Die Sonne scheint, ein leichter Wind weht, die Luft ist erfüllt von Vogelgesängen. Auch wenn der Baulärm rund um die Nachbarschaftsschule Leipzig die Idylle ein wenig durchbricht, strahlen die knapp 15 Teilnehmenden wie Honigkuchenpferde.
Der Grund: An diesem Samstag, 12. Juni, findet nach fünf digitalen das erste analoge Treffen des Stadt-Theater-Zukunft-Experiments statt – auf dem sonnigen Schulhof in Lindenau. Das Projekt des Theaters der Jungen Welt (TdJW) wird im Rahmen des Themenjahres „Leipzig – Stadt der sozialen Bewegungen“ noch bis Ende Dezember gefördert. Interessierte können jederzeit in das Projekt einsteigen. Ob neue oder alteingesessene, große oder kleine Leipziger/-innen mit oder ohne Behinderung, mit oder ohne Deutschkenntnisse. Wer sich anmelden möchte, Fragen zum Projekt oder Anregungen hat, kann eine Mail an zukunftstheater@tdjw.de schreiben. Die Teilnahme an allen Workshops, Treffen und Vorstellungen ist kostenlos
„2021 wollen wir erst einmal ganz viele Experimente durchführen, wie dieses Gremium funktionieren kann, was den Teilnehmer/-innen wichtig ist und wie Stadt und Theater verbunden werden können“, so Katrin Maiwald, Leiterin des Projektes. Das Stadt-Theater-Zukunft-Experiment solle danach nachhaltig und langfristig am TdJW angesiedelt werden und später unter anderem Namen als Beirat fungieren.
In der ersten Offline-Sitzung ging es dann genau um diesen Namen, der aber noch ein gut gehütetes Geheimnis bleiben soll. Vor der offiziellen Titelenthüllung am 17. Juli sollten die Mitglieder herausfinden, wofür das mysteriöse X in diesem Titel stehen könnte. Nach einem kleinen Warm-Up und einer Vorstellungsrunde konnte sich jede/r für einen der Workshops entscheiden, die dieser Frage auf den Grund gehen sollten.
Die erste Gruppe wollte sich den Regeln bewusstwerden, die uns selbst und unseren Alltag begrenzen und einschränken, um diese im Anschluss zu brechen. Denn Theater soll ein Raum des Aushandelns von Gesellschaft sein. Die sogenannten „TriXster“ (angelehnt an „Trickster“ = engl. Gauner, Betrüger) schrieben mit Kreide verschiedene Normen und Gesetze auf den Boden, die ihnen einfielen: „Du darfst nicht über Menstruation reden“, „Du musst glücklich sein“ oder auch „Man darf nicht über rote Ampeln gehen“.
„Wenn man das so alles aufgeschrieben sieht, wird einem erst bewusst, wie viel es ist“, so eine Grundschülerin im anschließenden Gespräch. Ein Teilnehmer ergänzt: „Und das hier auf dem Boden ist ja nur ein kleiner Bruchteil davon.“ Im Anschluss überlegte die Gruppe, wie man die jeweiligen Regeln brechen kann und was es bedeuten würde, sie zu brechen.
„Hier im Workshop, wenn die Sachen auf den Boden geschrieben sind, merkt man erst, was vor allem die gesellschaftlichen Normen eigentlich für Kleinigkeiten sind“, sagt eine der Teilnehmer/-innen. „Dann fragt man sich, warum es einem so schwerfällt im Alltag einfach darüber hinwegzugehen.“
Das Geschicklichkeitsspiel Mikado war die Inspiration für den zweiten Workshop. So wie Stäbchen im Spiel wie ein X übereinander fallen können, gibt es auch in der Umgebung zahlreiche Sachen, die verbunden sind. Die Gruppenmitglieder suchten in und um die Schule nach solchen Verbindungen, versuchten sie nachzustellen und sich so dem Stadtteil bewusster zu werden, um ihn in das Theater der Zukunft einbeziehen zu können.
Eine Teilnehmerin ergänzt: „Auch bei den digitalen Veranstaltungen war es uns sehr wichtig, die einzelnen Stadtteile mit einzubeziehen, weil sie zu uns und natürlich zu Leipzig gehören. Wir haben Blumen in den Stadtteilen gepflanzt und uns in Geschichten und Gedichten mit ihnen auseinandergesetzt.“
Im letzten Workshop stellten sich die Teilnehmer/-innen das TdJW als eigenes Dorf vor. Angelehnt an Charaktere aus AsteriX und ObeliX sollten sich die Mitglieder überlegen, wer sie in ihrem Dorf sein möchten. Was kann ich? Wovon träume ich? Wonach strebe ich? Wer bin ich? Mit diesen Fragen sollte die Kommunikation unter den Teilnehmer/-innen angeregt werden. Am Ende überlegten Empathix, Diplomatix, Gewaltnix, Colorix und weitere, was ihr Dorf, das TdJW, für andere bieten möchte. Spielerische Beiratsarbeit quasi.
Ohne den Druck an einem der Workshops (durchgehend) teilnehmen und unbedingt einen Beitrag leisten zu müssen, wurde genug Raum für Kreativität geschaffen. So konnte nach den Workshops und einer Mittagspause gemeinsam das Manifest für das Stadt-Theater-Zukunft-Experiment verfasst werden. „Wir wollen mit dem Manifest zeigen, wer wir sind und was uns verbindet“, so Maiwald. „Die Sätze sind sehr individuell und jeder hat etwas beigetragen und damit nochmal eine Stimme bekommen.“
„Du bist willkommen, so wie du bist“, „Komm, lass uns alle weich sein“, „Wir haben 1.000 Ziele und das ist okay so“, „Es geht um den Moment“ – diese und alle anderen Sätze des vorläufigen Manifests drücken die Vielfalt des Projektes aus, das an diesem sonnigen Juni-Tag begann.
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