Ihm gehen die Worte leicht durch den Kopf aber schwer über die Zunge, dem lauten Zampano, dem kleinen Mann mit Frack und Zylinder, der behauptet, der Zampano zu sein. Nun gibt er mit seinen Spielern wieder Vorstellungen im Leipziger LOFFT.

Hingehen! Miterleben!

Ja, hingehen! Angucken, miterleben. Denn es ist eine Empfehlung. “Und es tut so gut, auch einmal JA zu sagen!”, meine Kurt Tucholsky.” Denn noch einmal kommt das BRYCKENBRANT-Ensemble aus Berlin in die koproduzierende Leipziger LOFFT-Spielstätte.

Was wirbt für einen Theater-Abend? Ein Bezug zu Leipziger Geschichte, sächsischer Theatertradition, die Thematisierung eines Totentanzes in aktueller Darstellung aus heutigen Ängsten und vergangenen Hoffnungen? Oder treibt nur die Neugier auf Zustandekommen und Aussehen eines Projekts mit Schauspielern unterschiedlicher Voraussetzungen nach Ausbildung und Körper inklusive Stimme. Einerlei.

Darstellendes Spiel jenseits der staatlichen und kommunalen tarif- und außertariflich verhandelten Gehälter, sondern geschaffen aus gemeinsamem Spaß an Konzentration, Geduld und Ausdauer, Diskussionsfähigkeit und Disziplin hat immer vorauseilende Sympathien im Publikum. Da können sich die institutionalisierten Häuser, Festivals und Festspiele bei der Freien Szene abgucken, was sie wollen. Bei BRYCKENBRANT merkt man der Vorstellung nicht an, wo da vielleicht doch die straffe Regisseur-Hand waltete. Freilich wird, wie bei anständiger Kunst inklusive musikalisch definierter oder schauspielerisch trainierter Improvisation, nichts dem Zufall überlassen.

Reales Drama und Fama

Aha, die Neuberin! – Und selbst da ist nun egal, was bei der Prinzipalin, geboren im vogtländischen Reichenbach, arm dran und in armen Verhältnissen gestorben in Laubegast bei Dresden, an der Überlieferung stimmt. Drama und Fama haben Berührungspunkte. Fabeln und Fabelhaftes geistern durch die Welt. Stille Post verändert Gesprochenes, Gehörtes, Verstandenes, Weitergegebenes. Dass die Neuberin den Hanswurst in Leipzig verbannte oder gar verbrannte, ist eine so unglaubliche Geschichte, dass sie sich schön erzählen lässt.

Leistungsträger

BRYCKENBRANT spielt hinter den Kulissen vor den Kulissen. “Wo bleibt er denn?” – “Noch nicht!” – Auf und ab. Klarsichtfoliendekoration wie Milchglas geknittert und zum langen, weiten Abendkleid geknittert. Mit Köpfen wie Kartoffeln tanzen später drei Folkloristen ihren Übermut hinaus.

“Leistungsträger Tod” ist der Abend betitelt. Ein unausweichliches Programm. Leistungsträger waren einst die fleißigen Arbeiterinnen und Arbeiter, egal ob mit der Schippe oder anderen Geräten. Im Zeitalter der Aufsteiger und der Herausgefallenen, denn prinzipielles Aussteigen ist kaum möglich, titulieren sich die Geldverwaltungen und Bewilligungszeitraumwächter als Leistungsträger. Auf Zampano-Harlekins Weltbühne gibt es eine große Ansprache, wie von einem der noch nie eine Rede hielt, aber schon viele hörte. Und weiß, dass er vermutlich kaum wieder am Pult stehen wird. Politisch korrekt laufen Sinn, Hintersinn und Unsinn aneinander vorbei, doch der hier hat sich vorher schon als Zampano-Person und als Schauspieler sein Publikum und seine Anerkennung verschafft.

Nicht lachen über die, die nichts zu lachen haben

Und in diesem Stück wird prinzipiell nicht gelacht über die, die nichts zu lachen haben. Der Zampano kommt mit Frack und Zylinder, szenische Zutaten gibt es nur dort, wo sie gebraucht werden, Nähen oder Fernen schaffen, natürlich braucht Theater einen Vorhang, auch das kleinste Kasperletheater hat einen. Dazu noch Musik, computerelektronisch-akustisch oder mit Fingern in ein wundervoll altes E-Piano gedrückt.

Auch darin gleicht sich diese neue kleine Theaterwelt den alten Traditionen von Fastnachtspielen, Harlekinaden, Umzügen und Totentänzen an, dass hier so sehr nach Szenen aufgereiht wird und mehr oder weniger aufbauend. Und da wünscht man sich, diese Spieler, diese Masse an Ideen und Energie mit einem neuen Projekt zu sehen.

Eine ganze Komödianten-Gesellschaft hat sich versammelt, zu den Spielern Christian Behrend, Janne Gregor, Ixchel Mendoza Hernandez, Joao Victor Toledo, Grit Wagner haben sich die Musiker Benjamin Lahusen, Vladimir Stramko, Regisseur Daniel Wittkopp, Janne Gregor auch als Choreografin, Dramaturg Max Langendorf, Bühnenbildnerin Miriam Lahusen, Kostümbildnerin Josephine Berger, Maskenbildnerinnen Lene Hille und Susanne Rothert gesellt. Man mag die Klang-Wulst als Störenfried bezeichnen. Töne können eben mit der Zeit nerven.

Na und ob die Harlekinade auch mit Video und Übertiteln klarkommt! “Der Inhalt dieses Dramas, der nach irdischem Zeitmaß etwa 10 Abende umfassen würde, ist voll von unwirklichem Undenkbarem, von keinen wachen Sinn Erreichbarem, keiner Erinnerung Zugänglichen und nur in den blutigsten Träumen der vergangen Jahre, da Operettenfiguren die Tragödie der Menschheit spielten, denkbar.”

Man muss hinter diesem Witz gar nicht mal daran denken, dass der Begriff “Haupt- und Staatsaktion” zu Neubers und Herrn Wursts Zeiten ganz normale Abläufe der Theatervorstellung bezeichneten…

In diesen Szenen entwickelt sich das Drama aus dem, was draußen vor der Tür normale Welt ist. Niemand tut so, als könne man noch einmal bei null anfangen. Wir sind nicht im Labor, wo sich Menschen nur noch mit Technik unterhalten, und eine neue Zivilisation entdecken. Hier spielt das Leben ohne Ankündigungen und Absprachen über SMS. Zampano und Pickelhering sind Schicksale, keine Logins oder Prüfziffern und auch keine Karrieren mit Haltbarkeitsdatum bis zum Übergang in den Aufsichtsrat. Wir spielen alle mal, mal mehr und mal weniger, wer will spielt verrückt.
Wer zuletzt auf der Bühne lacht, hat gut Lachen

Wikipedia, versionenreich schwarmintelligent, weiß anno 14. August 2014: “Im Jahr 1737 verbannte Neuber in einem Stück symbolisch den Hanswurst als Sinnbild für das alte Theater von der Bühne ebenso wie die bis dahin üblichen “Haupt- und Staatsaktionen”. Sie ließ es sich nicht nehmen, den Hanswurst selbst zu spielen.” Aha, die Neuberin habe selbst den Hanswurst gespielt, als sie ihn von der Bühne vertrieb…?

Sind Zeugen aufgetaucht? Schafft da jemand Unklarheiten um demnächst aufzutrumpfen?

War da nicht mal ein Beleg, dass das angeblich extra herausgebrachte Stück wohl erst nach dem Tod der Neuberin entstanden ist? Zu Lebzeiten soll sie im Zugzwang gewesen sein, denn ihr war der Hanswurst gerade abhanden gekommen, Dank eines cleveren Darstellers der sich zum Konkurrenten aufschwang. Doch alte Witze sind immer gut, wenn sie denn nur gut genug erzählt werden.

Getarntes Lachen

Ohne ungelenke Störfaktoren, Kommentatoren und Spaßmacher ginge es nicht im Theater, ob mit Darsteller oder Fehlstelle, bei der Neuberin nicht und danach auch nicht. Goethe brauchte freilich im “FAUST” eine Lustige Person und etliches lebensfreudige Personal. (Davon abgesehen, dass es bei Goethe auch das Fragment einer wahren HANSWURSTIADE gibt.) Das Närrische hielt sich bedeckt. “Tarnung ist das halbe Leben, im Krieg wie im Fieden.” Hanns Eisler, in Leipzig geborener Metzgersohn, setzte dem Hanswurst ein Denkmal in seinem Opernlibretto. Hanswurst sucht die Wurst!

Narrenpositionen sind immer überlebensgefährlich. Theateranekdotenbücher wissen von Vermahnungen, “dass der Narr in Shakespeares KÖNIG LEAR nicht zu sehr gut und lustig gespielt werden solle”. Im realen Spiel des Lebens – ohne Rampe und Saal – Anfang der 90er Jahre wurden “rübergemachte” Ossis am West-Arbeitsplatz belehrt, dass man am Büroarbeitsplatz nicht zu lachen habe, und schon gar nicht laut.

Dramatik und darstellender Spieler, die meinen, ihrer Zeit voraus zu eilen, schauen meistens sofort oder bald den Ereignissen hinterher. (So ging es auch Frank Castorf bei den Bayreuther Wagner-Festspielen, der sich nach eigener Aussage 2013 im Premierenjahr seines “Rings des Nibelungen” noch als sogenannter “Anarchist” fühlte.)

Freie Szene, Freie Gelder

Wenn die Neubersche Theatertruppe sich noch als eine vom Hofe privilegierte bezeichnen konnte, so dürfte Friederike Caroline vom Himmel aus mit weinendem Auge auf heutige Besitzstände der Akteure Freier Szene herabschauen. Neudeutsch bezeichnete Compliance könnte in der Freien Szene auch mal bedeuten, dass jemand am Beispiel der sichtbaren Ausgaben und Personen Finanzierungen und Einkünfte offen legt. So wie die Gehälter und Honorare der Hoch-Kultur nach und nach nicht mehr geheim gehalten werden können. “Viel Lärm um nichts?” oder “Was ihr wollt?”

Harlekin ist wieder da

Einer der Erklärungs-Übertitel war: “Wenn das Theater aus der Reihe tanzt, dann ist vielleicht jemand ganz anderer dafür verantwortlich.” Klar ist eins, und eine eindringliche Warnung: Der Harlekin ist wieder da. An die historische Friederike Caroline Neuber und ihre Schauspieler, Theaterprofessor Gottsched, den Dramaturgen und Dramatiker Lessing wird in Leipzig nur gelegentlich erinnert. Eine Tafel am Haus Zum Großen Blumberg muss genügen. Und der Neuberin-Preis der Stadt Leipzig für langjährig-engagierte Theaterfrauen. Leipzigs Archivare, Histroiker und Museologen haben hier und da verschlossene Sammlungen von Theatermaterialien, aber keine Öffentlichkeitsarbeit.

Virtuell fasst WWW.THEATERFORSCHUNG.DE weltweite Aktivitäten zusammen.

LOFFT, 12. und 13. September, 20:00 Uhr, 14. September 18:00 Uhr

http://lofft.de
http://bryckenbrant.com

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