Ein Landstreicher erobert eine Fabrik, spielt und spricht was er sieht und erlebt. „Die Erweiterung des Labyrinths. Keil 3.“ Ein Theaterstück für einen Darsteller mit sphärischer Musik aus der Konserve und bunten Malereien mit Lichtstift, und Malmaschine auf ein weißes Segel. Soweit nichts Neues bei Wolfgang Krause-Zwieback, aber anders sortiert.
„Wichtig ist immer der Text“, erzählte der Autor, Regisseur, Schauspieler, Sprecher, Tänzer, Maler vorneweg. So viel Text gab es bei ihm lange nicht.
Wort- und Bildverzauberer
Krause-Zwieback setzt sich seine Begriffe selbst, soll man ihn doch in Schubladen stecken können, wie man will: Wort- und Bildverzauberer, sinnlich-surreale Erzählperformance mit musikalischen Welträumen von Shaban, Dieter Kraft (acc), Sakady Desna (voicce).
Wolfgang Krause-Zwieback hat seine alten Leipziger Fans, im Laufe der Zeit sind neue dazugekommen, Lebensalter und Wiedererkennungseffekte im Premierenpublikum zeigen das. Es ist nämlich 30 Jahre her, seit das „Kabasurde Abrett“ die Bretter eroberte, die das Geld bedeuten. Wo ging’s denn los? In der Hochschule für Grafik und Buchkunst, im academixer-Keller und schon mal im Westen, am Lindenauer Markt. Dann westwärts! Bis zur Bundeskunsthalle in Bonn. Und immer wieder in der Schaubühne Lindenfels. „Ein inspirierender Ort“, hat Krause-Zwieback einem Interviewer erzählt. Nämlich Inspiration für Reisen zu ganz anderen Orten! So war und ist das immer bei ihm. Entweder gab es ein paar Kulissen, und drumrum passierte Absurdes, oder es gab fast nichts auf der Bühne, und Krause-Zwieback spielte alles. Als damals die Rose auf der Müllkippe blühte, er mit der Rose in der Hand, sahen alle auch die Kippe.
Viele Berufe hat Krause-Zwieback schon abgearbeitet, zu Land zu Wasser und in der Luft, jetzt geht’s mit dem Landstreicher Ray Back in eine Fabrik. „Was dort produziert wird, erfahren wir auch nie“, hat Wolfgang Krause-Zwieback vorneweg bedeutungsvoll erklärt. Gar nicht wahr, zumindest am Premierenabend hat er doch erklärt, dass dort das Himmelszelt hergestellt wird. Warum sollte das nicht möglich oder nicht wahr sein? Wie oft haben Architekten den Himmel in Stein und Mörtel, Stahl und Glas nachgebaut oder irdischen Bestand christolike unterm Himmel verhüllt?
Lachsfigurenkabinett
In der Fabrik schwatzen zwei Kolleginnen über Alltag und Familie, allein zusammengetratscht von wem wohl schon. Zwischendurch hält der Direktor immer mal eine Ansprache oder man wird nach der Ankunft mit dem „Leiterwagen“ von der Vorzimmerdame oder im Chefzimmer bearbeitet, wer ist der Nächste in diesem „Lachsfigurenkabinett“?
„Arbeit macht Vergnügen. Vergnügen ist Arbeit.“ Nein, die Kultur und Theatralik einstiger Fabriken ist Krause-Zwiebacks Erinnerungssache nicht, die Pförtner am Werktor und die Sirene, die Klingelzeichen am Morgen und am Feierabend, sogar in den Büros. Auch nicht Werksfunk, Betriebszeitung, Werksfeuerwehr, Betriebssport oder Arbeitertheater. Doch ebenso fern ist auch die Lyrik, die Krach und Tempo einer Fabrik „die vor Hitze flirrt“ noch in Verse fasste, wie einst Volker Brauns „Allgemeine Erwartung“ mit der Aussicht: „Das meiste ist noch zu erwarten.“ Ein Text, älter als Krause-Zwiebacks Kabasurdes Abrett, der erwähnt Brauns Lyrik auch jetzt nicht – könnte er aber mal spielen!
Scharfrichter und Zeitraffer
Von Abwicklung ist nun in der Fabrik die Rede, denn „Wer am Start starrt und döst wird überrollt.“ Die Worte „Scharfrichter“ und „Zeitraffer“ folgen aufeinander. „Holz-der-Teufel!“
Ja, auch das ist ein möglicher Ausweg: „Manche beginnen zu rauchen, denn Nichtraucher müssen länger leben.“
Zwischen den Szenen malt Ray Back weiter an seinen Bildern, hinter jedem neuen verschwindet das vorige auf der Leinwand.
Wenn man auf das Dach der Fabrik klettert, sieht man einen Weinberg. Auf einem Weinweißberg hielt Krause-Zwieback auch schon mal einen Kongress ab mit den „brechtmäßigen Erben“, noch dazu im Berliner Ensemble. Ohne eine Zeile originalen Brecht-Text. Lange her, vor der Ära des Intendanten Claus Peymann. Der übernahm Krause-Zwiebacks Sicht auf die Welt nicht in sein Repertoire. Soviel Humor hatte der nicht.
Natürlich hat die Fabrik ein „Kochhaus“, und in der Küche wird mit dem Löffel im Topf gerührt und wild getanzt, bis das Rissotto Widerstand leistet.
Dann wird wieder Wolkengarn verwebt in der Himmelszeltfabrik. „Wenn du die verlorenen Nerven nicht findest, dann sind sie wie ein Bündel, nicht mehr entwirrbar.“ Da begibt sich Krause-Zwieback wieder auf den Boden der Schaubühne und genießt den reichlichen Schlussapplaus.
Dada einst und heute
Man kann es auch so sagen: 30 Jahre Kabasurdes Abrett von und mit Wolfgang Krause-Zwieback und 100 Jahre Dadaismus wurden bei einer Feierstunde in der Schaubühne Lindenfels gewürdigt.
Nein, Begriffe wie Dada und Dadaismus fallen nicht bei Wolfgang Krause-Zwieback, auch nicht der Name Kurt Schwitters. Er hat auch kein Manifest. Seine Existenz und Arbeit sind hier Manifest genug. Kurzlebig sind seine Produktionen leider. Nach ein paar Serien-Vorstellungen gibt es selten Reprisen. Was aber möglich ist: Nach Jahren von ruhiger See gab es auf Kundenwunsch, und da war auf Krause-Zwieback Verlass, mal einen erneuten „Dampferaufgang 6:13 Uhr“. Und der Dampfer hatte auch nichts direkt mit Dada zu tun, außer, dass der Wille zu dieser Machart aus demselben Spieltrieb herrührt. Verzauberung ist nie auszuschließen. Kurt Schwitters aus Hannover gastierte einst im Leipziger Lokal „Nachtfalter“ in der Hainstraße! Fümsbüwöh! Und Joachim Ringelnatz aus Wurzen trat dort im Matrosenanzug auf und rezitierte auf Sächsisch Seemannspoesie.
(Und jetzt wird in Wurzen das Ringelnatz-Geburtshaus verkauft, weil die sogenannte Ringelnatz-Stadt damit nichts anzufangen weiß, der Stadtrat will aber nicht beteiligt sein, wenn es denn plötzlich einfallen sollte.)
Zwiebäckiger Spielplatz
Man kann aus allem eine Wissenschaft machen, mit Theorien sezieren und durch Gebrauchsanweisungen wichtig tun. So trocken, dass einem das Lachen vergehen muss. Es sind so viele Coachs, Trainer und Key-note-Speaker unterwegs, dass die Welt eigentlich schöner sein könnte. Doch vorerst braucht man auch noch Lach-Yoga. Es gibt durchtrainierte Akteure im Improvisationstheater, bei dem das Publikum der Bestimmer ist, wie der Regisseur auf postmodernen Bühnen bei der Vorführung dressierter Schauspieler.
Wolfgang Krause-Zwieback kultiviert das, womit Generationen von Schauspielern begonnen haben, ihr Handwerk zu erlernen, aus Beobachtungen, Situationen, Handlungen zu machen und Entscheidungen zu treffen. Ob nun als Kind vorm Theaterstückspielen oder als Student im Grundstudium.
Wie man so tut als ob, egal in welchem Beruf, lernt man im Kindergarten. Heißt das eigentlich noch Spielzielverwirklichung, was die Tanten da bei den Kindern überprüfen, ohne dass die sich kontrolliert fühlen sollen.
„Zwiebäckig“ zu denken und doch nie so sprechen zu können wie er, kann Sehnsucht sein. Womöglich auch Sucht. Und Suche, würde Krause-Zwieback vermutlich anfügen.
Viel Applaus am Premieren-Donnerstagabend. Im Saal saßen Jurymitgliedes des Leipziger Bewegungskunstpreises und sogar der Mann der im DDR-Leipzig die Amateurkabaretts geprüft und Einstufungen zugeteilt hat, damit sie bei Veranstaltern eine Art Aufwandsentschädigung kassieren konnten.
Meinungen: „Ich glaube das alles einfach nicht.“ – „Ich fand ihn heute echt gut. Als ob es einen Regisseur gegeben hätte!“ – „ Heute gab es den Text, den wir zwischendurch bei anderen Stücken vermisst haben! Ich bin hin und her gerissen!!!“
Nächste Vorstellungen: 03.04., 14.04., 16.04.2016, Schaubühne Lindenfels.
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