Ein Musical auf der großen Bühne zu inszenieren, in dem fast ausschließlich Kinder und Jugendliche mitwirken, ist ein Wagnis. In Halle geht die Rechnung auf. Die Neuinszenierung des Broadway-Hits „Spring Awakening“, frei nach Frank Wedekinds Drama „Frühlings Erwachen“, zählt zweifelsfrei zu den bemerkenswertesten mitteldeutschen Musicalproduktionen des Frühjahrs.

Im Zentrum der Bühne steht ein weißer Schuhkartonversatz. Die engen Räume, die Bühnenbildner Sebastian Hannak auf die Drehbühne gezimmert hat, stehen sinnbildlich für die gefühlte Enge, in die sich die Protagonisten eingekeilt fühlen. Elternhaus, Schule, konservative Wertebilder. „Ein verficktes Leben“, skandieren die Jungen im Chor. Die Handlung folgt Wedekinds literarischer Vorlage. Melchior (Anton Huschka) verliebt sich in Wendla (Rebekka Scheufler). Sein Kumpel Moritz leidet derweil unter dem strengen Schuldirektor und seinem autoritären Vater. In ihrer Phantasie flüchten sich die Teenager in eine naturalistische Alternativwelt. Sie erleben die erste große Liebe und träumen von einer besseren Welt. Doch ihre Umwelt treibt sie unaufhörlich in einen Strudel tragischer Ereignisse, aus denen ein Entrinnen unmöglich scheint.

Wendla (Rebekka Scheufler) liebt Melchior (Anton Huschka). Foto: Theater-, Oper und Orchester GmbH Halle, Anna Kolata
Wendla (Rebekka Scheufler) liebt Melchior (Anton Huschka). Foto: Theater-, Oper und Orchester GmbH Halle, Anna Kolata

Regisseur Hansjörg Zäther verzichtet in seiner Inszenierung weitgehend auf den Einsatz professioneller Sänger. Mit Barbara Zinn und Joachim Unger aus dem Ensemble des neuen theaters stehen lediglich zwei Profis auf der Bühne, die sämtliche Erwachsenenrollen verkörpern. Unger sticht hierbei insbesondere als diabolischer Direktor Knochenbruch hervor. Die übrigen gut zwanzig Rollen werden von über 40 Mitgliedern des Kinder- und Jugendchores gesungen. Aufgrund der personellen Größe des Chores haben die Macher die jungen Darsteller auf zwei gleichrangige Ensembles verteilt, die die Vorstellungen im Wechsel spielen. Bei der Premiere am Freitag nahm die „freie“ Besetzung kurzerhand in den Ranglogen Platz und spendete den jungen  „Kollegen“ auf der Bühne nach jeder Nummer frenetischen Beifall.

Barbara Zinn und Joachim Unger. Foto: Theater-, Oper und Orchester GmbH Halle, Anna Kolata
Barbara Zinn und Joachim Unger. Foto: Theater-, Oper und Orchester GmbH Halle, Anna Kolata

Zwar hört der erfahrene Musiktheatergänger, dass die Stimmen der Jugendlichen bei weitem nicht über die Reife der Kehlen studierter Musicalsänger verfügen. Darauf kommt es bei dieser Produktion allerdings auch nicht an. Der Besetzungskniff verleiht dem Stück eine Authentizität, wie sie sich mit erwachsenen Sängern nie erreichen ließe. Wenngleich die Musicalhandlung Ende des 19. Jahrhunderts angesiedelt ist, spiegeln die Darsteller in ihren Performances ihre eigenen Lebenserfahrungen. Und sie sind mit jeder Menge Freude am Spiel bei der Sache. Von Stress durch die Doppelbelastung aus Probenbetrieb und Schule/Ausbildung war am Freitag jedenfalls nichts zu spüren.

Alle an dem Mammutprojekt Beteiligten – ganz gleich ob auf der Bühne oder im Publikum – genossen die Premiere in vollen Zügen. Das jugendliche Ensemble beeindruckte alle Anwesenden in der fast ausverkauften Oper mit einer durch und durch starken Leistung. Auf Einzelkritiken sei an dieser Stelle ganz bewusst verzichtet. Nach zweieinhalb Stunden ernteten die Mitwirkenden völlig zu Recht anhaltende Standing Ovations.

Oper Halle
Spring Awakening
Buch und Liedtexte von Steven Sater
Musik von Duncan Sheik

Nächste Termine: 16.02, 17.02., 19.02.

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