In der Hähnelstraße treibt der Westflügel sein seit Jahren hochgeschätztes Wesen. Es wird gewagt und umgesetzt und oftmals auch den eingefahrenen Sichtweisen ein Schnippchen geschlagen. Vorneweg hat Maria Koch ihr Team hinter sich höchst professionell geschart - und öffnete für Volly Tanner ihr Nähkästchen, um über die Spielzeit 2014 zu erzählen.
Hallo Maria. Schön mit Dir reden zu können. Am 24.04.2014 beginnt die neue Spielzeit für Deinen Westflügel. Bekannt sind Dein Team und Du ja für die herausragende konzeptionelle Arbeit. Was habt Ihr Euch denn für 2014 so vorgenommen? Rein vom konzeptionellen Ansatz her?
Unsere Sommersaison ist reich beladen, so viel kann ich versprechen! Nicht umsonst ist das druckfrische Programmheft diesmal zwei Nummern größer. Das soll eine Art “Reisefibel” sein. Denn damit geht es vor allem ins westeuropäische Figurentheater mit hochkarätigen Produktionen aus sechs verschiedenen Ländern. “Westwärts” – das ist der Gedanke und daher Titel dieser Spielreihe, die mit dem preisgekrönten Paradestück des britischen Ensembles Blind Summit Theatre eröffnet wird. Brillanter Humor in puristischer Aufmachung und absoluter Dauerbrenner nicht nur auf Figurentheaterfestivals.
Andererseits hält sie so kleine Schätze wie das jugendstilumwehte Erzählkonzert aus Luxemburg bereit. Hier trifft man außerdem auf holländische Provinzintrigen, belgische Waldluft, Totentanz auf Französisch und man lernt auch etwas über die Poesie eines ausrangierten spanischen Bettgestells. Im Sommer sind wir sozusagen das freundliche, alles andere als gewöhnliche Reisebüro von nebenan.
In den kälteren Monaten laden wir dagegen mehr zum Verweilen ein und widmen uns ganz explizit einem wichtigen Aspekt des Figurentheaters: der Figurentheater-Regie. Dazu holen wir uns eine Expertin zu Hilfe. Christiane Zanger, Regisseurin der deutsch-polnischen Kultproduktion “Krabat” wird persönlich vor Ort sein, um in einem Intensivworkshop und Publikumsgesprächen Einblicke in ihre Praxiserfahrungen zu geben. Dazu präsentieren wir eine Auswahl ihrer Arbeiten wie das draufgängerische Goethe-Projekt “Faust spielen” mit Wilde & Vogel und Christoph Bochdansky. Darüber hinaus wird in diesem Jahr geprobt, geprobt und nochmals geprobt – für ganze vier neue Produktionen.
Und was werden die Highlights des Westflügelsommers 14?
Ein Höhepunkt ist ohne Frage das für Juni geplante Gastspiel “Conversation avec un jeune homme” von Agnès Limbos. Wer sich bereits mit dem aktuellen Objekttheater auskennt, wird sofort wissen warum. Auf internationaler Ebene ist sie Meisterin ihres Fachs und ganz besonders freuen wir uns darüber, dass sie Anfang September wiederkommen und im Westflügel eine der erwähnten Probephasen einlegen wird. Da kann man sich ruhig ein bisschen geehrt fühlen. Ähnlich verhält es sich mit Jean-Pierre Larroche, dem langjährigen Leiter der Ateliers du Spectacle aus Frankreich.
Die siebenköpfige Truppe wird im August ihre Ferienzeit unterbrechen und mit “Tête de mort”, also “Totenkopf” anreisen. Morbide, hochartistisch und lebensfroh in Einem, so mögen wir das! Aber letztendlich wird ein Highlight immer erst durch sein Publikum dazu gemacht. Wir bemühen uns jedes Mal aufs Neue um ein ausgewogenes Programm, das ebenso sehr junge Spieler wie heißgeliebte Koryphäen in den Vordergrund rückt. Jede Zutat hat ihre eigene Stärke. Auf das Gesamtmenü kommt es an. Und das betrifft nicht nur die mit Bedacht zusammengestellte “Westwärts”-Reihe. Wir setzen weniger auf einmalige Blockbuster als vielmehr auf ein kontinuierlich gutes und spannendes Angebot, das sich eben durch künstlerische Schwerpunkte, nicht durch Qualitätsunterschiede auszeichnet.
Zu den Highlights bietet Ihr ja immer ein umfangreiches Rahmenprogramm. Kannst Du da bitte schon mal ein bisschen aus dem Nähkästchen plaudern?
Für die Rahmenveranstaltungen steht in erster Linie unsere Bar Froelich & Herrlich, die jeden Freitag auch unabhängig vom regulären Spielplan öffnet. Diesen Sommer erlebt sie ihr Zweijähriges, ist aber in relativ kurzer Zeit ein nicht mehr wegzudenkender Bestandteil des Westflügellebens geworden. Im vergangenen Jahr gab es viele denkwürdige Abende mit Bands, Improauftritten und einer Filmvorführung, hinter der man wohl leicht eine verlorene Wette vermuten könnte. Die Bar ist ein ausdrücklich offenerer, lockerer Bereich, in dem andere Inhalte auftauchen und vor allem in musikalischer Richtung experimentiert werden kann. Das hat sich bewährt und macht großen Spaß.
Passend zum französischen und spanischen Gastspiel wird die Sängerin Karolina Trybala zwei jazzig-volksmusikalische Liederabende gestalten. Auch leisten wir bewusst einen Beitrag zur derzeitigen Diskussion um die drohende Schließung des Leipziger Instituts für Theaterwissenschaft – mit einer Folge von öffentlichen Vorträgen aus zentralen Forschungsfeldern und laufenden Promotionsprojekten.
Aber wo es doch um Nähkästchendinge, also lange gehegte und gepflegte Pläne geht: Es ist ja schon mehr als ein Gerücht, dass es Fortschritte in Sachen Westflügelheizung gibt. Was ist da wohl geeigneter als eine maßgeschneiderte Ofenanlage zwischen Kunstobjekt und modernster Kamintechnik? Und ein einigermaßen “rebellisches” System noch dazu. Bis Ende 2014 soll der Barbereich mit einem mobilen Ofenmodell des Sponsoren Firetube ausgestatt werden. Bisher stehen die Zeichen glücklicherweise auf Grün. Ein Ofen für wohltemperierte Theaterveranstaltungen im großen Saal soll baldmöglichst folgen. Damit würde wahrlich ein kleiner Traum in Erfüllung gehen!
Es soll ja Menschen geben, die meinen, dass andere Erdenbewohner, die Visionen haben, zum Arzt gehören. Ich glaube es ist anders herum: Wer keine Visionen mehr hat hat eine ganz große menschliche Fähigkeit verloren und mutiert zum Stein. Gibt’s Visionen für’den Westflügel?
Verrückt, nicht? Dabei kommen wir doch schon im Alltag gar nicht ohne aus. Visionen von einem selbst, dem eigenen Erfolg etc. Sie treiben einen voran, fordern und überfordern auch von Zeit zu Zeit, im besten Fall auf liebenswürdige Weise… Eine mittelfristige Vision für den Westflügel, also eine, die eher mit dem Boden der Tatsachen zu tun hat, ist es, das Haus barrierefrei zu machen. Zum Beispiel gibt es ja schon den alten stillgelegten Fahrstuhlschacht aus den Zeiten, in denen das Haus eine Rohrfabrik war. Dort einen neuen Aufzug reinzusetzen – das wäre großartig und würde so einigen Besuchern einen Theaterabend ermöglichen, den wir uns für alle wünschen.
Ganz “waschecht” aber ist die Vision vom Westflügel als einer umfassenden Theaterspiel- und forschungsstätte, in der Praxis, Lehre und grundsätzliche Fragen nach dem, was Theater ausmache, zusammenkommen. Also der historische Horizont mit Herkunft und traditionellem Potenzial. Und das im Austausch mit künstlerischem Handwerk, das an die nächste Generation weitergegeben wird. So etwas kann man nicht aus dem Boden stampfen. Aber es ist eine freudebringede Idee und es lohnt sich, in ihrem Sinne weiterzuarbeiten.
Und Dich ganz persönlich, liebe Maria, was treibt Dich an? Wo schöpfst Du Deine Kraft her, wenn die Rahmenbedingungen in Deiner Arbeit Dich zu zermalmen drohen? Die Kraft weiterzumachen, wenn die Sinnfrage mit negativem Anhang gepoltert kommt?
Da würde ich keine so klare Grenze ziehen. Denn hat man erst mal eine der Mühlen überstanden, kommt von allein immer wieder Kraft zurück. Wie beim Laufen – die Anstrengung gehört dazu, bevor es schön wird. Aber vielleicht meinst du so was: Ich habe ein großes persönliches Interesse an meinen familiären, deutsch-russischen Wurzeln und an Erzählungen, die von den Dörfern im Wolgagebiet, der Sowjetunion, Vertreibung und Auswanderung handeln. Es ist mir wichtig, erst mal einfach zuzuhören und von Eltern, Großeltern und meiner temperamentvollen Tante zu lernen, wie das Leben so ist. Das gibt mir jedenfalls festeren Halt, wenn die Gegenwart allzu wirr und negativ erscheint.
Danke, Maria. Es ist eine Freude, von Eurer Arbeit erzählen zu dürfen.
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