Erste Szene mit Zwischentext: "Das hat er/sie nicht gesagt." Da beginnt die Szene noch einmal. Und es gibt eine weitere Variante. Wir sind nicht im Improvisationstheater, wo das Publikum zwischen möglichen Schlüssen auswählen kann oder den Akteuren Orte und Ziele ansagt und Fallen stellen kann. Wir sind bei Dramatikern zu Besuch, bei David Greig und Gordon McIntyre und Regisseurin Ev Schreiber.
Zum Finale gibt es wieder ein “Das haben sie nicht gesagt!” Aber bis dahin geht es weit mehr als eine wundersame Sommernacht lang auf eine Reise durch Sehnsüchte, Forderungen, Erwartungen, Enttäuschungen, Hintergründe und überwundene Abgründe.
Theresa Neumann als Linda und André Ryll als Nick spielen in einer Bar, im Wohn- und im Schlafzimmer, im Badezimmer, auf der Straße, in der Kirche und sonst noch wo und das alles im fliegenden Wechsel. Das Bühnenbild rund um einen Steg mit zwei Treppen und zwei Vintage-Design-Stühlen Marke Eigenbau macht’s möglich. Da sind es eben so gesehen kunstvolle Bilderrahmen oder anders gesehen regennasse Fenster. Ein Spitzbogenkirchenfenster als Projektion schafft sakralen Raum, um eine Hochzeit anzudeuten. Dem rasanten Spiel sind nur die sehr kurzen Blackouts abträglich, die freilich nötig sind für kleine Szenen- und Kostümwechsel. Manchmal ist es auch nur die Sonnenbrille, die wie ein ritterlicher Schutzschild über die Augen gezogen wird, als ob man dann nicht mehr gesehen würde.
Jedes Alter kann mitspielen
Beide spielen das so, als hätten sie es – also eine Version des Anfangs, des Schlusses und der Möglichkeiten im Verlauf – selbst erlebt. Freilich wissen wir, dass wir uns im Theater befinden. Verdächtig jung sind die beiden Protagonisten, wenn man sie nach der Vorstellung sieht. Nicht zu jung für die Rollen. In dem Stück verbirgt sich scheinbar eine menschelnde Geschichte, die man jeder Generation so oder ähnlich zutrauen und zumuten könnte. Auswahlvarianten haben wir ja, und weitere ließen sich erfinden. Ohne dazu die spielmeisterlichen Einfälle des Improvisationstheater-Publikums bemühen zu müssen. Nicht gegen Stegreifspiele! Die sollen mal klarkommen mit dem Satz – in nur einer Ausführung, ohne Variation: “Ich habe keine Höhen und Tiefen, ich bin eine gleich bleibende Emotion!” Theresa Neumann serviert das so beiläufig und direkt, dass die Ohren dran hängen bleiben.
Sind es französisch anmutende Weisen die da ertönen? Chansons aus der Zeit, als sie noch mit großem Band- und Bläser-Sound wie moderne Arien klangen? Eine Musik zum Verlieben!
Bayerisch-aktuelles Flirt-Intermezzo
Liebelei und Flirt sind heute auch nicht mehr so einfach. Als Spiel oder Wettbewerb gleich gar nicht. Früher nannte man es im fränkisch-bayerischen Kulturkreis “Fensterln oder fensterln lassen”. Laut “Süddeutscher Zeitung” vom 21.05.2015 ist der studentische Weber von der Gleichstellungsbeauftragten der Universität Passau gerügt worden, dass da nämlich Frauen von der Teilnahme ausgeschlossen würden! Und die Frau an sich würde zum Objekt degradiert!
Daraufhin waren die Studenten einmal nicht bayerisch-stur, sondern sagten den Wettbewerb ab. Worauf die Universität nachlegte, die Gleichstellungsbeauftragte habe nämlich nur eine Meinung, kein Verbot aussprechen können. Wer wird denn da nun noch auf einer Leiter mit schiefen Sprossen zu einem Frauenherz emporklettern wollen… Armes Bayern. Dann versuchen wir es eben in Leipzig doch lieber an der Bar. Oder im Theater.
Zwei Herzen, ein Erlebnis, zwei Gedanken
Offensichtlich erlebten beide Figuren zusammen etwas, und jeder sah es anders. Egoisten unter sich, wie beim Schachspiel die nächsten Züge kalkulierend. So gesehen ist die Frage: “Linda, möchtest du mit mir frühstücken?”, eine weltumspannende Aussage und schwerwiegende Entscheidung. Falls es wenigstens ehrlich gewesen sein sollte. Aber woran merkt man das? Psychologie? Herz? Bauch? Oder doch falsch? – Dann sind die poetischen Seifenblasen aus dem Bühnenhimmel des fact-Kellertheaters nichts weiter als leere Sprechblasen. Ausatmer, die auf Worte warten. Ungesagtes richtet keinen Schaden an. Bleibt aber unerhört.
Konfetti, zynisch
“Eine Sommernacht” heißt das Stück beim Verlag und den Autoren. Aber das Theater fact wollte lieber den Titel aus dem Stück entnehmen, denn dort steht einmal “Na wenigstens Konfetti haben wir schon”. Es spricht für den Ernst mit dem die Leipziger Theaterleute da planen und denken, dass sie nicht dem Kollegen Shakespeare mit seinem “Sommernachtstraum” in Erwartungen missverstanden werden wollen. Denn jenen Shakespearschen “Sommernachtstraum” gab es hier schon vor ein paar Jahren als Sommertheater. Der Konfetti-Satz “klingt so schön zynisch” sagt Theaterchefin Ev Schreiber. Weil der Verlag auf dem Titel bestand, das ist sein Recht und das der Autoren.
Überhaupt sind die Chefin-Ansagen im Therater fact vor der Vorstellung so etwas wie das kurze Vorspiel, das man zu Zeiten von Prinzipalin Friederike Caroline Neuber als sogenannte “Haupt- und Staatsaktion” der Aufführung voranstellte. Heute ist es eben nicht die Warnung, Funktelefone abzustellen, sondern dass sie nicht klingeln werden, weil sie im Moment mit Stahl und Stein von äußerem Radar abgeschnitten sind. Für bereitschaftstätige Notrufe-Empfänger muss man so was heutzutage ansagen. “Na, ein Glück!” säuselt’s da schon im Publikum. Das an diesem Wochenende nicht ins Schwarz des WGT-Faschings gekleidet ist. Hm, das Bühnen- und Kostümbild in seinem Schwarz-Weiß, en detail auch mal etwas rot, passt dann doch. Wenn er schlaksig im schwarzen Gehrock auf weißem Hemd in schwarzweißen Retro-Turnschuhen stolziert, sie dann später im schwarzroten Festkleid feingemacht ist für anderer Leute Hochzeit.
In den beiden Bettszenen menschelt es tierisch. So was geht im Theater fact ohne Ausziehen! Geht wirklich! Zwei Würmer, Lebewesen in Kokons wie Schlafsäcken wurschteln aneinander herum. Bewegung und Geschicklichkeit machen auch hier die Show aus! Stolpern inklusive. Für die andere Bettszene genügt dann ein Laken, da aber ist die Schlafstatt vertikal!
Und Konfetti wird auch gestreut, und schon wenn es fliegt und fällt, bleibt die Frage nach dem Grund zur Feier. – Feiert jemand Schadenfreude? Vielleicht ist Konfetti noch die erträglichste Schadenfreude. Doch wer sah schon, wer da wann streute… Sichtbar sind hinterher nur die Papierfetzchen.
Einsam, zweisam, dreisam. Und jeder doch für sich allein.
Nach solch rasanten Entwicklungen der Figuren, der Handlung und der Szene guckt man beinahe wie besoffen auf die Bühne. Zwischen letztem Black und Schlussapplaus sagte im Publikum jemand: “Klasse!” Da sortiert man hinterher erst mal, was in dieser Stunde alles passiert und gezeigt worden ist. (Und erinnert sich daran, dass andernorts mal ein Darsteller den ganzen Shakespearschen “Sommernachtstraum” ganz allein als Puck unters Publikum gebracht hat!)
Theater ist, wenn der Lappen hochgeht
Was das Publikum nicht wissen muss, hierbei handelt es sich im Theater fact nicht um einen “Einspringer”-Darsteller, also einen Kollegen der dankenswerterweise krankheitshalber einen Kollegen vertritt, damit die Vorstellung stattfindet. “Theater ist, wenn der Lappen hochgeht!”, wie die Leute vom Bau sagen. Also der “Hauptvorhang geöffnet wird”, ob nun nach oben oder zur Seite oder noch kunstvoller…
Hier wurde eine ganze Produktion mit allen en-suite-Terminen kurzerhand ersetzt, weil krankheitshalber das eigentlich geplante und schon geprobte Stück verschoben werden musste.
So was stemmt das Theater fact mal so nebenbei und unter Einhaltung aller geplanten Vorstellungstermine. Wie gesagt, Theater ist… wenn die Leute durch den roten Samtvorhang vom Barthels Hof die Treppe hinuntergehen können! Dafür ein Bravo für alle vor und hinter den Kulissen.
Andere wollen den Zusatz “Keller” lieber nicht in ihrem Theaternamen haben, beim Theater fact trägt man den Unterhoftheater-Charakter mit Würde. Wenn man unter Giebel, Erker, Wasserspeiern aus dem 16. Jahrhundert in Barthels Hof kommt, roter Samtvorhang die Besucher streift, man über eine modern-rechtwinklige Treppe hinuntersteigt und dann doch wenigstens an einer Wand auf Gestein und Mauerwerk aus alter Zeit schaut. Das sind eben die historischen Fakten. Auch dieses Grundstück hat 1000 Jahre auf dem Buckel. Wenn im Hof die Blumenfrau nicht gerade ein Schaufensterchen zwischen Barthels und Webers Hof zudekoriert hat, sind alte Terrazzo-Steine zu sehen, die einst beim Auffinden das Herz der Archäologen höher schlagen ließen.
Dass es dieser Tage anno Zwo-Fünfzehn immer mal in Theater-fact-Wasseranschlüssen geblubbert hat und gar Luftblasen sichtbar aufgestiegen sein sollen, erzählten sich Mitwirkende nach der Vorstellung. Da war auch von einem Vulkan die Rede, den es mal unter dieser Leipziger Gemarkung gegeben haben soll. Glaubt jemand gehört zu haben! Au weia.
Und auch noch wenn plötzlich unüberhörbar deutlich Uhrenticken ertönte, soll es nicht die Theater-Beschallung gewesen sein, es sollen hier Geräusche aus Neben-Kellerräumen durch Lüftungskanäle dringen. Wer hat denn schon Angst vor Uhrenticken…?! Wir sind ja doch im Theater! Einerlei. Wohnen im Denkmal ist eben etwas für Geübte.
Vorschau: “Tartüffe” Sommertheater
Mindestens schon diese ganze Spielzeit lang denken die Theater-factler an das Sommertheater, das wie schon 18 Jahre im benachbarten Webers Hof, Hainstraße 3, stattfindet. Mit freundlicher Unterstützung der Anwohner, Anlieger, die tagsüber Proben und abends Vorstellungen mitverfolgen dürfen, können, müssen oder zu dulden bereit sind. Solche Nachbarn sind ein Rückgrat!
Molieres “Tartüffe” soll es sein, wie immer zwischen zwei Zuschauertribünen in Barthels Hof gespielt. “Eigentlich wollen wir es gar nicht so modern zeigen”, sagt Ev Schreiber. Sie wird zwar bestimmt wieder ein Bühnenbild zaubern, doch dessen Horizont ist schon da: Der Renaissance-anmutende Treppenturm, die Fassade, die an die einstige Faktorei des Bankhauses Welse aus dem 16. Jahrhundert erinnern mag, und gegenüber ein Fachwerkbau des 20. Jahrhunderts in Stahl und Glas. Na hier kann man schön alt, neu, modern oder visionär spielen!
Tartüffe: “Er ist der berühmteste Scheinheilige”, schreibt das Theater fact in der Sommertheater-Offerte, und von ganz anderem Kaliber als viele andere Heuchler. Was als harmloser Familienstreit anfängt, entpuppt sich als geschickte psychologische Manipulation. Ideologen, die behaupten, das Beste für alle zu wollen, sind oft genug Tyrannen!” Wie man das auch noch erklärtermaßen als “Komödie” zeigen kann, darauf sind wir gespannt. Wie jedes Jahr beim fact-Sommertheater bei Ev Schreiber und ihrer Commedia-dell-Schreiber!
Nächste Vorstellungen:
29., 30.05.2015, 20:00 Uhr; 31.05.2015, 16:00 Uhr,
01., 05., 06.06.2015, 20:00 Uhr, 07.06. 2015, 16:00 Uhr;
08.06., 13.06., 20:00 Uhr.
Sommertheater “Tartüffe oder öffnet die Augen vor Beutelschneidern”,
27.06.2015, 21:00 Uhr, Premiere. Dann weiter Juni, Juli, August…
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