An der Fassade des Opernhauses leuchtete schon mal der Schriftzug „Spielzeit 2016/2017“, flankiert von grafischen Elementen, die an Rauchschwaden oder das Feuer der Begeisterung erinnern könnten. Zur Pressekonferenz hatte die Intendanz erstmals auf die Hauptbühne eingeladen.
Durch den leeren Zuschauerraum ging man ein Treppchen hinauf auf die Rampe, die wiederum durch einen Vorhang und ein Bühnenbildteil aus dem nächsten Premierenstück „La Cenerentola“ verkleinert wurde. Nach Ansage von Pressesprecherin Bettina Auge erschienen die Hauptdarsteller dieses Opern-Dienstagnachmittags dann aus der Gasse, nahmen am Tisch Platz und schon fuhr sie die Bühnentechnik-Hydraulik rund 40 cm in die Höhe. Für einen Moment erschien es den Zurückgebliebenen dabei, als würden sie selbst in die Versenkung entschwinden.
Liste eintragen!
Pressekonferenzen sind Termine, wenn Leute etwas eröffnen, Neues vorstellen oder anderweitig Aufmerksamkeit erheischen wollen. Es passieren da ziemlich simple Dinge. Zuerst werden die ohnehin namentlich vorgeladenen, und meist auch vor dem Termin extra abgefragten, Teilnehmer in eine devote Position der Verbeugung gezwungen: sie müssen, ja, müssen, und darauf wird meistens mit Nachdruck hingewiesen, sich in eine Liste eintragen. Es scheint dann aber auch egal zu sein, was man in welche Rubrik dieser Listen hineinkritzelt.
Könnte ja spannend sein, zu erfahren, was mit den Listen später passiert, aber eigentlich interessiert auch das niemanden. Obwohl es eine Forschungsarbeit wert wäre, herauszufinden, wer wie oft da war. Kann auch schiefgehen, wenn sich herausstellt, dass jemand nur aus Langeweile und Appetit auf Kaffee da war.
Nächste Hürde, zuweilen wurden alkoholfreie Getränke und Kaffeekannen, Schnittchen, Häppchen und ähnliches mit willkürlich übereinander gestapelten Nahrungsmitteln aufgebaut. Man ignoriert das am besten, kann ja krümeln, macht Flecke, braucht Platz, zumal auf den Tischchen kaum zwei Pressemappen gleichzeitig aufgeschlagen werden können.
Zu den Pressekonferenzen sind illustre Menschenscharen anwesend, die beispielsweise eine Theater-Intendanz offensichtlich kennt. So war das auch am Dienstag in der Oper Leipzig, und einige Journalisten waren auch wieder dabei.„Schauen wir mal, wie wir Sie in der nächsten Spielzeit wieder überraschen können“, sagte Bettina Auge, die Pressefrau.
Zuerst das Menschliche. „Wir sind ein Ensembletheater, mit Gästen in besonders großen Produktionen“, weist Intendant und Generalmusikdirektor Ulf Schirmer auf das Personal hin, „denn, schauen Sie es sich an, allzu groß ist es nicht.“ Operndirektorin Franziska Severin sagt: „Wir haben viele Sängerinnen und Sänger, die in Leipzig begonnen haben, sich daran erinnern und immer gern wieder kommen. Und Kathrin Göring beispielsweise sang bei uns schon vieles und nun bereits zwei Mal die Kundry im ‚Parsifal’. Franziska Severin ist eine Frau der Kontakte und der Taten, und sie wird nach der „Csardasfürstin“ in der MuKo nun ein weiteres Mal inszenieren. Solche Fortsetzungen sind ein Grundton dieses Hauses und des Ensembles, den man als Stammgast gerne hört. Besonders wenn man auch wegen der Menschen und der Namen der Künstler gern ins Theater geht.
Im Martin-Luther-und-Reformations-Jahr 2017 kooperiert die Oper mit der Peterskirche und bring Albert Lortzings „Himmelfahrt Jesu Christi“ heraus, in Zusammenarbeit mit der Jugendmusiziergruppe „Michael Praetorius“, die auf historischen Instrumenten spielt.
Ex-Thomaner und Opern-Ensemblemitglied Martin Petzold wird Martin Luther verkörpern.
App in die Oper
Allein alle Premieren und Repertoire-Übernahmen aufzulisten, alle Neuengagierten gebührend zu würdigen, Rollen-Debüts und Leipzig-Debüts zu feiern, kann nur Sache von Listen und dem Personal der Produktionen sein, worin man via Website nachschlagen kann. Nur die Wagner-Stars zu benennen wäre unfair.
Bevor es, wie im gedruckten Jahresheft, weit hinten und unter dem Begriff OPER EXTRA zu verschwinden droht, sei an die Gelegenheiten erinnert, Ensemble, Häuser und Technik außerhalb von Aufführungen kennenzulernen.
Insgesamt 15 Produktionen werden mit dem Begriff EDUCATION in Verbindung gebracht, früher nannte man es Theaterpädagogik, also Ideen und Erfindungen, jungen, jüngsten Leuten Theaterspiel zu zeigen und die nicht mehr ganz so jungen wieder neugierig zu machen.
Eine mobile Produktion von „Hänsel und Gretel“ kam in jüngster Zeit hinzu. Und selten kann man so viele Treppenstufen in kurzer Zeit bewältigen, wie bei einer Führung durch Leipzigs Opernhaus.
Mit noch mehr Informationen und Filmen lädt die Oper via Internet ein. Dienstagnachmittag flimmerte über den Riesen-Display in Portalgröße ein Gespräch zwischen Ulf Schirmer und Thomas Hermanns, der als Regisseur in der Musikalischen Komödie quasi eine Reise nach Bochum veranstalten wird, wenn Hape Kerkelings Musical „Kein Pardon“ einstudiert wird.
Auftakt: Opernball
Mit dem Opernball soll die nächste Spielzeit beginnen, und das wird dann auch noch mindestens zwei weitere Jahre so sein.
Nachdem der „Freischütz für Kinder“ in der Musikalischen Komödie schon längst mehrere Generationen anzieht, soll es nun auch einen neuen „Freischütz“ im Opernhaus geben. Beim „Ring des Nibelungen“ verfuhr man ja ähnlich mit dem „Ring für Kinder“ in der Dreilindenstraße, und die Premiere der „Götterdämmerung“ steht bevor.
Donizettis „Lucia di Lammermoor“ ist ein Dauerbrenner in den Opernhäuser-Repertoires und war doch jahrzehntelang nicht in Leipzig zu sehen. Katharina Thalbach wird inszenieren, da macht sie wieder einmal Oper, dieses Allround-Theaterblut, das in Berlin Serien von glanzvollen Vorstellungen als (unterhaltungs-)kunsterfahren-beseelter Theaterdirektor Striese im „Raub der Sabinerinnen“ gespielt hat.
Vom „Rebell des Königs“ von Charles Gounod sagt Ulf Schirmer, dass das Werk alles habe, was Oper brauche und es fraglich ist, warum das Stück so lange nicht gespielt wurde. Leipzigs Opernhaus wird darauf eine Antwort haben.
Richard Strauss’ „Salome“ gibt’s mal wieder neu. Und dazu die Strauss-Erfahrung, dass Reiseveranstalter nach Komponisten-Blöcken gefragt haben. So gibt es nun ein STRAUSS-Wochenende.
Faust-Stoff-Fans strömten schon, zum RING kommt beispielsweise ein fränkisches Unternehmen schon Stück für Stück und kombinierte das dann zuerst mit einer Stadtführung und beim nächsten Besuch mit einem Spaziergang speziell zu Richard Wagners Leipziger Adressen.
Dass es den „RING“ an vier aufeinander folgenden Tagen gibt, hat mit dem Trick zu tun, für „Siegfried“ und „Götterdämmerung“ zwei unterschiedliche Sänger zu engagieren. „An Tagen des RINGS sollte man sich auch gar nichts anderes vornehmen“, plaudert Ulf Schirmer aus eigener Erfahrung, „wenn man morgens aufsteht ist man schon im RING, und dann sollte man auch nicht mit dem Finanzamt telefonieren oder so was. Ich bin dann auch nicht halbtags geteilt, wie sonst, wo sich mittags schon die Stimmung des Abends einstellt, das hat sich auch schon verselbständigt.“
„Die Meistersinger von Nürnberg“ sind aus der Repertoireliste verschwunden, nachdem beim Kostümverkauf auch die Garderobe schon an Fans entsorgt wurde.
Mit dem „Nussknacker“ für junge Besucher ab sechs Jahren kündigt der Ballettchef Mario Schröder auch eine Uraufführung einer Choreographie von Jean-Philippe Dury an. Mario Schröder wird einen Abend „Van Gogh“ widmen mit Musik von Bach, Pärt, Schostakowitsch. Und Thierry Malandain studiert „Don Juan / Mozart á Deux“ ein.
Beim „Intershop“ reist das Ballett in die Baumwollspinnerei in die im Juni 2017 fertiggestellt sein sollende neue Spielstätte des LOFFT. Neben drei weiteren Reihen sind drei Abende für den „Tanz in den Häusern der Stadt“ reserviert, eine ideenverschwenderische-tänzerische Okkupation von Häusern ungeachtet früherer Nutzung, die inzwischen schon ein Stamm-Publikum hat.
„Die Musikalische Komödie ist ein sich stetig erneuerndes Gebäude“, sagt der Intendant Ulf Schirmer nach der Fertigstellung des neuen Proben- und Garderobengebäudes. „Die Piraten“ entern die Wasserstadt Leipzig an den Fluten neben der Dreilindenstraße. Lindenaus neuer Chefregisseur Cusch Jung will seine Revue „Das Leben ist (k)ein Musical“ einstudieren.
Mit Nico Dostals „Prinzessin Nofretete“ schreibt man sowieso Musiktheatergeschichte, denn das Stück konnte jahrzehntelang nicht aufgeführt werden, weil man die Noten verschollen glaubte. Man hat sie wiedergefunden, die Leipziger bewarben sich um die Aufführungsrechte und haben sie bekommen. So macht man Leipziger Messe im Musiktheater. Noch dazu mit der Liebesgeschichte um eine ägyptische Prinzessin.
Leonard Bernsteins „Candide“ wird schließlich konzertant aufgeführt.
Eine Runde Karussell
Nachdem das Podium mit dem Intendanz-Präsidium zu Beginn der Pressekonferenz empor fuhr und der Intendant begrüßte, freilich ohne näher oder persönlich auf den Weltfrauentag einzugehen, dankte er der Stadt. Nämlich für die 3,6 Millionen Euro, die die TÜV-gerechte Erneuerung der Drehbühnentechnik gekostet hat. Nun, als Intendant, wenn auch eines städtischen Eigenbetriebs, ist Schirmer selbst Angestellter der Stadt und zu den Pflichten der Stadtverwaltung gehört es, technische Anlagen nach allen Regeln von Ordnung und Sicherheit zu betreiben.
Ohnehin sind Theater und Museen schönste Gelegenheiten, eingezahlten Steuern wieder zu begegnen. Kulturbürgermeister Michael Faber und Stadträte waren anwesend, laut Intendant waren alle Fraktionen eingeladen. Was er aber nicht nutzte, um seine Wünsche und Hoffnungen auszusprechen. Auch nicht zu Fragen der Kooperationen in Kunst und Verwaltung, Oder gar zur Sache, was die Oper Leipzig eigentlich daran hindert oder was man brauchen würde, um mehr zu spielen, an mehr Wochentagen Aufführungen zu zeigen, und das Kellertheater wieder zu öffnen. Gar nicht zu denken an die Vision, womöglich das aus Holz errichtete Opernhaus aus dem Jahr 1693 noch einmal zu bauen. Denn, ja, so lange schon gibt es Musiktheater in Leipzig.
Nie sollst Du mich befragen nach Zahlen
Zum Finale dreht sich dann die Bühne samt allen, die drauf sitzen. „Einen Meter pro Sekunde“, sagt Intendant Ulf Schirmer, „und wenn wir am Ausgangspunkt angekommen sind, dann ist die Pressekonferenz zu Ende.“ Aber da nimmt die Pressesprecherin das Mikrofon und will wissen, ob es noch Fragen gebe. Freilich, ein Herr fragt nach Zahlen.
Die will der Intendant aber gerade nicht herausrücken, außer die Platzauslastung von 73 Prozent. Da dürfte dann alles zwischen Opernhaus, Koproduktionen, Musikalischer Komödie und Ballett in den Häusern der Stadt mitgezählt sein. Und auch die Talk-Show vom Vorabend, bei der es nur 50 Plätze gab. Oder nicht? Oder anders?
Es sei dies nämlich mit dem Ende der Spielzeit das Auslaufen seines ersten Intendantenvertrages. „Aber wir können froh sein“, sagt Intendant Ulf Schirmer. Als ob das etwas mit den Umsatz- und Verkaufszahlen per Stichtag zu tun hätte. Er aber müsse die Zahlen erst mit Gremien besprechen. Als ob das Anzahl und Beträge verändern würde. Da schüttelt ein Kaufmann im Publikum den Kopf.
Wenn die Journalisten dann in ihre Redaktionen zurückgekehrt sind, ist der ganze Inhalt der Papiere und des USB-Sticks aus der Pressemappe per Email schon eingegangen. Schnittchen und Kaffee, die man auf der Opernbühne ignoriert hat, werden nicht nachgereicht. Unvergesslich bleibt allein die eine Runde Karussellfahrt auf der Opernbühne. Und dass man einfach die Gelegenheit genutzt hat, von der Rampe aus ein paar Worte in den großen weiten Saal zu sprechen. Welch ein Nachhall.
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