Der Lyriker Lutz Seiler erhielt für sein Romandebüt „Kruso“ 2014 den Deutschen Buchpreis. Insofern war es nur noch eine Frage der Zeit, bis sich das Theater dem Stoff widmet. Armin Petras hat den Wenderoman in Leipzig uraufgeführt.
Hier die Insel. Dort das Meer. Hier das Leben. Dort draußen der sichere Tod. Lutz Seiler verarbeitet in „Kruso“ seine subjektiven Erfahrungen als Saisonkraft auf der Insel Hiddensee. Eine Enklave mitten im Grenzgebiet, in der sich außer den Einheimischen, Saisonkräften und Soldaten dem Grunde nach niemand legal aufhalten darf. Und dennoch zog es in den letzten Jahren der DDR zahllose Fluchtwillige auf das Eiland, die schwimmend, rudernd oder segelnd die dänische Insel Møn erreichen wollten. Ein Himmelfahrtskommando, das für viele den Tod bedeutete. Nach offiziellen Zahlen versanken 189 DDR-Bürger im Meer.
Hiddensee war aber auch eine Kommune für Aussteiger. Für Gestrandete. So wie Ed (Florian Steffens). Der Berliner Germanistik-Student macht sich nach dem Verlust von Kater und Freundin auf den Weg in den hohen Norden, um auf der Insel als „EssKa“, wie die Saisonkräfte genannt werden, anzuheuern. Als Abwäscher in der Landgaststätte „Zum Klausner“, die der Gastronom Krombach (Berndt Stübner) nicht ohne Stolz als Arche für jene begreift, die das Meer ausspuckt. Als Abwäscher lernt Ed Kuso (Anja Schneider) kennen, den Sohn eines russischen Offiziers, der ihn in die Geheimnisse der Insel einweiht.
Die „EssKas“ versuchen nämlich die fluchtwilligen Aussteiger von dem Sprung in die todbringende Ostsee abzuhalten, indem sie ihnen illegalerweise Unterkünfte bereitstellen und sie mit Speis und Trank versorgen. Mit der Grenzöffnung und der deutschen Wiedervereinigung zerplatzt die Illusion von einer anarchistisch-befreiten Gesellschaft wie eine Seifenblase.
Der in wechselnden Lichtstimmungen ausgeleuchtete Bühnenraum ist von vertikalen Fäden durchzogen, die den Figuren in jenen Momenten, in denen sie vor dem Hintergrund der politischen Umwälzungen in Selbstzweifel verfallen, sinnbildlich Halt bieten. Weitere Kulissen benötigt Petras nicht. Die Textfassung vom Regisseur und Ludwig Haugk folgt unter naturgemäß starken Aussparungen stur linear der Romanhandlung, ohne dabei weitreichend in den Romantext einzugreifen. Wer die Augen schließt, kann „Kruso“ als gesprochenes Live-Hörspiel genießen.
Dass Petras ganz auf die Wirkung des lyrisch behafteten Textes baut und das performative Spiel seiner Schauspieler geradezu minimalistisch gestaltet, erweist sich als die große Schwäche des Abends. Ein Sprech- und Bewegungschor aus Schauspielstudenten, die die Schiffbrüchigen darstellen, sorgt mit seinen choreografierten Tänzen und Verrenkungen für die (im wahrsten Wortsinne) bewegendsten Elemente der recht statischen Inszenierung.
Hauptdarsteller Florian Steffens wirkt – seinen großen Schlussmonolog einmal außen vor gelassen – durchweg blass. Anja Schneider läuft als jugendlicher Kruso derweil zu Bestform auf. Die Leipziger Altstars Berndt Stübner und Ellen Hellwig sind wie immer ein Genuss. Andreas Keller (Koch-Mike/Rebhuhn) spielt stark, Dirk Lange (Rimbaud/Rommstedt) und Markus Lerch (René/Fuchs) eher durchwachsen.
Der dreistündige Abend hält das Publikum vor allem durch seine vielen humorvollen, ja bisweilen clownesken Momente wach. Der andauernde Schlussapplaus galt am Samstag vor allem der starken Hauptdarstellerin und Autor Lutz Seiler.
Schauspiel Leipzig
Kruso
nach dem Roman von Lutz Seiler
Für die Bühne bearbeitet von Armin Petras und Ludwig Haugk
Nächste Termine: 29. Oktober (19:30 Uhr), 30. Oktober (16 Uhr), 19. November (19:30 Uhr)
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Die gemeinten Schauspieler heißen aber
Berndt Stübner und
Ellen Hellwig.