Seit zwei Jahren gibt es nun das Ost-Passage Theater in der Leipziger Eisenbahnstraße, versteckt über der Aldi-Filiale am Rabet, in einem eindrucksvollen ehemaligen Kino. Die durch die Regierung verhängten Kontaktsperren setzen allen Kulturbetrieben zu. Mich interessiert vor allem, was die Coronakrise für die kleineren, weniger kommerzielleren, selbst verwalteten Theaterspielstätten bedeutet. Daniel Schade vom Ost-Passage Theater hat mir einige Fragen beantwortet.
Magst du dich mal kurz vorstellen und erzählen, was du beim Ost-Passage Theater so machst und was deine Aufgaben sind?
Ich bin Daniel Schade, bin ‘98 nach Leipzig gekommen, hab hier Theaterwissenschaften, Philosophie und Soziologie studiert und mich schon während des Studiums in der freien Theaterszene engagiert, was dann auch mein Hauptgeschäft war nach dem Studium.
Aus diesem Engagement heraus und auch in Kooperation mit vielen anderen aus der freien Szene haben wir uns dann irgendwann entschlossen, unseren eigenen Theaterbetrieb aufzubauen und sind dafür auch gezielt in den Leipziger Osten gegangen.
Ja, was mache ich beim Ost-Passage Theater, ziemlich viel, wir sind jetzt kein stark strukturierter Laden sondern versuchen die Hierarchien flachzuhalten. Ich mache sehr viel Öffentlichkeitsarbeit, kümmere mich um die Website, dass der Spielplan jeden Monat an die Presse kommt und setze auch den analogen Spielplan.
Man kann mich oft an der Kasse treffen, ich verwalte auch die Gelder, bisschen Personalverwaltung mache ich auch noch mit.
Seit fast einem Monat gibt es ja nun den Shutdown, der unter anderem zur Folge hatte, dass Theaterbetriebe wie das Ost-Passage Theater nicht mehr öffnen dürfen. Wie hast du diese Nachricht aufgenommen?
Das hat uns jetzt nicht plötzlich getroffen, die Entwicklungen hatten ja gewissen Vorlauf, bevor es dann zur Entscheidung der Regierung kam. Es ging ja im Grunde schon los in Leipzig mit der abgesagten Buchmesse, wir hatten dann gesagt: Wir machen unsere Lesungen im Rahmen von „Leipzig liest“ aber trotzdem.
Wir sind ein 100-Personen-Laden und haben das Risiko am Anfang noch nicht so hoch eingeschätzt, allerdings gab es in der Gruppe auch zu diesem Zeitpunkt schon Bedenken. Die Entwicklungen haben sich dann mehr oder weniger überschlagen, wir hatten am 15. März noch eine Messe-Veranstaltung, und am 16. hat das Plenum dann beschlossen, den Laden erst mal zu schließen. Zwei Tage später kamen dann auch die Anordnungen.
Inwiefern hat das deine Arbeit im Theater verändert?
Na ja, radikal. Also für mich war’s erst mal persönlich so, dass ich mich entscheiden musste, weil es ja auch ‘ne Ausgangssperre gab, wo möchte ich sein. Ich führe eine Fernbeziehung und habe mich entschieden, zu meiner Freundin zu fahren, und nun sitze ich seit 27 Tagen hier in Annaberg-Buchholz im Erzgebirge, das hat natürlich die Arbeit erschwert. Im Grunde kann man aber sagen: Ich hab ziemlich viel Zeit.
Statt dass ich die Werbung für die Veranstaltungen mache und die Seiten aktuell halte und den Flyer setze, hatte ich nur rauszugeben, dass es keine Veranstaltungen mehr gibt. Es hat ja auch ‘ne Weile gedauert uns zu restrukturieren, dass wir weiterhin entscheidungsfähig sind, um hier und da mal ‘ne kleine Kampagne online zu starten, aber das hält sich alles im Rahmen.
Wie musstet ihr eure Struktur umstellen?
Wir arbeiten viel über Bindungen und Beziehungen. Gerade als Nachbarschaftsbühne oder sozio-kultureller Ort sind wir auf diese Bindungsarbeit angewiesen. Das jetzt alles in den digitalen Äther zu überführen, ist natürlich schwierig. Wir haben das mit unserem Plenum relativ erfolgreich hinbekommen, wir treffen uns jetzt einmal die Woche, wie so viele auch, über Zoom.
Wir haben relativ viele Arbeitsgruppen und die versuchen das auch, aber wir merken natürlich, dass gerade die Leute, die nicht in der hohen Bindung sind und nicht so viel Verantwortung haben, dass die nicht zu den Treffen kommen.
Was bedeutet der Wegfall von Theatervorführungen für Künstlerinnen und Künstler, die normalerweise bei euch spielen?
Ich hab das Gefühl gehabt: Als Künstler muss man das erst mal auf sich wirken lassen.
Die einen haben reagiert mit ‘ner Überproduktion, vielleicht auch um sozusagen dagegen anzuproduzieren. Und viele andere habe ich auch erlebt, die erst mal ein bisschen unter Schock standen, und abwarten, was das überhaupt bedeutet und wie sich dazu Kunst und Kultur verhalten kann.
Der andere Aspekt, der uns Künstler/-innen betrifft, ist natürlich der ökonomische. Gerade die Künstler/-innen, die bei uns so aktiv sind. Die heißen zwar Solo-Selbstständige, aber im Grunde sind das Lebenskünstler, die sich durchschlagen und hier und da durch die Gagen, die sie kriegen, an den kleinen Häusern und Bühnen irgendwie durchkommen. Für die ist das schon eine sehr große Herausforderung, das zu überstehen.
Ist euer Laden um die Existenz bedroht?
Kurzfristig nicht. Wir haben auch bestimmte Vorteile, unser Vermieter hat jetzt erst mal die Kaltmiete für zwei Monate ausgesetzt. Betriebskosten fallen insoweit nicht an, die institutionelle Förderung federt einen Teil der Kosten ab und wir haben auch Soforthilfe beantragt, im bescheidenen Umfang. Wir haben auch ‘ne Spendenkampagne gestartet und wenn sich das jetzt nicht lange zieht, dann ist es jetzt unmittelbar nicht existenzbedrohend.
Wie lange könntet ihr euch ohne Einnahmen aus dem Spielbetrieb über Wasser halten?
Wahrscheinlich länger als andere Läden, aber nicht ewig. Wir machen ja eigentlich im Juli und im August Sommerpause, ich denke wenn wir ab September wieder im Normalbetrieb wären, hätten wir das überlebt.
Aber es gibt ja verschiedene Risikofaktoren: Das eine ist die Frage, werden Veranstaltungen mit ‘ner Größenordnung von 100 Personen überhaupt möglich sein, und wird das auch vernünftig sein, solche Veranstaltungen zu machen? Und das andere ist natürlich: wie reagiert das Publikum? Ich mache mir schon Sorgen, dass ein Teil des Publikums, aus Angst sich oder andere anzustecken, nicht kommt. Das sollten auch die größeren Bühnen sehen.
Gibt es konkrete Maßnahmen, die du dir wünschen würdest, die Künstlerinnen in Zeiten der Krise helfen würden?
Eine generelle Lösung wäre natürlich das bedingungslose Grundeinkommen, was ja auch hoch und runter kommuniziert wurde. Ich denke, das wäre ein nachhaltiger Hebel.
Man muss berücksichtigen, dass man als freischaffender Künstler kein konventionelles Arbeitsverhältnis hat. In dieser deregulierten, liberalen Wirtschaftsordnung sind das schon ziemlich prekäre Arbeitsverhältnisse. Stichwort Werkverträge und so weiter. Das hat so seine Freiheiten wenn’s funktioniert, hat aber eben auch seine Härten wenn’s nicht funktioniert. Ich denke, da bräuchte es ein viel kleinteiligeres System.
Meinst du, diese zwangsweise Umstellung auf Online-Formate kann auch eine Chance für Kunst- und Kulturschaffende darstellen?
Das kommt eben darauf an, in welchem Bereich die Künstler/-innen aktiv sind, aber für den Theaterbereich halte ich das eigentlich für nicht fruchtbar. Man muss eben sagen: das Theater ist ein Live-Event und es lebt vor allen Dingen von dem Impulsübertrag zwischen Künstler/-innen auf der Bühne und Publikum im Zuschauerraum, und das kriegst du nicht transponiert. Und ich glaube das natürliche Gespräch kann das Internet letztendlich nicht ersetzen, auch wenn sich das mancher aus Silicon-Valley vielleicht erträumt.
Seit Beginn der Krise gab es ja einige solidarische Aktionen aus der Bevölkerung um Menschen zu helfen, die besonders betroffen sind von der Krise. Gibt es etwas, was dich positiv überrascht hat?
Was mich überhaupt überrascht hat, ist erst mal die hohe Zustimmung zum Regierungsverhalten, auch innerhalb der linken Szene. Es hat mich nicht überrascht, dass in Deutschland sich dann alle ruhig an die Regeln halten. Mir wurde berichtet, dass gerade im Leipziger Osten relativ viele Transparente aus den Häusern hängen. Das ist natürlich schön, dass die Leute das auch irgendwie nutzen, obwohl sie das natürlich auch sonst tun könnten.
Ich finde es auch gut, dass die Solidarität mit den Geflüchteten in den Lagern in Griechenland und in der Türkei, dass es da noch mal einen Schub nach vorne gab. Obwohl man natürlich sagen muss: die Aktionsmöglichkeiten sind halt begrenzt. Wenn man in seiner Wohnung hockt, dann kann man eben nicht so viel Druck ausüben auf andere und bei Politik geht es ja auch immer darum, Druck auszuüben um andere zu bewegen.
Aber ja, wir haben ja z. B. am Theater auch einen Gabenzaun für Bedürftige, weil wir das richtig und gut finden. Ein bisschen skeptisch bin ich bei diesem ausgeleierten Solidaritätsbegriff, der hoch und runter von allen Ebenen benutzt wird, weil ein bisschen drübergeglittert wird über die Konflikte in der Gesellschaft.
Die Krise wird alte und auch neue soziale Kämpfe mit sich bringen. Das steht fest. Vielleicht erleben wir die letzte Schlacht der Sozialdemokratie um den Nationalstaat. So oder so, es werden aufregende Zeiten für Aktivist/-innen wie für Künstler/-innen.
Neuer Kulturbetrieb an der Eisenbahnstraße: In der „Ostpassage“ gehen die Lichter an
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