Das Premierenpublikum war aus dem Häuschen. Anhaltende Beifallsstürme und viele Bravos für Solisten, Chor und Kapellmeister Felix Bender unterstrichen die starke musikalische Performance an diesem Wagner-Abend im Chemnitzer Opernhaus. Die Inszenierung überzeugte dagegen nicht.
Anlässlich des 875-jährigen Stadtjubiläums stellt sich das Theater Chemnitz zurzeit mit der Neuproduktion von Wagners „Ring des Nibelungen“ einer der größten Herausforderungen im Musiktheater. Mit dem „Rheingold“ steht der Vorabend der Tetralogie seit Februar auf dem Spielplan. Am Samstag folgte „Die Walküre“. Mit „Siegfried“ im September und „Götterdämmerung“ im Dezember wird der Ring binnen Jahresfrist vollendet. Anfang 2019 sind drei zyklische Aufführungen geplant.
Der für den Stadttheaterbetrieb ungewöhnliche Produktionszyklus ist möglich, weil das Haus das Projekt nicht von einem, sondern vier Regisseurinnen inszenieren lässt. Das Publikum bekommt Wagners opus magnum aus vier verschiedenen Perspektiven aufgetischt. Die Inszenierungen folgen keinem szenischen Gesamtkonzept, sondern sind nur durch eine lose Klammer miteinander verbunden. Frauen übernehmen, so ist auf der Theaterhomepage zu lesen, in dem Werk die zentralen Rollen ein. Daher sei es folgerichtig, vier Frauen die Ring-Opern auf ihre individuellen Binnenstrukturen untersuchen zu lassen. Das alles verbindende Narrativ ist damit gesetzt.
Verena Stoiber rückte die Kritik am totalen Konsum in den Fokus ihrer „Rheingold“-Deutung (ausführliche Kritik folgt). Nicht Rhein, Walhall und Nibelheim, sondern ein Warenhaus bestimmte die Szene. Das gefiel nicht jedem. Das Regieteam musste sich für den progressiven Zugriff deutliche Buhs gefallen lassen. Dieses harte Los blieb Monique Wagemakers am Samstag zwar erspart. Einprägsame Szenenbilder jedoch auch.
Wagemakers bediente sich des tiefenpsychologischen Zugriffs. Anhand ihrer punktierten Figurenführung weiß der Zuschauer jederzeit, wer in Wagners nicht immer einfach durchschaubarem Figurengeflecht wie zu wem steht. Die museale Ausstattung befriedigt die Bedürfnisse jener, die das sogenannte Regietheater, das sich längst durchgesetzt hat, bis heute vehement ablehnen. Wer von der Oper mehr als ein schnöde nacherzähltes Libretto erwartet, ist in dieser „Walküre“ falsch.
Kostümdesignerin Erika Landertinger hat Siegmund, Wotan und Co. in Outfits gesteckt, die ein wenig an „Game of Thrones“ erinnern. Besondere Hingucker sind Hundings Bärenfellmantel und die Rüstungen der Walküren, die die weibliche Figur besonders deutlich betonen. Claudia Weinharts Bühnenbild zeugt derweil von Einfallslosigkeit. Das Zentrum bildet eine nach allen Seiten offene Gewölbehalle, die an Beliebigkeit kaum noch zu übertreffen ist und der während des fünfstündigen Abends überhaupt keine Funktion zukommt. Wagemakers nutzt nicht einmal eine der zahlreichen Säulen als Weltesche, aus der Siegmund im ersten Aufzug das Schwert Notung zieht (welches der Zuschauer im Übrigen zu keinem Zeitpunkt zu sehen bekommt).
Kurzum: Das abstrakte Gebilde ist sinnentleert und versperrt obendrein den Blick auf die atmosphärischen Landschaftsaufnahmen, die die Regisseurin zur Untermalung der Szene an die Bühnenrückwand werfen lässt.
Noch störender ist das exzessive Auf und Zu des lichtdurchlässigen Projektionsvorhangs. Die gezeigten Motive sind weitgehend belanglos. Während des Vorspiels zum ersten Akt wird die Zeichnung eines traurigen Mädchengesichts gezeigt (es soll sich wohl um Sieglinde handeln), das an ein bekanntes Plakatmotiv des Musicals „Les Miserables“ erinnert. Intelligenter, wenngleich der Inszenierung kaum dienlich, ist die animierte Visualisierung des Stamms der Weltesche vor dem zweiten und dritten Akt.
Einziger guter Einfall sind die beiden Kinderstatisten, die ganz zu Beginn des Abends die Trennung der Geschwister Siegmund und Sieglinde darstellen. Darüber hinaus ist die Inszenierung leider kein Must-Seen, sondern ein schnöder Rohrkrepierer, den man in ähnlicher Gestalt auch andernorts zu sehen bekommt. Was fehlt, ist ein durchgreifendes Alleinstellungsmerkmal, das das Wagner’sche Familiendrama an der Oper Chemnitz sehenswert machen würde.
Was die Regie nicht zu leisten imstande ist, ist die Musik. Die Robert-Schumann-Philharmonie lief bei der Premiere unter Stabführung Benders zu einer Glanzleistung auf. Der scheidende Kapellmeister bot dem Publikum eine erfrischend erquickende Interpretation voller Facettenreichtum, die mit Aufführungen an großen Opernhäusern locker mithalten kann.
Statt auf die sinfonische Breite des anspruchsvollen Werks zu bauen, was dem Maestro angesichts der deutlich reduzierten Streicherbesetzung Probleme bereitet hätte, kitzelte er mit geradezu pedantischer Präzision jene feinen Nuancen aus der Partitur hervor, die andernorts gern im opulenten Streicherteppich versinken oder die Fähigkeiten des Orchesters überfordern. Das klinisch saubere Klangbild erhielt nur durch das eingespielte Schlagwerk kleine Risse.
Unter den Solisten ragte Aris Argiris‘ warmer Bariton besonders heraus. Seine von zwischenmenschlichen Emotionen getragene Wotan-Interpretation lässt im dritten Akt allerdings auch düstere Zwischentöne erkennen. Ebenfalls stark: Magnus Piontek. Sein markerschütternder Bass-Sound verlieh dem Haustyrannen Hunding eine besonders diabolische Note. Dara Hobbs (Brünnhilde) war zwar stimmlich jederzeit präsent. Etwas mehr Dramatik hätte ihrer Interpretation aber gutgetan.
Ein echter Gewinn war die Verpflichtung der Bayreuth-erfahrenen Christiane Kohl (Sieglinde). Monika Bohinec (Fricka) machte einen guten Job. Zoltán Nyári (Siegmund) erwischte keinen herausragenden Tag. Der lyrische Tenor tat sich hörbar schwer mit der bei Wagner so wichtigen Artikulation der Konsonanten und verschluckte im ersten Akt ganze Silben. War das Lampenfieber Schuld? Im zweiten Aufzug konnte sich der Ungar jedenfalls spürbar steigern und erntete beim Schlussapplaus – wie alle Mitwirkenden – lauten Beifall.
Titelfoto: Wotan (Aris Argiris) und Brünnhilde (Dara Hobbs).
Nächste Vorstellungen: 2. April, 22. April, 1. Mai
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