Wer mit Wagners "Tannhäuser" im Lichte moderner Opernhaus-Bunker-Bühnenbilder Schwierigkeiten hat, kann sich an Aufführungstagen auf die "Wartburg" bei Eisenach begeben und an den Originalschauplatz glauben, wobei der Sängersaal auch nur ein Bühnenbild ist. Oder man vertraut sich dem Leipziger Wagnervereinschef und Universitätsmusikdirektor David Timm an.

Er stemmte den “Tannhäuser”, wenigstens den dritten Akt, umrahmt von ambitioniertem Konzertprogramm – in einer Kirche. Freilich ist die Evangelisch-Reformierte Kirche am Tröndlinring für ihre musikalische Offenheit bis hin zum Jazz bekannt. In den Wiesbadener-Programm-ähnlichen Aufbau von Podium, Kanzel, Chorempore und Orgel übereinander passt auch ein Wagner-Klangkörper vom Format des Leipziger Mendelssohn-Orchesters.

Man hat das Gefühl, mit im Orchestergraben zu sitzen, zu hören und zuzuschauen. Lauter klingen die Instrumente, aber vor allem feiner, und runder die Übergänge. Freilich gilt die Akustik des Bayreuther Festspielhauses noch immer als sicherer Tipp, die Ohren justieren zu können, aber die Nähe zu den Musikern und Musikinstrumenten hat für den scheinbar Unbeteiligten eine eigene Energie. Zum Schluss gab es langen Applaus und zahlreiche Verbeugungen der Aktiven, wie sonst in der Kirche selten.

“Dumpf vor sich hin”

Guckte man sich die Akteure an und schaute ins Publikum, lag der Verdacht in der Luft: Wenn sich schon junge Leute auf Altes einlassen, dann wollen sie es genau wissen, alte Zeiten erahnen. Anders als es Bertolt Brecht mit dem Begriff von der “durchschlagenden Wirkungslosigkeit von Klassikern” beschrieb. “Dumpf vor sich hin” hat Wolfram laut Wagner zu fragen. (Und er durchschaut die Welt nicht: “Entsetzlich! Ist’s ein Traum, was ich erlebe?)

An anderer Stelle hat Wolfram “mit erhabener Rührung” zu singen und zu agieren, so hat es der Dichter und Komponist RW in die “Tannhäuser”-Regieanweisungen hineingeschrieben. Donnerstagabend war die Kirche ausverkauft. Reprisen wären möglich, sind aber nicht vorgesehen und bei über 100 Sängern und Musikern eine Planungssache.

David Timms Wagner-Repertoire ist groß, voriges Jahr kam die “Götterdämmerung” hinzu, gespielt im zum Festspielhaus umgebauten Auditorium Maximum der Universität. Möge der Plan, den ganzen “Ring des Nibelungen” im Paulinum aufzuführen vielleicht doch noch wahr werden, wie es schon für 2013 von Bauplanern versprochen war. (An solchen Bauarbeitern wäre Richard einst in Bayreuth nicht nur verzweifelt, sondern auch gescheitert.)

2013 nahm sich David Timm auch die “Meistersinger”-Ouvertüre vor, moderierte geschickt die Demonstration einer Version, wie wir sie aus Theaterorchestergraben und Konzerthaus kennen, sie erklang, und danach eine Aufführung im offensichtlich von Wagner gemeinten Tempo. Und das im Festsaal des Alten Rathauses, Platz war knapp, Wege der Akustik kurz, der Eindruck erstaunlich!

Nun also “Tannhäuser”, Ouvertüre und 3. Akt in der Fassung von 1845, keine Moderation. Zuvor Felix Mendelssohn Bartholdys “Ruy Blas”-Ouvertüre mit dem Zeigefinger, dass es bei Mendelssohn-Werken seitens Wagner einnehmende Momente gegeben haben soll …
“mit feierlichem Entschluß”

Verstärkt wurde die Universitätsmusik durch die Solisten Sabine Passow als Elisabeth, Albrecht Kludszuweit als Tannhäuser und Uwe Schenker-Primus als Wolfram, die Frauen des Chores, sie übernahmen den “Chor der jüngeren Pilger” am Schluss, und den Männerchor Leipzig Nord, dessen Gründung einst im Jahr 1953 in einem Leipziger Gartenverein geschah… Also “mit feierlichem Entschluß”, wie Wagner seinem Wolfram von Eschenbach anweist. Eine Leipziger Hausgemeinschaft, die Richard erfreut haben dürfte, wohnhaft einst gleich hinter den Resten von Stadtgraben und Stadtmauer am Brühl.

Richard Wagner und Felix Mendelssohn Bartholdy in einem Programm aufzuführen, wird auch weiterhin ein Problem bleiben. Soweit sind die Gewohnheiten nicht, weder im Publikum noch bei sensationslüsternen Redakteuren.

Prof. Dr. Werner Wolf, vermutlich der dienstälteste lebende Wagnerianer der Stadt Leipzig, hat im 16-Seiten-starken Programmheft eine feine Gebrauchsanweisung geschrieben. Wagners Zeit. Leben und Streben bringt er Fakt für Fakt mit Mendelssohn zusammen, Wagners Bild und Auffassung von den jüdischen Komponisten als er einen Aufsatz über sie schrieb, den er – und das ist wichtig – später korrigierte. Werner Wolf zitiert Cosima Wagners Tagebuch von 1878: “Wenn ich noch einmal über die Juden schriebe, würde ich sagen, es sei nichts gegen sie einzuwenden, nur seien sie zu früh zu uns Deutschen gekommen, wir seien nicht fest genug gewesen, um dieses Element in uns aufnehmen zu können.” Für Weihnachten 1878 soll sich Wagner Mendelssohns Konzertouvertüren gewünscht haben.

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Vor einem Jahr, zum 200. Geburtstag, erschienen alle, die gerne in der Sonne stehen und die Richard beerben, ohne an ihn Tantiemen zahlen zu müssen. Ein Jahr später gibt es zwei Festtage, jeder druckt seine Termine, zwei Vereine, ein Opernhaus …Weniger Geld gibt’s aus der Stadtverwaltung, so dass frühere Programm-Events wie Festspielhaus-Baustelle auf dem Fockeberg und die nächtliche “Wagner-Lounge” entfallen mussten.

In Richard Wagners Taufkirche St. Thomas wollte der andere Leipziger Wagner-Verein gratulieren, das Konzert wurde in die Michaeliskirche verlegt, zu gleicher Zeit wie der “Tannhäuser”-Abend. Was würde wohl der Theater-, Orchester- und Festspielmanager Richard Wagner dazu gesagt haben …

Dabei war es auch nicht selbstverständlich, dass der Verein Richard-Wagner-Gesellschaft Leipzig 2013 fortbesteht, denn seine Aufgabe für das Jubiläumsjahr hatte er erfüllt, erreicht, “aber andere Ziele haben wir noch nicht erreicht”, hatte Vereinsvorsitzender David Timm in einem Radiointerview gesagt.

Ohnehin steht seine vor Jahren geäußerte Vision noch aus: “Bayreuth soll Bayreuth bleiben und Leipzig muss Leipzig werden.” Dazu zählt freilich, dass das neue Richard-Wagner-Denkmal, ob es nun Porträtähnlichkeit mit dem Oberbürgermeister hat oder nicht, mit an die “Notenspur” gehört und in den Flyern so vermerkt werden müsste. Der Standort des Geburtshauses auch, selbst wenn es nur um eine Tafel und die markierte Fassade geht. Aber das ist eine andere Geschichte. Beim zweiten Schritt tut man sich in Leipzig manchmal schwer.

Nächste Veranstaltung:
25. Mai 2014, 15:00 Uhr, Cineding, Karl-Heine-Straße 83, Leinwandmusiktheater “Götterdämmerung”, Live-Mitschnitt der Aufführung von 2013

www.wagner-festtage.com
www.wagner-leipzig.de

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