Trotz seiner elementaren Motive des italienischen Musiktheaters im 19. Jahrhundert zählt Guiseppe Verdis "La forza del destino" (dt. "Die Macht des Schicksals") nicht zu den Dauerbrennern auf den Spielplänen deutscher Bühnen. Die Oper Halle geht das Risiko ein, das wenig bekannte Werk an sechs Terminen aufzuführen. In der Deutung von Regisseur G.H. Seebach ist an der Saale das Psychogramm eines geschundenen Anti-Helden in Kammerspieloptik zu erleben.
“Die Macht des Schicksals” ist in krakeliger Handschrift auf den Eisernen projeziert. Das Wort Macht ist hemdsärmlig durchgestrichen, darüber steht “der Wahnsinn”. Bei Seebach ist das Ende zugleich der Anfang. Wenn sich der eiserne Vorhang mit den ersten Takten der Ouvertüre hebt, sitzt Protagonist Alvaro (Ernesto Grisales) auf einem Stuhl vorne an der Rampe.
Seine Leonora (Romelia Lichtenstein) liegt im Hintergrund tot auf dem Boden, daneben ihr Bruder Carlo (Kwang-Keun Lee), der sie – nach einem Duell mit Alvaro schwer verletzt – mit in den Tod gerissen hat. Mit der Bluttat ist der Fluch des Vaters, Marchese Di Calatrava (Jürgen Trekel), erfüllt. Dieser hatte seine Tochter Jahre zuvor im Sterben verdammt, nachdem er durch Zufall von deren Liebelei mit Alvaro erfahren hatte. Der (vermeintliche) Bürgerliche hatte den Marchese daraufhin im Affekt erschossen.
Seebach bedient sich des Kniffs, um ein analytisches Psychogramm von Alvaros verwundeter Seele zu zeichnen. Verdis Held ist in Halle ein Anti-Held, wie er im Buche steht. Ein fettleibiger Lebemann mit gebeutelter Vergangenheit. “Ich lebe nur, weil keiner meine königliche Herkunft kennt”, klagt er im ersten und dritten Akt. “Meine Eltern träumten vom Thron und wurden vom Beil des Henkers geweckt.”
Leonora verkörpert derweil in ihrem opulenten Kleid in unschuldigem Türkis (Kostüme: Ragna Heiny) den Prototypen der Märchenprinzessin. Für den Zuschauer ist klar: Wenn sich so eine attraktive Frau in einen Nobody wie Alvaro verguckt, dann ist das für den Mann wie der Sechser im Lotto.
Umso dramatischer wiegt der Verlust. Nach der versehentlichen Tötung des Marchese trennen sich die Wege des Liebespaares für viele Jahre. Alvaro zieht in den Krieg, Leonora ins Kloster. Auf dem Schlachtfeld lernt der Geschasste Carlo kennen, einen heroischen jungen Mann, dem er das Leben rettet. Die Männer schwören sich die Treue, was bei Seebach in Blutsbrüderschaft ausartet.
Doch das Schicksal ist ein mieser Verräter. Als Carlo erfährt, wer Alvaro wirklich ist, fordert er ein Duell, um die verletzte Ehre wiederherzustellen. Der Kreis schließt sich. Am Ende kauert Alvaro mutterseelenallein auf der Rampe.
Seebach inszeniert das Operndrama als düsteres Kammerspiel, das fortwährend Bezug auf die christlichen Motive Verdis nimmt. So ist das christliche Kreuz in den drei Stunden schier allgegenwärtig. Hartmut Schörghofers Bühnenbild visualisiert die sich verdichtende Enge in Alvaros Psyche, aus der es für den Protagonisten kein Entrinnen gibt.
Zwei Wände fließen an den Seiten aufeinander zu, umschließen gemeinsam mit einer schmalen Rückwand den Bühnenraum, der nach oben hin von einer Decke abgeschlossen wird. Darin sind vier Oberlichter eingelassen. Wenn im Finale des Schlussaktes weißes Scheinwerferlicht durch diese Öffnungen gestrahlt wird, verwandelt sich die eng umschlossene Bühnenkammer in eine sakrale Weihstätte, in der Carlo und Leonora im Tode ihre Erlösung finden.
Um den Figuren und dem Chor das Betreten des Raumes zu ermöglichen, lässt Seebach die Wandkonstruktion zwischen Ouvertüre und Finale ein wenig anheben. Verdis sprunghafte Wechsel von Ort und Zeit werden durch das unterschiedliche Drapieren von schwarzen Stühlen angedeutet. Zeit- und Ortsangaben sind zudem auf der Übertitelanlage eingeblendet.
Seebach konterkariert Verdis religiöse Motivik inszenatorisch mit absurden Darbietungen. Im zweiten Akt erlebt der Zuschauer ein bizarres Totenfest. Der Chor ist in schwarz gekleidet und mit weißen Kopfmasken ausgestattet. Der Leichnam liegt auf einer Bahre und ist mit Speisen garniert. Die Anwesenden bedienen sich reichlich. Dass die kriegslüsterne Zigeunerin Preziosilla in jener Szene plötzlich mit einer schwarzen Puppe tanzt, passt ins Bild. Bei Leonoras Initiationsritus sieht Verdi einen Mönchschor vor. Seebach steckt die Herren kurzerhand in Nonnengewänder. Reichlich grotesk.
Musikalisch ist die Aufführung erste Sahne. Josep Caballé-Domenechs Interpretation am Pult der Staatskapelle Halle klingt klar strukturiert. Ernesto Grisales schmettert Alvaros dramatischen Arien technisch perfekt und voller Inbrunst in die Tiefen des Saals. Eine gute Besetzung. Romelia Lichtensteins durchdringender Sopran verstärkt zusätzlich den visuellen Eindruck, den er Zuschauer von Leonora erhält. Bariton Kwang-Keun Lee verleiht der Carlo-Partie eine dramatische Note, indem er jeden Ton leidenschaftlich in den Saal transportiert. Ein intensives Hörerlebnis. Antigone Papoulkas hebt die mystischen Momente der Preziosilla heraus
“Die Macht des Schicksals” zählt zu den interessanteren Opernproduktionen, die derzeit im Ballungsraum Leipzig-Halle zu sehen sind. G.H. Seebach analysiert messerscharf, weiß die Sängerinnen und Sänger durch seine Inszenierung zu führen und trotz dichter, düsterer Kammerspielatmosphäre mit dem Chor sakral wirkende Massenszenen zu choreografieren. Dieser Verdi-Abend ist intensiv, spannend, überwältigend. Unbedingt ansehen.
Die Macht des Schicksals (La forza del destino)
Regie: G.H. Seebach
Mit: Romelia Lichtenstein, Kwang-Keun Lee, Ernesto Grisales, Antigone Papoulkas u.a.
Nächste Termine: 28. Februar, 7. März, 24. Mai
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