Bereits vor Stückanfang blubbern Geräusche, zeigt sich auf offener Bühne eine Art weißer Doppelstock-Container in Kubusform. Wo Licht durchscheint, wird wohl noch eine Tür aufgehen, unter der Folie lugen Schienen empor, hier kann noch was ins Rollen kommen. „Babel“ steht auf dem Leuchtkasten über dem Kubus, „Metropolis“ gibt's ja immerhin schon an einem Nachtclub mit schmaler Tanz-Bühne in der Leipziger City.

Leuchtschriften und Bilder flimmern, Projektionen strahlen auf den Kubus, „Wer rettet die Welt?“ Sprechblasen-Seufzer ersetzen die Äußerungen der Menschen und Gefühle, aus dem Kubus wird die Herzmaschine, an deren Schläuche sich die Menschen anschließen.

In Leipzigs Schauspielhaus widersteht man nicht der Versuchung, „Metropolis“ ohne Film und Video zu erzählen. Stattdessen wird die Live-Kamera-Überwachung mal wieder neu erfunden.

Mythopolis

Fritz Langs Filmklassiker zieht noch immer Kinofans an, wieder aufgefundene Szenen und Musik wurden eingearbeitet, Musiker von Jazz, Orgel und Sinfonieorchester fanden Gefallen und scharenweise Publikum für Stummfilmvertonungen vom „Golem“ über „Faust“ bis zu „Metropolis“. Es sind Sinn und Formen, die durch die Zeiten wachsen. Ideale und Idylle wie Platons Höhlengleichnis oder Thomas Morus 500-Jahre-alte „Utopia“ und die Idee vom künstlichen und programmierten Menschen. Wer dann von wem wozu benutzt werden soll, da gehen Moral und Meinungen auseinander…

In der Version des Schauspiels Leipzig geht es nach Timeline schnell durch rund zwei Stunden Spieldauer ohne Pause. Regisseurin Cornelia Bauer arbeitet verfügbare Technik und Spieler quasi maschinell ein. Sechs Darsteller und 20 Personen in einem Bewegungschor suchen sich Lücken in den technischen Abläufen oder dreschen mit dem Hammer auf den Kubus ein, bis sie eingelassen und wieder entlassen werden. Eine Versöhnung der herrschenden mit der unterdrückten Klasse ist hier natürlich nicht zu erahnen oder gar zu erleben.

Aufzulisten was man gern gesehen hätte, ist arrogant der Kunst gegenüber, erst recht wenn man sie gesehen hat. Alles zu verraten, beim Krimi sogar den Mörder, ist unfair. Das nicht zu beschreiben, was man gesehen hat, ist auch unfair. Dieses Dreieck muss man aushalten, will man über Theater schreiben.

Werkzeug

Freilich wird von Zeit zu Zeit auch menschlich gesprochen, wird Text eingebracht, aufgesetzt und übergestülpt, den Fritz Lang nicht verwendet hat, obwohl auch er ähnliches genau so auf der Straße und in der Kneipe gehört haben kann, wie es heute auf der Straße und in der Kneipe gehört werden kann. Dazu folgt dann in der Interpretation des Schauspiels Leipzig nichts mehr.

Auf der Bühne wird der Werkzeugkasten großzügig benutzt: Morph-Suit-Trikots und Kleidertausch, mit Scheinwerferlicht in Varianten das Publikum blenden, Regen mit echtem Wasser, aber kleiner als bei Fritz Lang, übergroße Papp-Köpfe, Goldfolie als Gardine und Notfall-Schutzmantel, Flugmaschine für Überflieger, Rednergebrüll, Sprechchor, Musikeinspiel partout genau dann, wo man Schauspielern Luft lassen könnte.

Zum Schluss fällt der eiserne Vorhang, per Film wird Botanik projiziert. Menschenähnliche Lebewesen mit Riesenköpfen irren darin umher. Menschen wie du und ich…

„Die Sprache des Terrors versteht jeder“

Von den hinzugedichteten Phrasen bleiben ein paar sinn- und wortgewaltige hängen:  „Kapitalismus ohne Gier ist unmenschlich!“, „Kein Mensch braucht den Menschen!“, „Die Mitte zwischen Hirn und Händen muss das Herz sein.“ „Ich bin abwaschbar, gefühlsecht, immer schön…“, „Die Sprache des Terrors versteht jeder“, „den Menschen vor sich selbst schützen“.

Fritz Langs Film sieht den Kapitalismus durch die Brille von Karl Marx und warnt, laut Wikipedia, dass die beschworene Revolution die Lebensgrundlage der unterdrückten Klasse vernichten würde.

„Du bist schon Maschine, ich noch nicht!“, sagen die Bühnen-Figuren zueinander, denn alles wird Maschine. Ein Sprechchor grölt in Endlosschleife Parolen wie von der Straße, die Message wird wiederholt, immer und immer wieder, als würde es jemand nicht verstehen oder nicht hören wollen

Theaterstücke haben manchmal ein oder zwei Schlüsse, dieser Abend hat viele und die Finale-Maschine dreht immer noch weiter und dreht durch.

Fritz Langs Stummfilmklassiker „Metropolis“ hat das Schauspiel Leipzig auf die Bühne gebracht, ohne auf Film und Live-Video zu verzichten. Foto: Rolf Arnold / Schauspiel Leipzig
Fritz Langs Stummfilmklassiker „Metropolis“ hat das Schauspiel Leipzig auf die Bühne gebracht, ohne auf Film und Live-Video zu verzichten. Foto: Rolf Arnold / Schauspiel Leipzig

Wie verhält sich das Leipziger Publikum nach der Premiere? –  Es applaudiert natürlich brav und lange.

Leipzigs Schauspielhaus wird mitsamt dem glotzenden Publikum zur Maschine. Justiert und programmiert läuft der ganze Zauber ab. Eine Utopie wäre hier, dass die ganze Technik stromlos ihren Geist aufgibt und dann, ja dann… vielleicht mit oder ohne dem Schein eines Notlichts ein Schauspieler einen Text ablässt, den er parat hat oder der ihm gerade einfällt.

Brecht wollte nach seinem „Leben des Galilei“ zum einen „Leben des Konfutse“ und ein „Leben des Einstein“ schreiben, aber, so soll er geäußert haben, nicht als Historienschinken, sondern mit mehreren Ebenen, Film und Schrift. Andere haben dann versucht, Brechts Ideen noch auf Schauspiel- und Opernbühnen zu bringen. (Warum hat man davon eigentlich schon lange nichts mehr gehört?)

….und 1927?

Warum fiel der Film 1927 beinahe durch und bereitete der Produktionsgesellschaft außer Kosten nun auch noch neuen Kummer? Verriss man ihn in der Presse, weil man ihn nicht verstanden hatte, oder weil man ihn zu gut verstanden hatte?

Zwar wurden von der Kritik die filmischen Effekte und der technische Aufwand gelobt, Thea von Harbous Drehbuch wurde jedoch verrissen. Im Berliner Börsen-Courier schrieb man in der Nachtausgabe: „Immer wird mit Gefühlsphrasen gearbeitet. Schrecklich. Ein sachliches Thema grausam verkitscht. Effekte, nicht weil Weltanschauungen zu Explosionen drängen, sondern weil der Film seine Tricks will. Der Schluss, die tränenreiche Versöhnung von Arbeitgeber und Arbeitnehmer – entsetzlich.“ New York Times: „Ich habe letztens den albernsten Film überhaupt gesehen.  Er heißt ‚Metropolis‘, stammt aus den großartigen Ufa-Studios in Deutschland, und man muss erwähnen, dass er enorme Produktionskosten verschlungen hat. Er präsentiert eine turbulente Konzentration aus fast jeder denkbaren Blödsinnigkeit, Klischee, Plattitüde und Chaos über den mechanischen Fortschritt und den Fortschritt im Allgemeinen, serviert mit einer Sauce von Sentimentalität“.

Aber auch diese Reaktionen gab es: Mit Langs weltberühmten „Nibelungen“ hatte man in der Sowjetunion Interesse an „Metropolis“ geweckt. 1929 wurde in Moskau bei der Zensur angefragt, ob man den „ideologisch inakzeptablen Film nach entsprechendem Schnitt“ in die Kinos bringen könne. Fedor Raskolnikows Zensur verhinderte das.

Metropolis Leipzig

Gesamturteil: Hingehen, selbst urteilen. Und dann noch mal den Film gucken.

Randnotiz:

Mit dem ersten Science-fiction-Spielfilm „Metropolis“ wurden damals Roboter, Einschienenbahnen und Bildtelefone erfunden, und begannen, zumindest in der Filmhandlung, zu funktionieren. Den Begriff Roboter hatte der Literat Josef Capek geprägt, bei seinem Bruder Karel gab es zuvor schon Labori.

In Babelsberg wurde eigens für „Metropolis“ die damals sogenannte „Große Halle“ gebaut, entworfen und errichtet innerhalb von nicht einmal fünf Monaten, sie war beheizbar und unterteilbar. Nun ist sie als Marlene-Dietrich-Halle bekannt – und immer noch Filmatelier.

Nächste Vorstellungen: 10., 20.02., 02., 12.03., 02.04., 12.05 um 19:30 Uhr, Schauspiel Leipzig, Große Bühne.

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