Mit Spielszenen, Chor, Band, Tanz und „Yes, we can!“ startete die 68. Grundschule dieser Tage zur Zeitreise 500 Jahre zurück, und das alles in der Aula der sogenannten roten Schule in der Breitenfelder Straße im Stadtteil Gohlis.
Zeitreise-Ziel: Renaissance
Zwei Motschegiebchen (sächsischer Ausdruck für Marienkäfer), Mama und Tochter, leichtfüßig gespielt von Michelle Scheuffler und Vanesse Geßner aus Klasse 6, finden ausgerechnet in der Leipziger Lotterstraße am Burgplatz ein Zeitreise-Ticket.
Ehrlichen Herzens erinnern sie sich zwar, dass man Fundsachen abgeben soll, aber die Verlockung einer Reise mit dem Ziel „Renaissance“ ist doch zu groß! So machen sie sich auf den Weg, geraten auf dem Bahnhof noch einer dienstbeflissen-übereifrigen Eisenbahnerin in die Fänge und dampfen mit dem Zug ab. Ihr Ziel finden sie ausgerechnet wieder in Leipzig, allerdings mitten im 16. Jahrhundert. Auf dem Marktplatz handeln zwei Brüder mit den Nachnamen Lotter mit Tuchen und Seide.
Über Hieronymus Lotters Familie, Leben und Karriere wird bei den Einwohnern gelästert, dass er nämlich schon „mit dem silbernen Löffel im Mund geboren wurde“, und mit Heinrich Scherl Geschäfte machte, dem damals reichsten Leipziger Bürger…
Neben der Bühne flackern Fotos über die Leinwand, denn die Darsteller hatten sich in ihren Kostümen bei einem Stadtrundgang auf Lotters Spuren die Schauplätze des Theaterstücks angesehen, besser gesagt erspielt. Die Lotterstraße da, wo einst das markgräfliche Schloss, die spätere Pleißenburg stand und nun das Neue Rathaus steht, Thomaskirchhof, Marktplatz, Waage, Altes Rathaus, Naschmarkt…
In Doppelrolle auf dem Highway to Hell
Vanessa Geßner aus der Klasse 5a spielt die Bürgermeistersfrau Katharina Lotter in Wave-Gothic-Schwarz und Nico Lietzsch aus Klasse 8a trägt als Bürgermeister, Kaufmann und kurfürstlich-sächsischer Baumeister eine durchaus angeberische Robe aus edel-glänzendem Stoff.
Schnell ist das Kostüm dann getauscht, wenn er als Sänger in der Band „Highway to hell“ auf der Bühne donnert, oder verhalten als Solo mit dem Begleiter an der Gitarre „Halleluja“ singt. Nun denn, möchte man pointiert sagen: „Kaufleute und Baumeister sind nicht gottlos unterwegs, aber manchmal von Gott verlassen!“
Ganztagsangebot Living History
Zum Schuljahresanfang hatte Kerstin Wachenschwanz mit einem Ganztagesangebot „Theater“ begonnen, nun waren 31 junge Leute der Klassenstufen 5 bis 9 am Spiel beteiligt, bis hin zu orientalischem Tanz, Popchor und Schülerband. Diverse Lehrer, Medienpädagogisches Zentrum, Videofilmer hielten Technik und Organisation zusammen.
Katrin Bresemann, Lehrerin und Kultur-Chefin der Schule, und Anna Timm hatten das Theaterstück geschrieben und inszeniert, das sich mit Tanz, Chor, Band und Solisten zu einer Revue ausweitete. Und sie haben eine Schar von Schülern mit Spiellaune und Spielwitz angesteckt. Da waren sogar Armverband oder arztverordnete Stöcke kein Hinderungsgrund, auf der Bühne dabei zu sein! Im Publikum der Nachmittagsvorstellung entdeckte Karin Bresemann Schüler, die vormittags schon mal mit ihrer Klasse da waren.
Klare Worte
Zur Ratssitzung oder auch Einwohnerversammlung werden die Teilnehmer vom Zeremonienmeister begrüßt und vorgestellt, da sind zum Beispiel auch die Stromers und die Scherls mit dabei. Es ist zu verhandeln, ob der alte Baumeister Lotter denn wirklich den Wunsch von Kurfürstin Anna erfüllen soll, auf dem Schellenberg bei Chemnitz für Ihre Hoheit ein neues Schloss zu bauen. Lotter fürchtet, dann nicht mehr genügend Zeit für die Leipziger und Leipzig zu haben. Doch die geben ihm Mut und er entscheidet: „OK, hört zu Leute, ich mache es!“ Ja, hier wird nicht nach vermeintlich-mittelalterlich-heischendem Wortgeschwafel gesucht, hier wird gesprochen, wie es gemeint ist!
Lotter: „It’s My Life!“
Mit der Band und ihrem Leiter Markus Knauth gibt’s auch „Ich schenk Dir eine Sonnenblume“ und „It’s my Life!“ als Schlusschor, denn das Leipziger Leben Hieronymus Lotters war sehr lange Zeit eine Superkarriere. Bis Kaufleute ihre Rechnungen nicht mehr pünktlich bezahlen, aber das ist eine andere Geschichte. (Vielleicht ja das nächste Theaterstück.)
Mit Tempo braust die Revue-Lokomotive durch die Handlung und die kurzweiligen Spielszenen mit reichlich Dialogen, Texten, diversen Themen, Fakten und Inhalten. Da war fleißig in der Historie nachgelesen worden, um tatsächlich Leipziger Geschichten zu erzählen.
Katrin Bresemann hatte nach der Aufführung die Schüler noch auf Exkursion geschickt, da der Geschichtslehrer Carsten Schlegel mit dem Neigungskurs Heimatgeschichte der Klasse 9 eine „Stadtrallye“ erarbeitet hatte. „Ich wollte nicht, dass Hieronymus Lotter einfach zwischen einer Mathe- und Chemiestunde eingeschoben wird“, erzählte danach die Lehrerin und Autorin Katrin Bresemann nicht ohne Stolz, „und die muss den meisten Klassen entgegen allen Erwartungen richtig Spaß gemacht haben!“
Da wissen die jungen Leute nun mehr, als man von so manchem Stadtbilderklärer erfahren kann. Dass das Rathaus am Markt keineswegs nach neun Monaten fertig war, sondern nur der Rohbau schon erledigt war. Dass man den Turm nicht im Goldenen Schnitt á la Leonardo da Vinci plante, sondern ein früherer Bau benutzt wurde. Der Spruch von der Lotter-Wirtschaft gar nichts mit Bauleute-Pfusch zu tun hat. Dass es zwischen Heinrich Stromer aus Auerbach und seinem Nachbarn Lotter mal einen erbitterten Streit gegeben hat…
Nach gut 75 Minuten Spieldauer tobt langer und toller Applaus! Zugaben wären möglich gewesen! Zum Schlussapplaus ist kaum noch Platz auf und vor der Bühne, so viele Schülerinnen und Schüler waren beteiligt. Da hörten sich ein paar kleine Texthänger glatt weg und die jungen Darsteller hatten es manchmal eilig, den Text in ihre Mikrofone zu sprechen und alles so gut zu machen, wie es eifrig einstudiert war. Aber alle Achtung für diese Arbeit!
Leipziger Geschichte an der Georg-Schumann-Straße
Nach vier Aufführungen in der Schule sollte die ganze Lotter-Zeitreise bitte noch nicht zu Ende sein. Vielleicht lädt ja das Kindermuseum LIPSIKUS des Stadtgeschichtlichen Museums mal zur Vorstellung in den Festsaal des Alten Rathauses ein. Oder der Stadtrat ins Neue Rathaus!
Katrin Bresemann meinte kurz nach dem Lampenfieber der ersten vier Aufführungen: „Jetzt sind wir so gut drin, da könnten glatt noch zwei bis drei Aufführungen kommen!”
Und noch ein paar mehr Neugierige an die Georg-Schumann-Straße/Breitenfelder Straße ziehen. Wo doch die Ausfallstraße als sogenannte „Perlenschnur“ sonst nur wegen großspuriger Projekte Aufmerksamkeit erregt. Ausgerechnet beim verfallenen und vergessenen, durchaus traditionsreichen Tanzsaal und Tanzstunden-Saal samt Gaststätte „Goldener Löwe“ sowie der Bar im Seefahrtstil vermochte niemand mehr den Abriss zu verhindern.
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