Fünf Akte Schiller in pausenlosen 105 Spielminuten und die Bühne gehört dem Sprechtheater der Schauspieler. Man betont so was in Leipzig neuerdings gern mal, wenn dem so ist. Ein Käfig hängt im Schnürboden, wie man ihn aus „Dreigroschenopern“ kennt. Darin Maria Stuart, wahrlich in der Luft hängend. Im blaugrauen Büßerkleid, kniefrei, langärmelig. Man hat ihr eisenbeschwerte Stiefel angelegt. Nach dem Mord an ihrem Gatten ist sie alles andere als harmlos.
Zur Begegnung mit Elisabeth bekommt sie, barfuß, einen schlichten grauen Pelzmantel umgehangen. Zum Schluss wird sie in ein edelrotes Abendkleid, korsettbehaftet, träger- und ärmellos, steigen und sich auf den Käfig betten, bereit zur Hinrichtung.
In marktüblichen Anzügen, scheinbar farblich sortiert, dunkelgrün für den Frischling, je dunkler, je tiefer verwurzelt, bis schwarz und schwarz-glänzend, und brutal-berechnend, wenn dann noch schwarze Handschuhe dazukommen. Wer im Rollstuhl sitzt, braucht kein Sakko. Hier bespitzelt im Hofstaat jeder alle anderen, zuweilen aufgestellt wie ein Organigramm. Goethe soll so was auch gern auf die Bühne gestellt haben. Dabei helfen Hürden oder Schranken, die hochgeklappt und mit schussähnlichem Schreckgeräusch umgestoßen werden können
Königin Elisabeth trägt edles Schwarz, ganz lang, vorn am Hals hoch und eng geschlossen, im Rücken offen, die Arme sind frei zum Zupacken. Kostümbildnerin Cornelia Kraske hat gegen Ende ihre Showtime, eben mit dem roten Ball-Fummel Marias und dem stoffmassenfressenden schwarzen Reifrockkleid Elisabeths. Es sind junge Frauen, die hier handeln, Schiller wollte Maria mit 25 und Elisabeth mit 30 sehen.
Regisseur Georg Schmiedleitner hat eine Schräge, so breit wie das Portal, auf die Bühne bauen lassen, vorgezogen, so dass ein paar Sitzreihen verschwinden und man dem holzgetäfelten Saal akustisch nahe kommt. Hat diese Rampe sonst eine Funktion? Eine Königin muss sich bücken, denn das Todesurteil liegt auf dem Boden. Wenn sie unterschreibt, wirft ihr Kopf drei Schatten vor sie.
Anna Keil ist mit offenem Blondhaar die Maria, Bettina Schmidt die Elisabeth, anfangs reserviert, doch auch das ist nur durch und durch Ausdruck der Macht. Anne Cathrin Buhtz spielt als Frau den Burleigh, anzugfarbenbezogen die schwarze Eminenz der sechs Herren des Hofstaats. Wer nicht aufpasst, ist nicht mehr dabei.
Zwei Huren
Als frühe „Enthüllungspsychologie“ bezeichnete es der Dramen-Erklärer Georg Hensel „wie sich hier Erotik, Politik und Religion durchdringen.“ Und Goethe soll laut Friedrich Schlegel gesagt haben: „Mich soll nur wunderen, was das Publikum sagen wird, wenn die beiden Huren zusammenkommen und sich ihre Aventuren vorwerfen.“
Friedrich Schillers Trick war wieder mal das „was-wäre-wenn“, so pflegte er souverän in die Geschichte einzugreifen. Eine Spielart, die keine Moden kennt und auch keine Geschmacksfrage. Und er erfand die Begegnungsszene beider Königinnen…
Wie schon in seiner „Kabale und Liebe“-Inszenierung hat Georg Schmiedleitner die Bühne abgeräumt und den Schauspielern Hindernisse in den Weg gestellt. Waren es erst drei separat drehbare Bühnen für größere und kleinere Welten, Auf- und Absprünge, Umrundungen oder Inschriften, ist es nun die Schräge. Im Schlussapplaus auch für das Inszenierungsteam nicht leicht zu ersteigen.
Worte machen Personen bei Schiller. Gefühl kann nur vorher gewesen sein. Gebundene Dichtersprache, rasant durch die Verse gesprochen, und frei gewähltes Abbremsen sind möglich, bis zu kleinem „Ich weiß gar nicht, was ich jetzt sagen soll.“ Oder warmherzigem „Du hast mir heute das Leben gerettet.“ – Ja, so kann man Dichter retten. Schiller konnte philosophieren und moralisieren, so eingängig wie Urgroßmutters Küchentuchsprüche: „Was man nicht aufgibt, hat man nie verloren.“
Leider auch Lautsprecher und Video
Warum nur ächzt und röchelt aus den Lautsprecherboxen solcher Klangmüll, als würden Schrecksekunden nicht schon von den handelnden Personen ausgehen. Warum die Extra-Bühne nötig war, bleibt verborgen. Und zweckfrei sind die Maria-Porträt-Verzerrungsspielchen per Video.
Theaterleiter-Duo Goethe & Schiller
Was muss das für ein Spaß gewesen sein, als Goethe und der zehn Jahre jüngere Schiller quasi ihre eigene Experimentier-Bühne in Weimar hatten. Goethe stand ihr 25 Jahre vor, mit sommerlichen Abstechern nach Bad Lauchstädt. Gerühmt auch deshalb, weil die Bretter genauso viel Platz boten wie daheim in Weimar. Den Spielplan würde man heute als weltoffen bezeichnen, und sie spielten auch mal Schiller, seltener Goethe, noch seltener Lessing, aber viel öfters Kotzebue, weil das die Kasse füllte. Goethe strich bei Schiller in den Texten herum, Schiller verkürzte (!) dann und wann mal Goethe. Wenn Goethe nicht konnte, leitete Schiller die Theaterproben. Vor Stückbeginn inspizierte Schiller die Theater-Cassa.
Königin in der Kirche mit Kabelbindern gefesselt
Sofern es die Begriffe für Vergleiche nicht verhindern, kam eine andere „Maria-Stuart“-Inszenierung zu einem nicht wesentlich anderen Ergebnis. Dichters Wort macht die Musik, Schauspieler setzen die Töne. Letzten Sommer gastierte „Klassik am Meer“ aus Koserow/Insel Usedom in Bad Lauchstädt mit der Inszenierung von Jürgen Kern. Alljährlich präsentieren ausgewählte namhafte, sagen wir gut und gern lang erprobte Schauspieler (Dort steht auch der einstige Leipziger Gottfried Richter 2015 auf der Besetzungsliste, die Leipzigerin Astrid Bless gehörte jahrelang dazu.) Theater am Spielort in einer evangelischen Kirche! Da war dann schon die Goethe-Theater-Bühne Lauchstädts als Bühnenbild fast im Wege, denn außer ein paar Türen und einem Sessel brauchte man nichts weiter. Elisabeth, gespielt und wundersam intoniert von Franziska Troegner, ließ ihre Gefängniswärter die Maria Stuart mit Kabelbindern an den Sessel fesseln. Dabei vermochte Karoline-Anni Reingraber eine Klaviatur zähen Protests auszuspielen.
Leipziger Schiller-Theater
Leipzigs Schauspielhaus sammelt Friedrich Schiller seit langem. Regisseur Karl Kayser soll außer „Demetrius“ alle anderen Stücke geschafft haben. Und das Fragment hat selbst Goethe nicht zu beenden gewusst. Seinen „Dmitri“ aber hat Volker Braun in Leipzigs Kellertheater unter dem Opernhaus – ja, so was gab es jahrzehntelang – immerhin selbst vorgelesen. Konstanze Lauterbach zeigte mit „Kabale und Liebe“ und den „Räubern“, und auch mit Goethes „Werther“, wie man mit den alten Geistern gut durch die Zeiten wandern kann.
Schiller und Leipziger Theater? Da wäre noch der Theatersekretär Robert Blum aus dem Alten Theater, der den Schillerverein gründete, Schillerfeiern leitete und in der Gohliser Menckestraße das Haus des Bauern Schneider fand, wo Schiller einen Sommer verbrachte. Es wurde das erste Literaturmuseum Deutschlands. Wer hingeht, ist bei Schillern zu Hause.
Schiller – ganz ernst
Unter dem Motto „Schiller aktuell. Leipziger Gespräche zu Friedrich Schiller in Europa heute“ plant das Stadtgeschichtliche Museum Leipzig gemeinsam mit dem Freundeskreis Friedrich Schiller ein erstes öffentliches Kolloquium zu Ehren des großen deutschen Dichters und Denkers am 9. Mai 2015. Ziel des Kolloquiums ist es, „Schiller nicht nur in seiner Rolle als großen deutschen Dichter, sondern ihn als zeitkritischen Geist, als Historiker, als Philosoph, als Erzieher, Aufklärer und Visionär zu würdigen und damit eine Brücke zwischen ihm und der Kultur unserer Zeit zu bauen, die ja von globalen Krisen bestimmt wird. Vielleicht kann uns der Dichter fantasievolle Anregungen zur Bewältigung dieser Probleme geben?“, so Dr. Volker Rodekamp, Direktor des Stadtgeschichtlichen Museums Leipzig.
Nächste Vorstellungen: 7., 14. und 21. Februar jeweils 19.30 Uhr, am 24. Februar um 11.00 Uhr, am 7. und 24. März und am 10. und 30. April jeweils 19.30 Uhr
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