"Wir haben Stücke im Repertoire für Kinder, Musicals für Jugendliche", sagt Ballettchef Mirko Mahr, für Erwachsene sowieso, für die dazwischen, ab 12 Jahren, fehlte uns etwas! Da bot sich Romeo und Julia ja geradezu an! Und wenn wir es schon machen, dann mit Sergej Prokofjews Musik und unserem Orchester!" Im Dezember 2012 schlugen die Theaterpädagogen, man nennt sie modern Abteilung Education, der Theaterleitung das Ballett-Stück vor. Kurz vor Veröffentlichung des Spielplans der Saison bekam Mirko Mahr das Ja. Da gab es noch keinen Dirigenten, kein erweitertes Ensemble, Libretto, Bühnenbildidee, Kostümfigurinen....
Jetzt ist das alles da. Diese Woche kommt das Licht auf die Rampe. Und Stefan Klingele wird die Orchesterproben leiten. Die “West Side Story”, Leonard Bernsteins Version von “Romeo und Julia” gab es an der Dreilindenstaße schon vor Jahren.
“Romeo und Julia” gespielt von jungen Leuten für junge Leute
Wer vorab etwas über die Musikalische Komödie wissen wollte, bevor auf der echten Bühne geprobt wurde, musste zunächst ins Opernhaus gehen. So wie die beiden städtischen Musikbühnen zusammengehören, trainiert und probt das Ballett der MuKo im Opernhaus in einem eigenen Ballettsaal mit Spiegelfront, Tageslicht und Blick über die Goethestraße. Hoch oben unterm Dach hat der Ballettchef ein winziges Zimmerchen, ein Tisch, zwei Stühle, ein Schrank, an dem der Bademantel hängt. Mirko Mahr hatte seine Tänzer-Karriere einst mit dem Abschied aus dem Leipziger Ballett eben doch nicht ganz beendet. Und in “Romeo und Julia” tanzt er wieder, nun als Graf Montague in der Großväter-Generation.
Extra für diese Produktion wird die Truppe vergrößert, zu den 15 Tänzerinnen und Tänzern kommen noch zwei Tänzer-Gäste hinzu, plus zwei Gesangssolisten, Sabine Töpfer und Michael Raschle, denn die Amme und Pater Lorenzo werden auch sprechen. Julia und Romeo verkörpern blutjunge Tänzer, Sara Barnard und der 22-jährige Tom Bergmann: “Es ist ein Stück mit jungen Leuten für junge Leute. Und das kommt sehr authentisch rüber”, sagt der begeisterte Choreograf nach den ersten Proben auf der normalen Bühne. Für die Endproben stehen nur vier Wochen zur Verfügung, mehr gibt es nicht. Daneben laufen Proben und Vorstellungen des Repertoires.
Achterbahnfahrt ins Glück
Mirko Mahrs Choreografie wird sich an Shakespeares Handlung halten, verkündet die Premierenwerbung des Opernhauses. “Wir beziehen uns auf die Übersetzung von Frank Günther”, und ein großes Tanzlexikon steht auch auf dem Schreibtisch bereit. Die Premiere am 31. Januar ist auch eine Uraufführung, Geschenk zum 450. Geburtstag William Shakespeares und Gedenken zum 400. Todestag.
Der Choreograf verweist auf sein Libretto, das zusammen mit der Dramaturgin Christina Geißler entstand, ein Manuskript mit allen Bildern, Abläufen, Szenen für Einzelne und alle, Anweisungen für Technik und Ausstattung. “Eigentlich habe ich aber alles schon im Kopf”, bekennt Mirko Mahr. Bei der Vorbereitung der Szenen ging man dann gar nicht chronologisch vor, und die Schluss-Todes-Szene wurde schon geprobt, als die junge Liebe noch voller Hoffnung war…
Nein, aus der Bühnenbild-Idee des Teams macht Mirko Mahr kein Geheimnis. Auf einem ausgedienten Rummelplatz, wie dem Berliner Plänterwald, dem späteren Spreepark, bewohnen verfeindete Familien einstmals edel gewesene Kulissen. Das große Tier-Maul der Achterbahn-Ausfahrt verheißt eine Achterbahnfahrt der Gefühle, eine fragliche Reise ins Glück … Frank Schmutzler, der Technische Leiter der Musikalischen Komödie hat scheinbar Reste der ramponierten Fahrgeschäfte zum Bühnenbild gemacht, Norbert Bellen schuf Kostüm-Entwürfe aus Skizzen und Foto-Beispielen, die Typen von damals in modernen Outfits zeigen. Was kann denn auch verstaubt-verspielt-selbstverliebter sein als Harald Glööcklers Pseudo-Barock. Vielleicht wird ja der neue falsche Glööckler-Look vom kleinen Leipziger Broadway an der Dreilindenstraße eine neue Design-Marke …
Kann es ein Happy-End für Romeo und Julia geben? – “Man kann es sich vorstellen, in vielen Varianten. Aber auf die Szene in der Gruft kann man nicht verzichten!”
Hauptrollen für Tänzerinnen und Tänzer
Mit Mirko Mahr als Leiter des Balletts und Choreografen bekam die Musikalische Komödie ab 2005 etwas neues: Ballett-Stücke. “Dancing Movies” zeigte es dem Medium Film, was aus der Vorhersage aus Stummfilmtagen geworden ist, dass nämlich der Film das Ende des Theaters bedeute. Und nun? Film-Ästhetik und Film-Sound funktionieren auch ohne Leinwand auf der Bühne.
Hier waren Tänzerinnen und Tänzer nicht mehr nur Revue-Nummern oder Tanzeinlagen sondern Hauptrollen. Da staunte man nicht schlecht und fortan wurde die Frage überflüssig, ob denn so was gut gehen kann. Es geht. Sogar sehr gut. Und das auf einer phänomenal kleinen Show-Bühne vor einem supergroßen aber halbherzig-halbsanierten Saal, der Fanscharen hat. Ein Mehrgenerationentheater, wie man heute gern sagt. Früher war das normal.
Beim Abend “Weltenbummler” ließ er 2007 ein “Balkanfeuer” über die Bühne lodern, die doch nur das Kellertheater unterm Opernhaus war, eine einst bei Akteuren und Besuchern beliebte Stammspielstätte für Musik- und Sprechtheater. Dort unten, wie auf der Probebühne und selbst vor kleinerem Publikum im Bühnenbereich hatte Mirko Mahr einst seine ersten Choreografien gezeigt, getanzt von Kollegen des Leipziger Balletts, schon wenig später nach dem er 1985 von der Leipziger Fachschule für Tanz ans Opernhaus gekommen war. Genauso war Mario Schröder damals junger Choreograf und Tänzer in den Arbeiten seiner Kollegen.
Grenzen zwischen Ballett und zeitgenössischem Tanz zieht Mirko Mahr nicht, definiert lieber die einzelnen Programme, als “Tanzstück” zum Beispiel.
Mirko Mahr arbeitete für viele Inszenierungen der Musikalischen Komödie, gastierte anderswo. “Zar und Zimmermanns” Holzschuhtanz ist eine Exra-Erwähnung wert, denn da klapperte nicht das Ballett mit den Klompen, sondern der MuKo-Chor zeigte beachtliche Aktion. Und mit “Aschenputtel” in der kaum bekannten aber imposanten Komposition von Johann Strauß, ergänzt mit Rossini-Melodien, brachte Mirko Mahr sogar Gesangssolisten des Hauses mit Tänzern zusammen. So was muss man einfach weiter machen … Am liebsten hätte er die Bestuhlung im Zuschauerraum der Musikalischen Komödie schon mal umgebaut, Spielfläche und Orchestergraben verändert. Noch kam es nicht dazu.
An Publikumsinteresse mangelt es nicht, mit Probenbeginn startete auch die Werbung, Tickets wurden geordert und Vorstellungen als ausverkauft gemeldet. Neun Termine gibt es in dieser Spielzeit, weitere in der nächsten Saison.
Spuren der Liebe
“Romeo und Julia” ist ein Stück um Generationen-Konflikte. Und so gibt es am Premieren-Abend noch eine zweite Uraufführung. Lebenserfahrene SpielerInnnen haben unter Leitung von Dr. Heidi Zippel seit September 2013 ein eigenes Stück mit dem Titel “Liebe ist viel mehr” erarbeitet, und die Senioren beziehen sich auf Albert Schweitzers Spruch: “Das einzig Wichtige im Leben sind die Spuren der Liebe, die wir hinterlassen”. Zu sehen ist das Stück in der Premiere am 31. Januar um 19:30 Uhr im Venussaal der Musikalischen Komödie.
Der Ansturm im Vorverkauf war enorm, weitere Vorstellungen: 04.02., 11.00 Uhr, 04.03. 19:30 Uhr. 01.04., 19:30 Uhr, 02.04. 11:00 Uhr, 20.05. 19:30 Uhr, 11.06. 11:00 Uhr, 13.06. 19:30 Uhr, 04.07. 19:30 Uhr.
Dichter über William Shakespeare:
Johann Wolfgang von Goethe – “Er führt uns durch die ganze Welt, aber wir verzärtelte Menschen schreiben bey jeder fremden Heuschrecke, die uns begegnet: Herr, er will uns fressen!”
Friedrich Gundolf: “Bei keinem Dichter ist das allegorische Lesen, das heißt die Suche nach dem Sinn hinter den Erscheinungen unnötiger, verwirrender und verlockender als bei Shakespeare.”
Hugo von Hofmannsthal – “Aber an Shakespeare hat sich das deutsche schauspielerische Dasein unter stets aufs neue problematischen Verhältnissen immer wieder emporgehoben, hier besteht im allseits Abgebrochenen, stets Traditionslosen sogar eine Art Kontinuität.”
Zitiert nach Georg Hensel, “Spielplan”, Paul List Verlag, München, 1992.
Keine Kommentare bisher