Er ist einer der bekanntesten Dichter aus Leipzig, doch er wird selten gewürdigt. Was Lessing schon beklagte an der Stadt, in der er nur zu gern seine Karriere als Autor gestartet hätte, ist ihre Kälte den lebenden Dichtern gegenüber. Andreas Reimann kann ein Lied davon singen. Und Adel Karasholi lebt ganz still unter uns – zumindest, bis ihn ein Schweizer Künstler wie Beat Toniolo wiederentdeckt.

Denn das hat Toniolo getan. Denn im Kunstkraftwerk Leipzig inszeniert der in Leipzig lebende Schweizer Kulturvermittler und Impresario Beat Toniolo sein multimediales Kunstwerk „Ist der Augenblick ein Ufer“, in dem Texte von Adel Karasholi eine wesentliche Rolle spielen werden.

Dass Karasholi erst jetzt so eine Rolle zukommt, verblüfft schon, denn seit der geborene Syrer 1957 Asyl in Deutschland – damals noch in der DDR – fand, war der Brückenschlag zwischen den Kulturen sein Thema, das er in mehreren faszinierenden Gedichtbänden bearbeitet hat – die berühmtesten sind auch die bis heute bekanntesten aus seiner frühen Zeit in Leipzig, als er sich die neue Stadt, das neue Klima, die neue Umwelt erst einmal neugierig und sehr sensibel erarbeiten musste: „Wie Seide aus Damaskus“ (1968) und „Umarmung der Meridiane“ (1978).

Wer diese Gedichte las, konnte nicht nur einen Dichter entdecken, der mit dem arabischen Blick auf dieses nicht immer heimelige Stück Mitteleuropa schaute, sondern der auch – mit dem Blick des Entdeckers – Dinge bei uns sah, für die wir in all unserer Hektik oft gar keinen Sinn mehr hatten und haben. Wir haben uns ja nicht unbedingt zum Besseren verändert. Zur Ordnungspusseligkeit ist ja auch eine ziemlich oberflächliche Gestresstheit dazugekommen.

Und natürlich ein Berg von Vorurteilen jener Welt gegenüber, deren Reichtum Goethe schon bewunderte, und die in Karasholis Gedichten leuchtet. Bis heute.

Und so ging es auch Beat Toniolo, der sich einer anderen faszinierenden Seite dieser Kultur nähert: ihrer eindrucksvollen Liebe zum Ornament.

Kann man aus Bildern Musik machen? Musik zum Tanz werden lassen? Tanz in Worten einfangen?

Beat Toniolo wagt in seiner ab Donnerstag, 5. Oktober, zu sehenden Inszenierung ein Experiment: Er vereint hochkarätig internationale Vertreter der Kunstsparten Komposition, Literatur, Tanz, Videoanimation und Schauspiel zu einem Ensemble, um das Kunstkraftwerk in einen Ort inspirierender Begegnungen zu verwandeln. Auslöser für die ungewöhnliche Idee sind die Ornamentbilder des Schweizer Malers Kurt Bruckner, ein Landsmann Toniolos.

Bruckners Bilder, basierend auf geometrischen Regeln und alten arabischen Mustern, fesseln den Betrachter mit ihrer mysteriösen Schönheit. Fünf sehr unterschiedliche Komponisten, unter ihnen der bekannte Filmkomponist Enjott Schneider („Schlafes Bruder“ u.v.m.), wie Roberto di Gioia, das Duo Torsten Rasch/Frank Braun, haben auf Einladung von Beat Toniolo zu ausgewählten Bildern Musikstücke geschrieben: assoziationsreiche Soundtracks, die der Immersive Video Artist des Kunstkraftwerks, Devon Miles, für großflächige Animationen auf Wänden, Decke und Boden der ehemaligen Maschinenhalle nutzt. Das Publikum ist mittendrin.

Das Kunstwerk als Werkstoff für neue Formen: neben Tänzerinnen aus Leipzig (Eva Thielken, Marie Nandico und Lisa Balzer) und Berlin (Davina Wölfle und Philipp Krüger), interpretiert auch die Inderin Shany Mathew mit ihrer Partnerin Anne Dietrich die neu entstandene Synergie aus Bilderwelt und Musik in eigenen Choreografien. Der Körper wird zur Quelle und Projektionsfläche der künstlerischen Metamorphose.

Die einzelnen Elemente in diesem „Raum der Zeit, der Bilder, der Musik und des Tanzes“ werden mit Hilfe des Wortes verbunden. Der „Leipzig Gospel Choir“, unter der Leitung von Marybeth Müller, wird eine Komposition des Ungarn Márton Illés intonieren.

Und dann kommt man zu den Worten, die zu hören sein werden.

Der renommierte Schauspieler Michael Mendl schlüpft in die Rolle des Erzählers und leiht seine Stimme den Gedichten von Adel Karasholi, Leipziger Dichter syrischer Herkunft, was wiederum eine alles andere als zufällige Rückkopplung zu den arabischen Wurzeln der Ornamentik bedeutet. Alle sind an Bord, alle zelebrieren gemeinsam eine spartenübergreifende und Grenzen überschreitende Extravaganza, bei der vorab keiner zu genau wissen soll, was passiert. So viel steht fest: es werden drei Abende voller Energie und Schönheit, voller Farben, Rhythmus und Poesie, voller Träume und Vitalität. Ein Kunstgenuss, der Verbindungen schafft, wo man sie nicht vermutet, und der uns verstehen lässt, dass wir alle Teil sind vom Großen, Ganzen.

Michael Mendl, der als Erzähler auf der Bühne steht, meinte über die Texte von Adel Karasholi übrigens: „Das ist der Wahnsinn, solche tiefsinnigen Gedanken, diese phantastischen Texte – so passend, gerade in dieser Zeit. Ich muss Adel Karasholi unbedingt kennenlernen, und freue mich auf dieses Projekt…“

Die Aufführungen im Kunstkraftwerk Leipzig (Saalfelder Strasse 8b): Donnerstag, 5. Oktober/ Freitag, 6. Oktober / Samstag, 7. Oktober jeweils um 20 Uhr.

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