Auch Adolf Südknecht hat es erwischt. Bis zum Ausbruch der Corona-Pandemie konnte er sein Publikum im Horns Erben Monat für Monat mitnehmen auf der Reise durch das 20. Jahrhundert mit all seinen Brüchen, Tücken und Alltagsverwirrungen. Doch mit dem Lockdown geht auch das nicht mehr. Also weicht auch diese beliebte Impro-Serie erst einmal ins Digitale aus. Am 25. Dezember gibt es die Appetitfolge zur neuen Staffel auf Youtube.
Die neue Staffel heißt dann „Adolf Südknecht macht rüber“. „Die preisgekrönte und längste Historien-Theatergeschichte der Welt“ (die ja nun schon fast ein halbes Jahrhundert beschrieben hat) setzt sich jetzt fort mit der Folge „Anno 1958: Stille Nacht“.
Und die am 25. Dezember zu sehende Appetitfolge bietet eine Vorgeschmack auf die neue Staffel „Adolf Südknecht macht rüber!“. Nach der Verschiebung der Pilotfolge auf den 26. Januar 2021 versüßt das Theater Adolf Südknecht die Wartezeit mit diesem Appetithappen am ersten Weihnachtsfeiertag auf Youtube.
Die Folge der Seifenoper-Improschau wird einige Tage vor ihrer Ausstrahlung in Horns Erben von einem Dutzend Kameras aufgezeichnet – ohne Zuschauer und in einem Rutsch durchimprovisiert.
Was wird da passieren? In der weihnachtlichen Zweinachtsfolge kehren die beiden zentralen Gestalten Adolf Südknecht und Friedrich Krause von ihrem Urlaub aus Westberlin ins Horns zurück. In der Abwesenheit wurde die Gaststätte aus für Adolf unerfindlichen Gründen vorübergehend stillgelegt. Nun grübeln die Beiden, wie es weitergehen soll und kann, und wann sie wieder Gäste empfangen dürfen. Da sehr viel Krimkrams auf dem Tresen herumsteht, kommen die beiden Antihelden der Arbeit auf ganz neue Ideen …
Spielen werden die beiden bekannten Akteure Armin Zarbock und August Geyler. Für die Musik sorgt Claudius Bruns am Klavier.
Und wie man das kennt von Armin Zarbock und seinen Mitstreiter/-innen: Es gibt immer auch die großen Fragen hinter den Inszenierungen, die das eigentliche menschliche Leben bestimmen, egal, was die „Sieger der Geschichte“ in den Geschichtsbüchern verzapfen.
Trailer ADOLF SÜDKNECHT – LICHTER DER GROẞSTADT!
Und diesmal wird es ganz groß.
Denn das Thema Flucht ist ja heute wieder genauso aktuell wie damals – wenige Jahre vor dem Mauerbau.
Armin Zarbock dazu:
„Was treibt einen Menschen zur Flucht, der weder Krieg, noch Hunger, noch Krankheit fürchten muss? Was treibt ihn an, seine Heimat, sein soziales Umfeld, praktisch sein gesamtes Leben verlassen zu wollen? Diesen Themen möchte das Theaterprojekt in einem Bogen des sich über mehrere Abende erstreckenden Theaterprojektes nachgehen.
Dabei sollen soziale und zwischenmenschliche Fragen im Mittelpunkt stehen: Welche Gewichtung haben äußere Ereignisse in Bezug zu inneren Vorgängen? Wie beeinflussbar in zeitlicher und argumentativer Hinsicht vollzieht sich eine Entscheidungsfindung? Inwieweit verändert sich das Denken und Handeln durch den Prozess der Findung? Wie entwickelt sich das Verhältnis zur Umwelt, wer darf mit einbezogen werden? Und welche Entscheidung steht am Ende der Entwicklung der Geschehnisse?
Die Zuschauer sollen größtmöglich und hautnah einbezogen werden in die Gedankenwelt des Protagonisten, um eine nachvollziehbar eigene Abwägung im zeitlichen Verlauf treffen zu können.
Vor dem Hintergrund einer anschwellenden Flüchtlingswelle von Ostdeutschland nach Westdeutschland in der sich immer mehr abschottenden DDR stellten sich deren Bürger bis 1961 die Frage, ob sie im Westen einen Neuanfang wagen sollten. Gründe waren die mangelnde Meinungs- und Reisefreiheit, die vor allem im Vergleich zum Westen schlechtere Wirtschaftslage, eingeschränkte berufliche Möglichkeiten oder Benachteiligungen wegen kirchlicher Aktivitäten oder politischer Verfolgung.
Auch Kneipenwirt Adolf Südknecht ist unentschlossen, zumal er Westverwandte hat. Gehen oder bleiben, bestehen oder scheiden? Ein Thema, das zeigen soll, dass heutige Fluchtbewegungen kein abstraktes Problem sind, welches uns nichts angeht. Sondern dass wir selbst vor nicht allzu langer Zeit damit innerdeutsch konfrontiert waren. Und dass sich weltweit gesehen damals wie heute Menschen mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob sie durch Verfolgung, Chancenlosigkeit, Diskriminierung und Perspektivlosigkeit ihr Zuhause verlassen sollen.“
Man merkt schon: Die beiden am Tresen werden sich am 25. Dezember so einiges zu erzählen haben.
Auch die neue – für 2021 geplante – Reihe steht in Fortführung und Entwicklung des Langzeittheaterprojektes „Adolf Südknecht – Die Seifenoper-Improschau“. Die preisgekrönte Historien-Theatergeschichte wird seit 2012 ununterbrochen in bisher über achtzig Episoden gespielt und thematisierte zu Beginn die 1920er Jahre, setzte sich dann ausführlich mit der Zeit des Nationalsozialismus auseinander, knüpfte nach den Nachkriegsjahren zeitlich nahtlos an die Geschehnisse um den 17. Juni 1953 an, um sich dann den Anfängen der Staatssicherheit zu widmen und schließlich bei einem Verwandtschaftsbesuch in Westberlin zu landen.
„Dabei sollen die bisher gewonnenen Erfahrungen des einzigartigen Theaterformates weiter ausgebaut und vertieft werden. Vor allem in Bezug auf die Verbindung von Unterhaltung, Information, historischer Vermittlung, städtischer und landesweiter Erinnerungskultur und der Suche nach theatralischen Formen wird dabei Wert gelegt“, erläutert Armin Zarbock das Konzept.
„Neben der Hauptbesetzung mit zwei Schauspielern und einem Musiker spielen pro Episode weitere Schauspieler und Dauergastmusiker Frank Berger mit. Jede Episode baut zeitlich und inhaltlich aufeinander auf, wird aber dennoch dramaturgisch in sich abgeschlossen sein. So ist für die Zuschauer ein Ein- und Ausstieg in die Theater-Reihe jederzeit möglich. Die Schauspieler erschaffen dadurch, dass sie sich lediglich einen dramaturgischen Rahmen vorgeben und alle Texte improvisieren, eine unikate und in ihren Emotionen authentische Aufführung. Sie recherchieren vorher sorgfältig die historischen Ereignisse, um sie im Augenblick des Spiels abrufen zu können.“
Und so macht „Adolf Südknecht“ mit der Aufarbeitung historischer Ereignisse und deren Folgen auf das persönliche Umfeld einer Familie Geschichte sinnlich erfahrbar und schlägt so eine Brücke in die Gegenwart. Zielgruppe ist ein Publikum ab dem jugendlichen Alter. „Zeitreisen aus dem Wohnzimmer der Weltgeschichte!“
Durch die kontinuierliche Arbeit sind inzwischen ein großer inhaltlicher, historischer und künstlerischer Erfahrungsschatz und ein großes Netzwerk an bundesweiten Künstlern entstanden, so Zarbock. Des Weiteren wird, wie immer in den vergangenen Jahren, jeder Abend aufgezeichnet und zum Abruf auf dem Adolf-Südknecht-Vimeo-Channel kostenlos zum Nachschauen bereitgestellt.
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