„Check! Check! Check-the-ribber! - Triebwerke auf Sparflamme. - Fertigstellung 95 Prozent. Weiterbau im Flug! - Zehn, Neun, Acht...“ Knall. Peng. Aus. – Und es sah alles so gut aus. Bis dahin. Wie sie einmarschierte, die Reihe weißer Astronauten, dabei sechs echte Menschen in weißen Overalls.
Sphärischer Sound aus Elektroden, mundgeblasen und gesungen wabert und signalisiert den ganzen Abend dieser so genannten „Well Traum Oper“ um die aufgebaute Rakete. Es sind Stege, so was wie Tragflächen, Heckruder, Positionslichter, Strahler…
Wir spielen Rakete
Man will zu einem Ort hinter den Sternen fliegen, zu einem Kongress zur Erörterung der Lösungen…
„Und, fliegt es denn?“ – Das wird nicht verraten. Ja, alle Mitreisenden verlassen gesund das Raumschiff, das eines der selten gewordenen Altschiffe sein soll, wie es der noble Kommandant und Konstrukteur Pit Cock beschreibt, bevor er seine Mannschaft vorstellt.
Den ganzen Abend über legt er noch Hand an, liefert Stahlrohre und lässt sie fallen, wie so echte Handwerker etwas zu Boden gehen lassen. Dann werden die Rohre in Bögen kreuz und quer über die Kabine gesteckt, die einzigartig mit Parkettboden und eigenem Orchester ausgestattet sein soll…
Komm, wir spielen Rakete, heißt die Verabredung zwischen den großen Kindern auf der Bühne und denen im Zuschauerraum, in dem es zur zweiten Vorstellung eng wurde, Passagiere saßen mit Kissen auf Treppen, Zuspätkommer wurden eingelassen. Raketenundenkbar!
Schau Bühne ins All
Bei der Urauffürung in Bonn war dieses Space-Theater nach Krause-Zwiebacks Worten noch eine flankierende-flanierende Maßnahme zu einer Weltraumausstellung. In der Schaubühne Lindenfels genügt es, die maroden Farb- und Putzschichten der Klangmuschel über der alten Bühne zu beleuchten, um ins All zu blicken… „Inspirierend wie kein anderer Raum, hier wird man mutiger“, nannte Corinna Harfouch in einem Interview den Schaubühnen-Saal. Sie widersprach auch der Werbung, sie würde als Marlene Dietrich erscheinen. Bei den Proben sei über Stars geredet und geulkt worden, und entstanden sei dann eine Figur namens Marlene „die aber auch Marlene Dietrich sein kann.“ Den Text hat sie sich selbst geschrieben. Wie jeder seine Rolle einbrachte, nachdem von Zeit zu Zeit geprobt wurde, „wie in der Musik“, beschreibt es Wolfgang Krause-Zwieback.
Meistens war er in seinen bisherigen Programmen, es dürften mehrere Dutzend sein, nur mit einem Musiker unterwegs, mal mit Tänzerin, zwei, drei Leuten, öfters mit Corinna Harfouch. Nun wurde das Stilleben in Weiß lebendig, das Krause-Zwieback vor etlicher Zeit einmalig mit rund 30 Leuten aufgebaut hatte, und seit dem wieder auf die Bühne holen und tanzen lassen wollte. Nun spielen sie alle in seinem Rhythmus mit, und er hält sich kurzzeitig heraus und baut traumverloren an seinem Raumschiff…
Arie ohne Töne
Klar, Corinna Harfouch kommt als Diva. Weiter Umhang statt Pelzmantel, schlanke Figur zeigend, schwärmend von Pumpernickel, Flügel schwenkend als Engel der Dämmerung. Da klingelt ihr Handy, aber doch nein, sagt sie dem Anrufer, im Krieg singt sie nicht mehr, egal auf welcher Seite. Und der Anrufer soll doch bitte etwas dafür tun, dass sein Weißes Haus wieder weiß wird. An Rakete, Militär und Tötung erinnert sie in einem moralischen Schluss-Spruch noch einmal. Da ist dann das Spiel vorbei.
Sie singt eine Arie, die zwar Atmung und Musikalität hat, der aber die Töne fehlen. Man kann nicht sagen, dass sie nicht gesungen hätte…! Hier grüßt ein Engel die Ahnen Kurt Schwitters, Ernst Jandl, Gerhard Rühm…
Beben, Zittern
Zwei Starts durchlebt das Publikum mit. An musikalischen Raumfahrten hatten zwar auch Gustav Holst und Isaac Tomita ihren Spaß, aber sie hatten nicht so eine Mannschaft, die beim Triebwerkezünden erbebt, auf dem Bett der Passagierkabine erzittert und beinahe von der Tragfläche rutscht…
Jana Rainer, Marie Nandico und Steffi Semdner singen und spielen die Astronauten, Gundolf Nandico lässt das versprochene raketeneigene Orchester dröhnen und tönen aus Electronic und Hornsignalen.
Was zu sehen ist, kann man auch hören. Oper ist Wahrnehmung wie Fliegen. Alle adjektivreichen Beschreibungsversuche legen die Frage nahe, welche Arznei-, Nahrungs-, Genuss- oder Betäubungsmittel der Beobachter zu sich genommen hat… Wo doch schon im Titel auf Baldrian hingewiesen wird.
Commedia dell Krause-Zwieback
Was einst als „Kabasurdes Abrett“ startete, ist eine Leipziger Commedia dell Krause-Zwieback geworden, deren Publikum nach gut 30 Jahren generationenübergreifend ist, in dem heute Leute im Saal sitzen, die damals noch nicht geboren waren. Welcher alte Leipziger Bühnen-Hase hat das noch? Angespannte Aufmerksamkeit und ausgiebiger Schlussapplaus für die auf und ab flitzenden weißen Astronauten, mit Bangen um anderer Spieler Füße auf der Diva langer Schleppe.
Salomonstraße 25 b
Krause-Zwieback in Leipzig Luft- und Raumfahrtbezüge abzuverlangen, war nicht das Thema oder die Mission. Aber möglich. Von Luftfahrern, Motorenbastlern und Luftschiffhafenarbeitern, Fallschirmspringern, Agrarfliegern, Tower- und Bodenpersonal abgesehen, wäre da auch ein ausgewandeter Sachse: Jesco von Puttkamer, 1933 in Leipzig, Salomonstraße 25 b, geboren, von Leipzigs Osten aus zur NASA gegangen, bis zu seinem Tod 2012 auf einem so genannten Krauts-Hill in Huntsville/Alabama heimisch.
Wenn er, der auch ein Richard-Wagner-Bayreuth-Fan war, aus dem All zugesehen hat, dürfte er seine Freude an dem Leipziger Raketenspielplatz haben. Dem Raumfahrt-Spielen war er nicht abgeneigt. Er hat Sience-fiction-Literatur verfasst und 1978-80 die „Star Trek“-Filmproduktion beraten.
Seit 2011 hat er eine Adresse auf einem Asteroiden „266725 Vonputtkamer“. Bestimmt sollte genau dort der Kongress stattfinden und wir wollen mit der Baldrianrakete da hin!
Meinungen
„Es sah mal aus, als ob das Kabasurde Abrett zerharfoucht würde. Aber jetzt ist die Frau Harfouch zwiebäckig geworden!“
„So viel Wortwitz immer, den man sich kaum merken kann und hinterher leider nicht mehr weiß!“
„Die Frau muss doch nicht auf die Knie gehen, um die Bretter zu wischen!“
„Die Texte werden auch immer kürzer.“
„Ich habe mich die ganze Vorstellung über gefragt, ob er die Rohre frei Schnauze aufsteckt oder ob es da auch noch einen Plan gibt.“
Aus der Bonner Presse
„Was dann geschah, ließ das Publikum in der Bundeskunsthalle eher etwas ratlos zurück“.
„Entdeckungsfahrt ins Unbekannte – ja wohin eigentlich? Irgendwo im Reich der Assoziationen.“
„Anspielungsreich und teilweise selbstreferenziell“
„Publikumsmagnet Corinna Harfouch gab die Diva mit lässiger Exaltiertheit, besaß vom ersten Erscheinen an einnehmende Bühnenpräsenz und sprach ihre Texte so prononciert und nuanciert, dass man auch Banalitäten aufmerksam lauschte.“
„Inhaltliche Substanz und ein übergeordneter Zusammenhang fehlten diesem Musik-Spiel jedoch: Für eine Oper hatte das Ganze nicht genügend Melodramatik. Für eine Zivilisationskritik mangelte es an Ernst und Tiefe. Für eine Groteske war es nicht unterhaltsam genug.“
Nächste Vorstellungen am 19., 20. und 21. Februar, Startzeit: 20.00 Uhr.
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