Frank Wedekinds "Frühlings Erwachen" provozierte seit seinem Erscheinen 1891 Generationen von konservativen Lesern und Theatergängern. Der Theatermacher Nuran David Calis schrieb 2007 für das Schauspiel Hannover einen eigenständigen Bühnentext mit Wedekinds Figuren, der sich an der Lebenswirklichkeit heutiger Jugendlicher orientiert. In Leipzig ist diese Fassung seit Sonntag im Theater der Jungen Welt zu sehen.

Calis reduziert Wedekinds ensemblelastiges Drama auf die wesentlichen Figuren und Themen, die er ins beginnende 21. Jahrhundert verlegt. Wendla (Katja Göhler) und Melchior (Florian Lenz) entdecken ihre Sexualität. Der schüchterne Moritz (Kevin Körber) könnte Ilse (Elisabeth Fues) flach legen, stürzt sich aber lieber in den Tod. Der Teenager kommt nicht mit dem immensen Leistungsdruck zurecht, den sein Vater (Martin Klemm) auf ihn ausübt. Die impulsive Martha (Anna-Lena Zühlke) leidet derweil unter häuslicher Gewalt.

Dreht sich bei Wedekind viel um sexuelle Aufklärung, wissen Calis’ Figuren um ihre Sexualität Bescheid. Der Text stellt deshalb die Fragen nach sexueller Identität und Geschlechterrollen. Harter Stoff für einen Abend, der für Jugendliche ab 13 Jahren konzipiert ist. Doch wann sollte man Teenager mit der Frage nach ihrem Platz im Leben konfrontieren, wenn nicht zu Beginn der Pubertät. Waren die homosexuellen Avancen zwischen Hänschen und Ernst zu Wedekinds Zeit eine Provokation, die sich gegen das konservativ-christliche Bürgertum richtete, erscheint es uns völlig normal, wenn sich Moritz und Ernst (Martin Klemm) auf der Bühne küssen.

Dilemma Pubertät -  Brennen. Wofür eigentlich? Egal, Hauptsache brennen! Foto: Tom Schulze.
Dilemma Pubertät – Brennen. Wofür eigentlich? Egal, Hauptsache brennen! Foto: Tom Schulze.

Philippe Besson inszeniert den Abend in einem offenen Bühnenraum. Das Publikum sitzt sich auf zwei Tribünen gegenüber. Quadratmetergroße Würfel, die von innen farblich ausgeleuchtet werden können, stapeln sich auf der Bühnenfläche, aber auch neben und hinter den Tribünen. Der Abend besteht aus der losen Aneinanderreihung alltäglicher Szenen, die die Lebenswelt junger Menschen in Deutschland widerspiegeln. Schulhof, Freunde, Disco. Versetzungsangst, erste Liebe, erstes Mal kiffen. Politik, Grenzüberschreitung, häusliche Gewalt.

Zwischen den szenischen Bildern sind Pop- und Rocksongs zu hören, die von einer Live-Band performt und von Schauspielerin Julia Zabolitzki interpretiert werden. Ein schöner Clou, für den das TdJW vom Zuschauer einen Euro Aufschlag verlangt. Bessons “Frühlings Erwachen” ist eine moderne Lesart des Stoffs, die nackte Tatsachen anspricht – sowohl auf der inhaltlichen als auch der visuellen Ebene.

Das Premierenpublikum honorierte die Aufführung mit reichlich Applaus.

Weitere Vorstellungen: Im März: 17. und 27., jeweils um 11 Uhr sowie 28. um 19:30 Uhr.

Karten für die Vorstellungen können unter 0341.486 60 16 oder auf www.tdjw.de reserviert werden.

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