Ein Kaffeegespenst geht um! Wie vorausgesagt von Dichterin Lene Voigt, am Lilienstein in der Sächsischen Schweiz. So auch in Bad Lausick! Paule Borbsich aus Birne... oder kam der jetzt aus Bornä? ...war unterwegs, und traf auf den Geist in Nachthemd und Schlafmütze...! Immer wieder gibt’s Krach der Frau Ziedschen mit der Frau Biedschen. - Kaum waren die ersten Sätze gesprochen, ging das Lachen durchs Publikum.

Aber da war auch noch der Streit um die Ausleihe eines Kuchenblechs: „Pflaumenkuchen muss sin, aber zu ähm Bleche da langts nicht! Die haue ich verkehrtrum die Treppe nunter, die liederliche Bucht!”

Kur mit Kultur nimmt man in Bad Lausick ernst. Zum Beispiel Karsamstagabend stand auf dem Plan: 18.30 Uhr, Mehrzweckraum, MBB – Mundartbühne Borna. In Bad Lausick kann es dann nur Sächsisch sein!

Nach dem Abendessen füllt sich das nüchtern-graue Versammlungszimmer unter fahlem Licht aus der flachen Decke, ein kunterbuntes Kunst-Bild lugt aus seinem Rahmen wie fremd in den Raum, Stuhlreihen, nur ein Tisch und zwei Stühle auf dem ebenen Teppichboden sind eine Art Bühnenbild vor Raumteiler-Aufstellern, an denen hängen grüne T-Shirts mit dem Label „Mundart Bühne Borna“. Hier soll man Humor und Spaß machen? – Man kann es, wenn man kann. Wie sich zeigt.

Den Sachsen nach der Gusche geschrieben

„Sing mei Sachse, sing“ wabert wie Kofferradiomusik durchs Zimmer, und die gute alte kleine feine Sachsen-Hymne schwingt Raum und Leute ein! Kurze Ansage der Prinzipalin Inge Steitmann und das Feuerwerk geht los.

Es sind sächsische Texte aus sächselndem Mund. Lene Voigt war eine Dichterin, die den Sachsen nach der Gusche geschrieben hat. Die Damen nennen sie „Die sächsische Nachtigall“. Aber hier wird nicht rezitiert oder vorgetragen, sondern gespielt, eine Szene nach der anderen, jede Figur kämpft, jeder Krimi-Verdacht wird von einer Pointe verfolgt.

Vollblutmenschen

Wer es nicht weiß, kann kaum ahnen, dass die Texte aus den 1920ern und 1930ern stammen. Wir lachen über den Humor unserer Urgroßeltern und Großeltern! Aber die Schauspielerinnen sind genau dazwischen, die sind nämlich, mit Verlaub, 49 ff. und spielen mit Vollgas Vollblutmenschen. Hier muss sich niemand verstellen, sondern darf dem Herzen Luft machen, oder auch – wie die Sachsen so sagen – die Sau rauslassen.

„Da ist auch viel Hintersinniges dabei, da muss man genau zuhören“, sagt Inge Steitmann, und das schätzt sie an Lene Voigts Texten.

Rund um Borna

Schnell wechseln die Bilder, mit Szenenapplaus statt Scheinwerferspielen. Rasch verändern sich die Figuren, die Kostüme und Requisiten. Zur Ballade von der Lorelei ertönt ein in Ehren grauenhaft gewordener Zerrwanst zu bizarren Bässen aus der Hinterbühne! Man merkt kaum, dass hier nur vier Damen alles spielen: Inge Steitmann, Thea Uhlig, Heike Greulich und Heidrun Junge. Zwischen Leipzig, rund um Borna und bis nach Kohren-Sahlis sind sie geboren, haben sie gewohnt oder leben sie heute, und das in unterschiedlichen Berufen, nur sächsische Schauspieler, sind sie erst bei der Mundartbühne Borna geworden. Und da wären sie heute eigentlich zu fünft, also „ihre Fünfe“, gewesen, nur eine war verunglückt. Kein Grund, ein Gastspiel, eine Vorstellung abzusagen, Publikum zu enttäuschen!

Die Mundartbühne Borna - sächsische Texte aus sächsischem Munde. Foto: Karsten Pietsch
Die Mundartbühne Borna – sächsische Texte aus sächsischem Munde. Foto: Karsten Pietsch

Gaffeeganne

Bei der Mundartbühne Borna haben die Darsteller und auch die Schauspiellehrer gewechselt, die Methode und die Bühnenpräsenz sind geblieben. „Un nodierlich“ hat da vor Jahren schon mal Inge Steitmann beim Lene-Voigt-Wettbewerb in Leipzig mit einem sächsischen und einem hochdeutschen Gedicht eine der begehrten „Gaffeegannen“ abgeräumt. Wobei der Nachwuchs mit Begeisterung seinen eigenen „Gaggaudäbbchen“-Wettbewerb austrägt, und den Alten nicht etwa nur zugucken und zuhören will.

Alte sächsische Begriffe verblüffen die Jüngeren, die hier schon wieder dazulernen dürfen: wenn sie etwa von weiblichen „verblühte Radieschen“ erfahren oder einem „Kerl der Tinte gesoffen haben muss“ und nicht mehr durchsieht. Um den sächsischen Dialekt sorgt sich die Mundartbühne nicht: „Es gibt doch den Wettbewerb um die beliebtesten und die bedrohten sächsischen Wörter!“ Damit kommen schon wieder Wissen und Vokabeln unter die Leute und in aller Munde.

„Aber“, sagt Inge Steitmann, „wir sprechen ja auch nicht das so genannte Gossen-Sächsisch, sondern eine ganz normale Sprache! Und nicht das, worüber die Leute lästern!“ Auch das sagt sie natürlich in ihrer Kohren-Sahliser Heimatsprache. „Frisierte Schnauze“ nennt man es unter Sachsen. Und so lange Leute miteinander reden, wird es auch sächsischen Dialekt geben, in vielen seiner Varianten.

Das Publikum hat Spaß an den lautstarken, schwatzhaften Sächsinnen. Zwischenrufe werden geduldet und beantwortet, Zwischenrufer nicht blamiert.

Donnernder Applaus zum Finale. Eine Frau aus Golzern bei Nerchau nimmt Prospekte mit und denkt schon ans nächste Dorffest, ein Mann findet es wunderbar, dufte und super, der aus Cottbus stammt, junge Leute, Kurgäste haben ihre Besucher mitgebracht, ein junges sächsisch-schwäbisches Pärchen, und der Mann aus Stuttgart bekundet in feinem Hochdeutsch allgemeines Interesse für Sprache und Dialekte, und fand den Abend Klasse.

Sachsen für Sachen

Demnächst spielen die lustigen Sächsinnen ein Benefiz-Programm in Eula für den Wiederaufbau der Kirche.

In Vorbereitung ist für das Kahnsdorfer Schillerfest im Juni 2015 schon Friedrich Schillers “Wilhelm Tell”, natürlich in der Version und im Sächsisch von Lene Voigt! Dem Erzähler wird die bildhafte Handlung die Schau stehlen. „Ich hab bloß noch keine Armbrust…“, bedauert die Dame, die schon mit der Wilhelm-Tell-Rolle besetzt ist.

Und Mitspieler sucht die Mundartbühne Borna auch!

Dass die Kultur- und Umweltstiftung der Sparkasse Leipzig unter Kultur auch Heimat-Dialekt versteht, ist dem Leipziger Sächsisch-Forscher und -herausgeber Wolfgang U. Schütte zu verdanken. Seine Sächsisch-Mühen haben auch mit der Mundartbühne Borna Wurzeln geschlagen. Dort wächst die Sache schon kräftig weiter. Es gibt Gründungsmitglieder, die vor neun Jahren schon dabei waren. Und hier können sich neue Mitspieler auch schnell „einfitzen“!

Messeschlager

Einst hatte der Leipziger Wolfgang U. Schütte die academixer zu altem sächsischen Humor angestiftet, schon früher oder zeitgleich die „Messewelle“ von Radio DDR, Sender Leipzig, wo die Schnärzchen zu Sächsisch for you mit Schnurz und Piepe in den „Amessements“ passten, und schon war mit Redakteur Werner Köhler eine Hitparade sächsischer Messeschlager geboren worden, in der es in einer frühen Fassung, Jürgen Hart nennt sie einmal „kammermusikalisch“, auch schon „Sing mei Sachse, sing“ in einem herzzerreißenden Duett gab. „Schon es gleensete Lied, das leecht sich aufs Gemiet! Und macht dich augenblicklich, zefrieden, ruhich und glicklich.“

Und nun ist das schon wieder sächsischer Humor von gestern, vorgestern. Keine Not für die Sucher und Sammler, die im facebook-Zeitalter danach fragen, ob und worüber man vor ihrer Zeit gelacht hat.

Im Digital-Heute, immer gleich und plötzlich, sehen Zugereiste das anders. Jemand schaut mit dem Blick von außen auf Leipzig und beschreibt was er sieht. Und im Chat sehnt sich ein Leser, dass man doch „den sächsischen Dialekt verbieten sollte“, weil „dorheeme“ ihnen im Ohr nicht harmoniert… pardon …hhaormennierd…

Es ist vorstellbar, dass die Firma Messe Leipzig zusammen mit Firmen, die Standortmarketing ernst nehmen, noch einmal eine „Messewelle“ mit „Amessements“ und sächsischem Humor ins Leben, in den Äther oder ins Netz bringen könnten!

Kultur zur Kur

Nach der guten Stunde Kur mit sächsischer Kultur in Bad Lausick feixen und schwatzen die Leute lauthals, klappern mit den medizinisch-unentbehrlichen Spazierstöcken und eilen davon.

Schon hat der Mundartbühnentechniker und -transportarbeiter die Stellwände abgebaut, Kostüme und Requisiten sind verladen. Am nächsten Abend fahren sie wieder los und die Mundartbühne Borna spielt bei einer großen Familiengeburtstagsfeier.

„Die Menschen, denen wir eine Stütze sind, geben uns Halt im Leben“, geschrieben hat das Marie von Ebner-Eschenbach, aber es könnte auch von Lene Voigt sein.

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