Kurz und knapp: Auf der Bühne sind Trümmer zu sehen und historisch anmutende edle Gewänder, die Schauspieler erfreuen sich großer Texte und Dialoge, es geht munter hin und her, Kummer- folgen Freudentränen. Auf und ab, das Schicksal ändert Richtungen, schlägt Haken. Am Ende des Stückes ist die Welt in Ordnung. Scheint so. Es gibt Zwischenapplaus und langen Beifall am Schluss einer Repertoirevorstellung, bei der vorsichtshalber wärmende Decken ans Publikum ausgegeben worden waren.
“Aus den Wolken kommt das Glück” ist dem Dramentitel “Amphitryon” beigegeben. Immer schon mal gehört, auch gesehen, klar, es ging um Geld, Macht oder Sex. Oder alles. Oder wenigstens Sex. Oder wie in der Welt von Göttern und Halbgöttern die Vergesellschaftungen heißen. Es liest sich wie eine Zauberformel “Amphitryon” und ist ein Name für unglaubliche Vorgänge: Jemand glaubt sich ehrbar, der mit Verwechslungsspielen seine Nachbarn respektive Geschäftspartner testen will. Fremder Frau nähert man sich als ein Doppelgänger, um sie vor dem Ehebruch zu bewahren.
Allein bei der Lektüre des Schauspielführers macht Kopfschütteln, erst recht, wenn man den Weg dieser Komödie durch die Weltdramatik seit römischen Zeiten bis zu Moliere und Kleist verfolgt. Wobei Moliere Event-Manager war, denn er schrieb zur Erheiterung von Ludwig XIV., der viele Frauen liebte …
Diesmal kein Shakespeare, wie sonst so oft sommers in Barthels/Webers Hof. Das Bühnenbild, der gemalte Rück-Prospekt ist in Webers Hof ein neuartiges Spiel mit der Architektur, beschränkt auf die Vertikalen, die zu streifenförmigem Design führen, Säulen, Nischen und deren Schatten charakterisierend, der Balkon wird zur Theaterloge stilisiert. Blauer Teppich drunter und drauf trümmerähnliche Pappkameraden, zur Liebeslaube genügen Kissen und ein wehender Himmel aus weißer Seide.
Ganz anders die Kostüme, edle weiße und dunkelrote Roben für die Damen, die Herren mit Brustpanzern aus Metall oder Leder, oder was man dafür ausgibt. Pailettenbesetzte flatternde Stoffe signalisieren bei Kleidern und Uniformen: Hauptsache es macht Eindruck und glänzt, wenn man es von weitem besieht. Hier lief der Spaß zum Zickzackstich durch die Nähmaschine.
In der Liebesszene gibt es statt publikumsstaunenheischender Paarungen nur Standbilder. Um billige Effekte geht’s hier nicht. Um Klamauk manchmal schon, wenn Darsteller die Konservenmusik aufnehmen, um nicht einfach reinzukommen sondern aufzutreten, bewegt bis tänzerisch, im edlen Leipziger Webers Hof, der freilich nicht bei jedem Sommertheater alle Türen und Fenster seiner Wände öffnen kann.
Die Nacht, die für den Dichter Brecht 12 Stunden hatte, dann, wusste er, “Kommt schon der Tag”. Jener Brecht, an dessen Stücke in Leipzigs Altem Theater nichts erinnert. Nicht einmal die so genannte “Notenspur” weist auf den Standort hin und führt gar nicht mal am Brühl mit einstigen Spielorten des Großen Concerts und des drittältesten Opernhauses Europas darauf hin.
Nur fünf Darsteller braucht Regisseurin und Textbearbeiterin Ev Schreiber. Mit Christina Wollner, Jördis Wölk, Sasche Kiesewetter, Andre Ryll und Manuel Wagner ist wieder ein imposantes Ensemble zusammen gekommen. Man wiederholte sich über die Jahre gern, wenn man wünscht, diese Truppe gern wieder gemeinsam auf der Bühne zu sehen.Ev Schreiber bleibt sich treu, nirgends sonst kann Theatertradition wach gehalten werden, wenn nicht immer wieder alte Stücke mit immer neuem Augenzwinkern gezeigt werden.
Mit der 25. Saison eines der längsten Leipziger Sommertheater, in einer sichtbaren und wirksamen Gebäudekulisse als Resultat von 1000 Jahren Leipzig (die ältesten Fußboden-Steine liegen im Schrein zwischen den Höfen). Und die Anwohner dulden es, tagsüber bei den Proben und spätabends! Solche Nachbarn möchte man haben.
Als Freies Theater an sich und mit der Serie der Sommerkomödien ist das Theater fact ein bisher übersehenes mögliches Langzeitforschungsprojekt für Wissenschaftler diverser Fächer, was Wirkungen in einer Saison und über die Jahre betrifft.
Amphitryon – Aus den Wolken kommt das Glück – Vorstellungen in Webers Hof, Hainstraße 3, im Juli und August, dienstags bis sonntags um 21 Uhr. Dann geht das Spiel im Theater unter Barthels Hof weiter, mit lauten und leisen Komödien, bis zum vorverkaufskartenumkämpften Weihnachtsmärchen und weit darüber hinaus.
“Es geht immer um Geld, Sex und Macht”, vermag man zu sagen, oder sieht erst einmal zu: Den Personen, den Fragen, die gestellt werden wollen, die Rätsel, die sich zeigen, und die Kräfte der Liebe … Im Theater nimmt man sich die Zeit dazu.
Dieser Tage im Online-Forum einer Tageszeitung zur Frage, warum Laokoon als Superstar klassischer Skulptur nicht schreit: “Durch die mediale Bildgewalt unserer Neuzeit abgerieben vermutet man nicht mehr, dass der Gedanke des Entsetzens und des Aufschreis doch im Betrachter seine Vollendung finden könnte. Eine laut schreiende Äußerung, wie grandios wäre dies, erzeugt durch einen erstickten Schrei in einer leblosen Skulptur!” Nun, bei solchen Äußerungen vermag ein Theaterbesucher gleichzeitig den Kopf zu schütteln, zu schmunzeln und zu schweigen.
Keine Kommentare bisher