Zur zweiten Vorstellung ist der Saal voll junger Leute, Skateboards und Musikinstrumente wurden an der Garderobe abgegeben, die über 30-jährigen Besucher sind Minderheit. Im Foyer laden Flyer zum „Koffer voller Sehnsucht“ ein, einem Mehrgenerationenprojekt der „Spielfreudigen“ in Kooperation mit der Volkssolidarität Leipzig. An so was war bei Familie Moor nicht zu denken.
Allzumenschliche Generationenkonflikte, Drama und Theaterspielen sind ein altbewährtes Bühnen-Geschäftsmodell. Nicht immer so hart wie in den Häusern Moor oder gar Lear.
Eine Diplomprüfung steht an. Regisseur Gordon Kämmerer, geboren 1986 in Eisenach, in Leipzig hat er Schauspiel studiert, zeigt seine Inszenierung als Kooperation des Leipziger Schauspiels mit der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ Berlin. Kämmerer hat in Leipzig schon „Tierreich“ und „Herzerlfresser“ herausgebracht. Vermutlich wird sich der Regisseur einbringen wollen, Handhabung und Haltung zeigen, beim Umgang mit dem Autor, seinem Text, Rezeptionsgeschichte und dem Thema an sich. Welche Themen werden gesetzt und wie wird damit verfahren? Letzterer Frage stellt sich jede Inszenierung.
Schule im Theater
Im hellen Saal schafft von der Vorbühne aus eine Art Lehrer-Erzieher-Herbergsvater-Typ Ordnung. Eine Sorte Aufpasser, wie ihn sich der Regisseur und der Darsteller vorzustellen mögen, da fallen Worte in die vermeintlichen Schüler-Sitzreihen: „Wird man eigentlich sehr gehänselt mit so einem Haarschnitt?“
Plötzlich verschwindet der Schulmeister… Wie immer im Leben, sind die Besserwisser weg, bevor man sie gebrauchen könnte. In diesem Monolog gibt’s auch Portionen einer sympathischen Art von Stückeinführung: „Das hat der geschrieben, da war er 21!“ – „Guckt nicht so erwartungsfroh, das wird sich gleich geben!“ – „Das ist hier nicht die Jugendweihe, nicht verwechseln! Das gab’s damals noch nicht, in der Sturm-und-Drang-Zeit.“
Schon längst sitzt da die Pianistin (Friederike Bernhardt) unter einer riesig-hohen Perücke rechts auf der Vorbühne an den Keyboards. Durch die Tür des Eisernen Vorhangs lugen Partypeople, streuen Konfetti, da hinten scheint man in bester Stimmung zu sein. Wenn die Truppe herauskommt, zeigt sie sich derb-melancholisch in barock-grauen Beinkleidern, barocken Perücken und bunten Hemden wie aus einer beliebigen City-Modeboutique. Josa Marx hat die Kostüme gestaltet, die sich die Darsteller erst anverwandeln. Aus Bunt wird Grau.
Allseits sprühen die Funken des Spiels
Aha, den Karl Moor spielt eine Frau (Katharina Schmidt) und die Amalia ein nicht mehr ganz junger Mann (Andreas Herrmann). Alle drei, mit Franz (Michael Pempelforth), knien sich in den Text und arbeiten sich Satz für Satz akkurat daran ab. Gestus und Gesten haben sie dazu reichlich. Man merkt da schon, dass ein gelernter Schauspieler Regie führt. Man höre nur, und sehe dazu die Personen/Darsteller: „Tränen bedeuten nichts! – Tränen kommen aus dem Bauch! – Tränen kommen von Gott!“
„Du allein bist verworfen!“
Wenn der Vater, Maximilian Graf von Moor, dann noch geisterhaft nackt mit langem Bart dazwischengeht, sprühen allerseits die Funken des Spiels. Natürlich mit Schreien und Brüllen. Heftig auch, wenn Karl die Räuberbande in den Wald ruft. Jenen Wald, der bei Shakespeare so oft als Metapher für Flucht, Rückzug, Möglichkeit zu Wachstum und Veränderung war. Was passiert – dramenweit – nicht alles im Wald. Branntwein gibt’s aus braunen Kaffee-Plastikbechern, ein paar bunte Glühlampen flackern wie Lagerfeuer in Jana Wassongs Bühnenbild-Abläufen.
Beim Räuberlied orgelt das Keyboard mächtig. Später wird technisch mehr geklotzt, wenn ein Elektro-Auto als Transportmittel eingesetzt wird. Na klar, da scheint dem Publikum auch mal wieder das Licht grell ins Gesicht, aus der Lichtquelle, die gerade noch den Mond darstellte. Und Licht-Rampen von hinten strahlen in den Saal. Ist ja auch erlaubt, dass ein Regisseur zeigt, dass er weiß, was üblich ist.
„Du allein bist verworfen!“ wird etliche Male ins Publikum geschrieen und so, als ob das Stück schon zu Ende wäre. Es dauert lange, bevor nicht mehr nur über Tisch und Bänke geschritten wird, sondern man tatsächlich Platz nimmt. Doch das geschieht als Tableau wie zum Gruppenbild an heimischer Tafel.
Waldidyll und Abbau auf offener Szene
Auf der Bühne dreht sich ein strahlend weißes Haus-Gerüst, dieses Haus verfügt schon über elektrisches Licht. So wie die Darsteller in einheitlich graue, barock anmutende Kostüme schlüpfen, sich außer dem barock gestylten Haar auch Glatzköpfe offenbaren, werden die szenischen Zutaten des Bühnenbildes aufgefahren und verarbeitet. Ein gezeichnetes Bühnenportal mit Schiller-Bezug-Bildtexten („Iffland als Franz Moor“ und „Schiller trägt seinen Kameraden zum 1. Mal die Räuber vor.“) schafft ein Theater auf dem Theater, grüner Wald erscheint als Gassen-Kulissen, schwebt aus dem Schnürboden herab, und – weil es alles so schön rollt – tanzen ein paar falsche Hecken umeinander herum.
Nach der Pause wird von diesem Waldidyll nur noch der Mond und die Rückwände der auf den Seitenbühnen stehenden Walddekorationsteile zu sehen sein. Auf offener Szene haben die Techniker dann schon die gassenbildenden Stoffbahnen abgebaut. Zu allem falschen Theaterzauber gesellt sich ein lebendiges Pferd mit Reiter (Chefrequisiteur Sven-Sebastian Hubel, der einst schon in Wolfgang Engels „Wallenstein“-Inszenierung einritt. So kann man eben auch zeigen, wie ein Klassiker eben nicht Opfer von Demontage und Provokation wird, und trotzdem ein Drama bleibt. Da sind viele Ideen im Spiel, manches wird benutzt, variiert und wieder fallen gelassen. Wie das tanzende Waldbuschwerk. Oder das Haus mit Flucht-Rutschstange.
Kommen mehr als drei Leute auf die Spielfläche, sind sie choreographiert oder agieren und sprechen im Chor. Möglich, dass da Nuancen der unterschiedlichen Personen auf der Stecke bleiben, Räuber ist und bleibt eben Räuber. Bilder und Szenen erinnern zuweilen an Robert Wilsons und Jo Fabians oder Konstanze Lauterbachs Arten, eben solche zu kalkulieren und zu bauen.
Ganz schön große Besetzung
14 Darsteller und die Musikerin teilen sich in die vielen Rollen des 2-Stunden-40-Minuten-Stücks. Da inzwischen selten, sei vermerkt, dass diese Produktion ohne Videotechnik auskommt.
Fraglich bleibt, ob wirklich ziemlich die gesamte Handlung mit mehr oder wenig spährisch-musikalischen Stimmungen und Akzenten unterlegt werden musste, respektive weichgespült. Eine Schauspielmusik ist etwas anderes.
Den alten Fragen: Was ist Verrat? Was ist List? schließen sich seit der Uraufführung weitere an, so alt wie immer noch anregend: Was hat die Aufregung verursacht, damals? Dass der Schiller überhaupt ein Drama geschrieben hatte, dass es als Lesedrama im Buch erschien und dass es aufgeführt wurde? War der Aufreger das, worum es im Stück ging? Wer da was tat und sagte? Also erkannte gar das Publikum sich wieder, getroffen und betroffen? Aktueller kann ein Stück kaum noch sein. „Wie gefährlich ist die Gruppe?“ ist ein Text des Programmhefts überschrieben.
Zur Pause kurzer Applaus, am Ende stark, allzu oft mussten die Darsteller nicht herauskommen.
Bei allem Ernst des Dramas zeigt das Team Schauspiel Theatermachen als spielerisches Arbeiten. Da bleibt zu wünschen, dass etliche Schulklassen und Schülerjahrgänge diese „Räuber“ Schillers im Schauspielhaus sehen können. Immerhin dürfte die vorletzte Inszenierung rund zehn Jahre auf dem Spielplan gestanden haben.
Schillerstadt Leipzig
Schiller selbst soll es einst einem Darsteller nicht übel genommen haben, wenn der andere Sätze sprach, als sie im Textbuch standen. Dass man Schiller nur in Fassungen zeigen kann, um die Textmenge konsumfähig zu machen, hat sich herumgesprochen. Das verführte manchmal zu Radikalkuren, diese „Räuber“ zählen nicht dazu.
„Maria Stuart“, „Kabale und Liebe“ gab es in Enrico Lübbes Leipziger Intendantenzeit schon. Wieso war da plötzlich vom „Abschluss einer Schiller-Trilogie des Leipziger Schauspiels“ die Rede? Wenn sich Leipzig auf vielen Künstlern in Serien und Festtagen widmen will, dann gehört auch der Gohliser Sommerfrischler, Weimarer und Bad Lachstädter Theaterpraktiker Friedrich Schiller dazu, hier wie da an der Seite Goethes.
Schiller geht immer. Und wenn es als Selbstherausforderung von Karl Kayser als Regisseur war, wie einst in Leipzig, nacheinander alle Schiller-Stücke zu inszenieren. Er hatte es geschafft, bis auf „Demetrius“. (Aber Volker Braun hat im früheren Leipziger Kellertheater aus seiner Bearbeitung „Dmitri“ gelesen.)
Und selbst Leipziger „Geisterseher“ gab es schon als Theater-Pack-Sommertheater, wenn auch mit der Botschaft, dass da Schiller mit den Geistern, die er wähnte, nicht klarzukommen schien, wie der „Zauberlehrling“ Goethes. Theatersekretär Robert Blum waren längst vor 1848 nicht nur groß angelegte Leipziger Schiller-Feiern zu verdanken, sondern auch das Gohliser Schillerhaus als erster Literatur-Gedenkstätte in deutschen Landen. Auch Schiller ist ein Leipziger.
Meinungen: Eine Besucherin in Reihe 6 bedankte sich bei ihrer Nachbarin, dass sie mitgenommen wurde. – „Das mit dem Pferd und dem Franzosen war echt lustig.“ – „Schön war das Bild, wie sie alle am Tisch waren wie beim Abendmahl.“ – „Toll, dass Amalia von einem Mann gespielt wurde.“ – „Ungewöhnlich, dass der Karl so eine tiefe Frauenstimme hat.“ – „Ein weißes Kulissen-Haus, wie man es sich für Tschechow-Stücke vorstellt.“
Nächste Vorstellung am 17. Juni, 06., 28.10., 04.11., 03.12.2016, 12.04.2017.
Spezielle Vorstellungen: Simultanübersetzung Englisch am 06.10. und 04.11.2016, Spanisch am 28.10. und 03.12.2016.
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