Belacht und zeitweise verboten war diese Komödie Molières. Heiter erzählen lässt sie sich heute, und amüsiert konsumieren am lauen Sommerabend beim Theater fact. Schon der Titel „Tartuffe“ liest und spricht sich wie ein Markenname, Molières Komödie taucht immer mal wieder auf Theaterspielplänen auf. So zeigt sich diese „Tartuffe“-Komödie als ein Stück aus grauer Vorzeit, als Figuren auf der Bühne über Dinge verhandelten, um Unrecht oder Recht kämpften ...
Dabei sahen sie sich auch in die Augen und gingen sich an die Wäsche, haben Geiz, Neid, Rache geplant und wortreich ausgeführt. Regisseurin Ev Schreiber präsentiert eine eigene, gekürzte Textversion, nimmt aber den Dichter beim Wort.
Fern von Video und „ach war das schön trashig…“ Es war auch jene Zeit, als sich Leute meistens in ganzen Sätzen verständigten, sich gegenseitig ausreden ließen und sich zuhörten. Auf der Bühne kommt es auch vor, dass man sich unter dem Tisch versteckt, um andere zu belauschen, oder in Verkleidung einen Gerichtsvollzieher vortäuscht.
Vier Darsteller geben sieben Rollen plus einen verkleideten Ganoven
Rundherum die Bauten von Webers Hof und dem angrenzenden Tollhardts Hof könnten ihre eigenen 1000 Jahre Leipziger Geschichten erzählen. Was aber an diesem Abend nicht thematisiert wird, das kann man facettenreich nachlesen oder sich bei Stadtführungen erklären lassen.
Edle Kleider und Roben sind zu sehen, Waschbrett und Schampusflasche, ein edler Thron auf den man leichter rauf als runter kommt. Theresa Neumann spielt gleich drei Charaktere als Frau Pernelle, Elmire und Marianne, André Ryll immerhin zwei als Orgon und Valére, Dietmar Voigt den Tartuffe, der sich zum Herrn Loyal verkleidet und Luise Audersch ist als Dorine die einzige Durchblickerin, was ihr als Mädchen für alles auf diesem Hofe nichts nützt, aber ermöglicht, dass sie letztlich auch noch in die Ladenkasse greift.
Dieses Hin und Her durch Rollen und Kostüme, Rauf und Runter in ihren Charakteren, Aktionen auf der Bühne und auch Wege um dieselbe, bewältigen die Schauspieler köstlich und spielerisch leicht.
In kaum 90 Minuten ist alles erzählt. Es dauert seine Zeit, bis die Figuren ihre Absichten vorgestellt haben, Tartuffe wähnt schon, dass man ihm bald in die Karten blicken könne. Unverhohlen halten die Darsteller Blick- und Ansprechpartner-Kontakt zum Publikum und verschaffen sich Zeugen. Oder suchen gar vermeintlich Rat…
So sehr Regisseure und Schauspieler dieses Verfahren zeitweise verhöhnten, kann das früher Methode gewesen sein. Bei Fastnachtsspielen etwa oder Aufführungen der Leipziger Nikolaischule seit dem 16. Jahrhundert, der, laut Robert Blum, ersten regelmäßig agierenden Leipziger Sprechtheaterinstitution.
Glück hat, wer lachen kann
“Gott schuf die Liebe, der Teufel die Heuchelei. Er ist der berühmteste Scheinheilige”, schreibt das Theater fact in der Sommertheater-Offerte, und von ganz anderem Kaliber als viele andere Heuchler. Was als harmloser Familienstreit anfängt, entpuppt sich als geschickte psychologische Manipulation. Ideologen, die behaupten, das Beste für alle zu wollen, sind oft genug Tyrannen!”
Scharfkantig, grob und manchmal steif sind die Figuren, aber wenn sie vor Begier oder Angst zappeln, schauen menschliche Instinkte anstelle von Gefühlen hervor. “Meins!” ist das Motto des Lebens und Strebens Tartuffes, der “Das ganze Leben ist ein Quiz” trällert und “Adieu, mein kleiner Gardeoffizier…”
Familiengeschichte und Personal eines Hofes stehen als Metapher für Habsucht, Gier, Maßlosigkeit. Großspurige Resultate findet man davon in der Rubrik Wirtschaft, oder was so bezeichnet wird, von ganz großen Zeitungen, die sich den Platz und die Zeit nehmen, die Familiengeschichten und Verwandtschaftsverhältnis-Veränderungen von solchen Personen beschreiben, die man zudem als “juristische Personen” bezeichnet. Was für eine Pointe?!
TARTUFFE, das spricht sich wie der Name einer Firmenkonstruktion, pardon, Unternehmensgruppe, die sich, global agierend, öffentlich zwar äußern, aber nie genau festlegen will.
Wer Molières Figuren und Handlungen ausplaudert, dem gehöre die Theaterkarte entzogen, hat der Schauspielführerautor Georg Hensel einst angewiesen. Denn sie seien so herrlich klar, dass man sie einfach mitbekommen muss. “Das Menschliche ist der Geist, der die Figuren zusammenhält, die Angriffsrichtung”, urteilte Herber Ihering.
Komödie ist eine Art der Betrachtung
“Wer ist gut bei Molière? Wer liebt? Wer kümmert sich um einen anderen außer sich selbst?”, fragte Jean Anouilh, als hätte er ein Urteil wie “Nathan, der Weise” zu verkünden. Und genauso wechselt er die Perspektive, denn in “Tartuffe” gibt es nur die Super-Ichs: “Dank Molière”, meinte Jean Anouilh weiter, “ist das wahre französische Theater das einzige, wo man nicht die Messe liest, sondern wo man lacht wie die Männer im Krieg – die Füße im Schmutz, die warme Suppe im Bauch und die Waffe in der Hand – über unser Elend und über unser Entsetzen.”
Sein, Schein und Bühne
Molière war Theaterdirektor, Schauspieler, Regisseur und Autor. Zeitweise schrieb er zwei Stücke pro Jahr. “Tartuffe” war als Stück verboten, mit fünf Jahren Verspätung gab es 1669 die erste Aufführung. Eigentlich richtet sich die Komödie dieser kleinen feinen Gesellschaft nicht gegen den Glauben, wohl aber gegen die Scheinheiligkeit.
“Als Satiriker brauchte Molière den Schutz eines absolutistischen Herrschers”, schreibt Georg Hensel in seinem Buch “Spielplan”, “damit er seine Stücke aufführen kann. Dies ist die wahrhaft absurde Lage Molières.”
Molière starb 1673 als Schauspieler auf der Bühne. Er erlitt im dritten Akt des “Eingebildeten Kranken” einen Krampf und starb – noch im Kostüm. Ein christliches Begräbnis wollte ihm der Erzbischof von Paris nicht gönnen. Es gab doch eine Bestattung auf dem Josephsfriedhof, es gab keinen Trauergesang. In die Kapelle durfte der Sarg nicht, aber 200 Menschen gaben mit Fackeln das letzte Geleit. Erst 105 Jahre später wurde eine Büste aufgestellt mit der Inschrift: “Seinem Ruhm fehlte nichts – er fehlte dem unseren.”
1000 Jahre alte Steine und Plüschhase mit Sonnenbrille
Barthels und Webers Hof und 1000 Jahre Leipzig? Im Durchgang zwischen beiden haben Archäologen in einem Schaufensterchen ein Fliesen-Mosaik belassen, auf das sie bei Ausgrabungen gestoßen sind. Die Blumenfrau des Hofes hat es nach ihrem Geschmack dekoriert, mit Kunstblumen und einem Plüschhasen unter Sonnenbrille. Nach freundlicher Erinnerung an die alten Fliesen, hat sie immerhin grünen Stoff gerafft und ein paar der historischen Ziegel auf die Seite gestapelt. Wer weiß, wie das nach dem nächsten Aufräumen hier aussehen wird.
Und zum Spielort noch das: Dem Immobilienspekulanten-Jürgen-Schneider aus Franfurt/Main hat das Areal auch mal gehört. Bis 1994, dann war dieser Spuk vorbei.
Wenn man sich so sommerabends das Schauspiel in Webers Hof genießt, die Spielfläche länger als breit, gegenüberliegende Zuschauerreihen, Spiel auf dem Balkon und im Turmfenster, kommt die Idee auf, im Stile von Leipzigs erstem hölzernen Opernhaus von 1693 am Brühl, vermutlich artverwandt Wannemakers Playhouse in London, noch einmal ein Theater neu errichten zu wollen. Darunter und drum rum ein Leipziger Musik- und Theatermuseum. Und drei Mal am Tag Aufführungen!
“Wo kommen denn eine Minute vor der Vorstellung die ganzen Leute her?”, wunderte sich der Sitzreihennachbar. Ja, die waren erst essen und suchen pünktlich vor dem Gong ihre reservierten Plätze auf. Denn das ist das haus- und hofeigene Extra: Theaterabend mit Menü im Gasthaus Barthels Hof 29 Euro pro Person. Und Geleit vom Tisch zum Platz.
Die kommenden Termine
Vorstellungen bis 30.08.2015 in Webers Hof, Hainstraße 3, Dienstag-Sonntag 21:00 Uhr, Abendkasse ab 19:30 Uhr.
Keine Kommentare bisher