit findet jedoch nach wie vor im Ehrenamt statt.
„Wenn die Menschen hier sind, dann, weil sie Lust darauf haben, sich einzubringen und nicht, weil sie müssen“, erzählt Daniel. „Das macht einen großen Teil der Zusammenarbeit aus.“ Neben den heute 14 Mitgliedern im Kernteam beteiligen sich regelmäßig zahlreiche weitere Personen in offenen Arbeitsgruppen oder decken Abenddienste ab. Viele von ihnen kommen aus dem direkten Umfeld und können so einen Anschluss zum Theater finden, auch wenn sie vielleicht (noch) nicht auf die Bühne wollen.
„Das sind oft sehr besondere Momente: wenn Menschen zum ersten Mal in ihrem Leben auf der Bühne stehen und sich selbst neu erleben.“ So zum Beispiel auch in dem in Kooperation mit dem Pöge-Haus sowie dem MIO-Mädchentreff laufenden Projekt „Mädchen* machen Musik und Theater“, das Mädchen* zwischen acht und 13 Jahren mittels Theaterspielen und transkulturellen musikalischen Methoden den Raum eröffnet für Improvisation und die Lust am Spielen.
Von den Leipzigerinnen und Leipzigern wird das „OPT-Konzept“ gut angenommen. Viele Veranstaltungen sind bis auf den letzten Platz ausverkauft. Auch die Vertreibung aus seinen Räumen, wie es vielen subkulturellen Initiativen und Gruppen im Leipziger Osten momentan passiert, muss der Verein derzeit nicht befürchten. „Wir können uns mit dem neuen Eigentümer des Hauses, der Volksbank Mittleres Erzgebirge, sehr glücklich schätzen – es ist kein großer Konzern, der vor allem an Profitsteigerung interessiert ist“, erzählt Daniel.
Als die Bank das Haus übernahm, wurde die Vereinbarung für zunächst 15 Jahre getroffen, in welchen das Ost-Passage Theater an Ort und Stelle bleiben kann. „Die Entwicklung hier im Viertel lässt aber auch uns natürlich nicht kalt. Viele subkulturelle Räume verschwinden, das macht was mit dem Charakter des Stadtteils. Wenn es Möglichkeiten gibt, dagegen etwas zu tun, würden wir unsere Ressourcen auch in diese Kämpfe stecken. Zumindest können wir einen Versammlungsort bieten und Möglichkeiten der Vernetzung.“
Schätze im Untergrund
Zum Schluss unseres Besuchs dürfen wir noch einen Blick in den Keller des Gebäudes werfen. Seit Monaten entkernen die Vereinsmitglieder und Helfer*innen die Räume unter dem ALDI-Markt, in welchen unter Schichten von Schutt und Holz blau-weiße Fließen zum Vorschein kommen, die den Charme der alten Markthallentage erahnen lassen.
„Das ist wie ein seltener Schatz in unserer heutigen Zeit – Raum, der noch unbenutzt ist“, freut sich Daniel. Potenziell kann hier eine Probebühne entstehen, es gibt die Idee von einer Bar. Davor aber soll erstmal ein Außenfahrstuhl am Gebäude angebaut werden, um das Theater auch barrierefrei zugänglich zu machen. Da es dafür verschiedenste Genehmigungen bedarf, ist das wohl aber erst die Zukunftsmusik des kommenden Jahres.
Das diesjährige Veranstaltungsprogramm ist hingehen nahezu ausgeplant. Im März ist das Ost-Passage Theater unter anderem erneut Schauplatz verschiedener Veranstaltungen im Rahmen von „Leipzig liest“ in Begleitung zu Leipziger Buchmesse. Im April lockt mit „Crash“ ein Stück, welches um die Thematik „Post-Covid“ kreist, die OPT-Kidz inszenieren Shakespeares Sommernachtstraum, der Literarische Herbst versüßt den Übergang ins Jahresende. Dazwischen: Kino, Konzerte, Akrobatik oder einfach die Einladung zum Zusammenkommen.
Zum Spielplan: https://ost-passage-theater.de/spielplan/
„Das Ost-Passage Theater als Ort für alle“ erschien erstmals im am 08.03.2024 fertiggestellten ePaper LZ 122 der LEIPZIGER ZEITUNG.
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