Da muss Daniel Gottlob Schreber sich stellen. Es hilft alles nichts. Sein Freund, der Dr. Hauschild, hat zwar seinen Namen zum Synonym der deutschen Kleingartenbewegung gemacht. Aber er hat die Kleingärten nicht erfunden. Dafür steht er seit den Büchern von Alice Miller in der Kritik als Vertreter der Schwarzen Pädagogik. Mit diesem Thema hat sich das Leipziger Tanzkollektiv urban collective schon im vergangenen Jahr beschäftigt. Natürlich in der Kleingartenanlage Dr. Schreber.
Mit Gästen geht das Tanzkollektiv in diesem Sommer der Geschichte um Daniel Gottlob Schreber (1808-1861) und seiner Familie weiter auf den Grund. Nach ihrem erfolgreichen Tanztheaterstück „Schrebers Visionen“, welches letztes Jahr im Juli uraufgeführt wurde, folgt nun ein weiterführendes Tanzprojekt mit dem Titel „Schrebers Prozess“.
Noch einmal entwickeln sich die Parzellen der Kleingartenanlage Dr. Schreber zur Bühne, wo das Publikum einem performativen Rundgang folgt. Dabei liegt der Fokus von urban collective in diesem Jahr nicht mehr ausschließlich auf den Erziehungspraktiken des Vaters Schreber sondern auf den daraus resultierenden Schicksalen der betroffenen Generationen. Beleuchtet wird die Rolle der Frauen in Schrebers Umfeld sowie der Psychiatrieaufenthalt und der Gerichtsprozess seines ältesten Sohnes Paul Schreber, der wahrscheinlich unter den rigiden Erziehungsmethoden des Vaters bis an sein Lebensende litt.
Wobei stets zu bedenken ist, dass Schreber ein Mann des Übergangs war. Es waren nicht die brachialen Züchtingungsmethoden, wie man sie noch aus der Zeit Friedrichs II. von Preußen kannte, mit denen er seine Art von Erziehung praktizierte, sondern ein Versuch, junge Menschen zu „korrigieren“. Diese Denkweise, die Kinder als korrekturbedürftig betrachtet und entsprechende Korrektionsmethoden ersinnt, galt als modern. Wie sehr dabei die Psyche des Kindes nachhaltig geschädigt wurde, das wurde dann erst durch Forschung von Leuten wie Sigmund Freud eine ganze Generation später deutlich.
Dass gerade Daniel Gottlob Schreber im Fokus der Aufmerksamkeit steht, liegt daran, dass sein Sohn Paul über das, was er erlebt hat, ein Buch geschrieben hat. Eine durchaus seltene Botschaft aus einem Reich, aus dem auch damals wenig an die Öffentlichkeit drang. Das änderte sich erst um die Jahrhundertwende.
Paul schrieb während seines Aufenthalts in der psychiatrischen Klinik sein Buch „Denkwürdigkeiten eines Nervenkranken“. Einige Psychiatriepatienten um die Jahrhundertwende verfassten autobiographische Erzählungen, sogenannte „Irrenbroschüren“, um die „Macht der Psychiatrie“ anzugreifen, Prozessgegner zu entwaffnen oder Verbündete im Kampf mit den Behörden zu gewinnen.
Schrebers Umgang mit dem Gericht, dem medizinischen Gutachter und seiner Familie sowie seiner Ehefrau Ottilie Sabine Schreber, die eine wichtige Rolle in dem Verfahren spielte, werden von urban collective und Gästen aufgegriffen und performativ bearbeitet.
So entstehen zum einen fragmentarische Bilder von Persönlichkeiten und der Zeitgeist ganzer Generationen, die von den Auswirkungen der schreberschen Erziehungsmethoden direkt betroffen waren, zum anderen findet das junge Publikum überraschende Momente mit sich und der Gegenwart.
Wie auch im Letzten Jahr vertanzt, vertont und bebildert urban collective unter freiem Himmel und in der blühenden Kulisse der Leipziger Kleingärten.
„Schrebers Prozess“ – Tanzperformance (Open Air), die Termine:
- August 20:30 Uhr (Premiere)
11. August 20:00 Uhr und 22:00 Uhr
12. August 20:00 Uhr und 22:00 Uhr
13. August 20:30 Uhr
Ort: Kleingartenverein Dr. Schreber (Aachener Straße 7, 04109 Leipzig), Treffpunkt am Eingang des Kleingärtnermuseums
Karten: 12 Euro/8 Euro ermäßigt; erhältlich beim Kleingärtnermuseum (Aachener Straße 7, 04109 Leipzig, Reservierungen unter (03 41) 2 11 11 94 ab dem 1. Juli 2017
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