Manche Leipziger fühlen sich längst wieder an die ganz und gar nicht goldenen Zwanziger Jahre erinnert. Golden waren die schon – aber selten für die Malocher und kleinen Leute. Und das thematisierte 1929 ein Film, der bis heute Legende ist und den die Nazis sofort verboten, als sie an die Macht kamen: „Mutter Krausens Fahrt ins Glück“. Der Westflügel Leipzig zeigt den Film am Wochenende: als Live-Performance mit großer Puppenbesetzung.
Der Film des Regisseurs Phil Jutzi (1929), der unter anderem auch für die deutsche (Ton-)Fassung des „Panzerkreuzer Potemkin“ arbeitete, basiert auf einer Idee des bekannten Zeichners Heinrich Zille, von dem auch das oben erwähnte Zitat stammt.
Stück wie Film spielen im Berliner Arbeiterbezirk Neu-Wedding. Die Küche einer Hinterhofwohnung drängt ein Typen-Ensemble zusammen: den melancholischen Sohn und die kesse Tochter, den halbseidenen Schlafburschen, seine sich prostituierende Geliebte und deren Kind. Mutter Krause balanciert sie alle haarscharf am sozialen Absturz vorbei. Bis… „Nanu Onkel Paule, wo warste die janze Nacht? Muttern is heute so traurich.“ – „Ick habe ja so’n Quatsch jemacht!“
Der in Berlin-Wedding gedrehte Film hatte am 30. Dezember 1929 Premiere. Er gehörte zu den ersten Filmen, die die Nationalsozialisten nach ihrer Machtergreifung verboten.
Zum Stummfilm „Mutter Krausens Fahrt ins Glück“
Mutter Krausens Fahrt ins Glück ist ein deutscher Stummfilm aus dem Jahr 1929 von Regisseur Phil Jutzi. Produziert von der Prometheus Filmproduktionsgesellschaft in den Jofa-Ateliers in Berlin-Johannisthal, zählt er zu den Vertretern des sogenannten „Proletarischen Films“.
Mutter Krause lebt in einer kleinen, ärmlichen Wohnung zusammen mit ihren Kindern Paul und Erna. Als Untermieter wohnen dort außerdem ein Ganove (der „Schlafbursche“) und seine Braut Friede, die als Prostituierte arbeitet, zusammen mit ihrem kleinen Kind. Mutter Krause verdient sich etwas Geld nebenbei mit Zeitung austragen. Als Paul ihr 20 Mark aus der Zeitungskasse stiehlt und gemeinsam mit Freunden vertrinkt, droht ihr eine Anzeige, denn sie kann das Geld nicht an ihren Arbeitgeber zurückzahlen. Erna, die den politisch engagierten Arbeiter Max kennengelernt hat, will für sie das Geld durch Prostitution verdienen, schreckt aber im letzten Moment davor zurück.
Paul lässt sich vom Schlafburschen zu einem Einbruch überreden, bei dem die beiden jedoch gefasst werden. Während sich Erna und Max den durch Berlin ziehenden Kommunisten anschließen, öffnet Mutter Krause angesichts ihrer verzweifelten Lage den Gashahn und tötet sich selbst zusammen mit dem schlafenden kleinen Kind der Prostituierten Friede: „Was hast Du armet Wesen auf dieser Welt zu verlieren. Komm, Du fährst mit Mutter Krause ins Jlück.“
Was hat Heinrich Zille damit zu tun?
Der Film basiert auf einer Idee des Zeichners Heinrich Zille, der bekannt für seine sozialkritische Darstellung der damaligen Berliner Unterschicht, des „Milljöh“, ist. Schauplatz ist der Berliner Bezirk Wedding, das damalige Arbeiterviertel. Die Zwischentitel sind im Berliner Dialekt abgefasst, um den Dialogen eine authentische Note zu geben. Bei den Schauspielern handelt es sich vorwiegend um Laiendarsteller. Der in Berlin-Wedding gedrehte Film hatte am 30. Dezember 1929 Premiere.
Sämtliche erreichbaren Kopien wurden vernichtet. In Dänemark, wo er im April 1931 verboten wurde, erhielt sich eine allerdings gekürzte Kopie im Archiv der Zensurbehörde. Am 13. Januar 1957 wurde der Film in dieser Fassung im Berliner Kino Babylon erstmals wieder aufgeführt. Auf Grundlage des Drehbuchs entstand im Jahr 2012 eine umfassend rekonstruierte Fassung. Der Film diente als Vorlage für Fassbinders Mutter Küsters’ Fahrt zum Himmel aus dem Jahr 1975.
Was hat flunker produktionen aus dem Stoff gemacht?
flunker produktionen aus dem brandenburgischen Wahlsdorf und ihr Regisseur Hendrik Mannes haben „Mutter Krausens Fahrt ins Glück“ neu auf die Bühne gebracht. Im Leipziger Westflügel wird die Inszenierung nach dem ersten deutschen proletarischen Stummfilm „Mutter Krausens Fahrt ins Glück“ am kommenden Wochenende (8./9. Dez, jew. 20 Uhr) aufgeführt.
Diese Inszenierung von „Mutter Krausens Fahrt ins Glück“, Typenkomödie und Mutter-Melodram zugleich, transformiert den 1929 von Phil Jutzi gedrehten ersten deutschen proletarischen Stummfilm ins Puppenspiel. Das sprachlose Spiel der beredten Körper wird getrieben von Live-Musik. Die Texte, „Zilles“ Berliner Schnauze, erscheinen in der Adaption wie eigenständige Objekte.
Eigensinnig und offenherzig entwickeln die flunker produktionen Stücke zu zeitbewegenden Themen und Variationen zu Märchen und Geschichten. In ihren bildreichen Inszenierungen arbeiten sie mit Puppen und Objekten, schauspielerisch und musikalisch. Und immer spielen das Ungesagte, die emotionale Tiefe, der schräge Humor und der Hang zum Absurden eine Rolle.
Kern der flunker produktionen sind die beiden Puppenspieler Claudia Engel und Matthias Ludwig, beide studiert und diplomiert an der Berliner Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ Abt. Puppenspielkunst, sowie die Schauspielerin Andrea Post. Ihre Inszenierungen entstehen in Zusammenarbeit mit verschiedenen Regisseuren, Spielern, Musikern und bildenden Künstlern.
„Mutter Krausens Fahrt ins Glück“, Stummfilm als Live-Performance, nach dem gleichnamigen deutschen Stummfilm von Phil Jutzi (1929), kann man im Westflügel Leipzig (Hähnelstr. 26) erleben am Freitag und Samstag, 8.und 9. Dezember jeweils um 20 Uhr.
Karten: 12,- Euro, 8,- Euro ermäßigt, Karten: service@westfluegel.de oder Tel. (0341) 260 90 06 (Mailbox), Onlinekartenkauf über www.westfluegel.de (Paypal)
Keine Kommentare bisher