Audio-Deskription ist die sperrige Überschrift, unter der sich gute Nachrichten für sehbehinderte Theatergänger verbergen: Ab Dezember wird das Schauspiel Leipzig regelmäßig Vorführungen anbieten, bei denen Sehbehinderte einen Live-Kommentar hören können. Übertragen wird dieser mit der hauseigenen Sendeanlage und Audioguides - kleinen Empfangsgeräten, die manch einer von Museumsrundgängen kennt.
Ein dazugehöriger Ohrstöpsel lässt auf dem rechten oder linken Ohr den Kommentar hören und auf dem jeweils frei bleibenden Ohr den Schauspielern auf der Bühne lauschen. Der Kommentar erläutert den Teil der Bühnenhandlung, welchen nur Sehende wahrnehmen können. “Deshalb erfolgt die Kommentierung live, denn die Improvisationen der Schauspieler sind schließlich Teil der Vorstellung”, erläutert Anke Nicolai von der Firma audioskript aus Berlin.
Mit Emilia Galotti – dem Lessingschen Trauerspiel – findet am 6. Dezember 2013 die erste Vorstellung statt, bei welcher die Zusatzleistung angeboten werden wird. “Sehbehinderten Zuschauern bieten wir zudem einen Vorlauf”, sagt Schauspiel-Intendant Enrico Lübbe und meint, dass vor der regulären Aufführung ein Rundgang über die Bühne angeboten wird. “Das Bühnenbild wird beschrieben, ebenso die Schauspieler und welche Kleider sie tragen. Es gibt auch Stoffproben, so dass man diese berühren und sich eine Vorstellung davon machen kann”, erläutert Matthias Huber, Dramaturg am Schauspiel Leipzig und Organisator der Audio-Deskription.
Die Einführungen beginnen jeweils schon um 18 Uhr. Und es gibt derzeit erst 25 Audioguides. Aus diesen Gründen bittet das Schauspiel die interessierten Gäste um Voranmeldung. “Wir haben zudem bei jeder Vorstellung mit Audio-Deskription bestimmte Plätze für den normalen Kartenverkauf blockiert: Jene am Rand zum Beispiel, so dass die Gäste möglichst ungehindert an ihre Plätze gelangen, sowie Plätze mit guter Akustik”, fügt Intendant Lübbe an.
Da erst 25 Geräte zur Verfügung stehen, bittet er außerdem um Spenden, um mehr anschaffen zu können. “Für 35 Euro können wir einen Kopfhörer anschaffen. Für eine Spende von 400 Euro gibt es einen weiteren Audioguide”, so Lübbe. Das nächste Stück, für das der Live-Kommentar angeboten werden wird, ist Kabale und Liebe, ab Februar kommenden Jahres. Fünf Autorinnen befassen sich mit den Kommentaren. Vier davon können sehen, eine nur schlecht: Cathie Matthies heißt sie und ist nicht nur Autorin sondern auch diplomierte Clownin. “Für einen Sehenden ist es schwer, auszusortieren, was kommentiert werden muss und was nicht”, so Matthies. Sie korrigiert und gibt Rückmeldung an ihre sehenden Kolleginnen. So entstehen die Texte für die Kommentierung. Zudem besuchen die Autorinnen die Proben zu den jeweiligen Stücken.
Möglich macht die hauseigene Sendeanlage auch einen weiteren Service: Live-Übersetzung. “Leipzig zieht immer mehr internationales Publikum an”, sagt Matthias Huber. Und mit einer Einsprechung der Texte auf Englisch und Spanisch soll diesem ein Anreiz gegeben werden, auch das Schauspiel in der Bosestraße zu besuchen. Das Theater arbeitet dafür mit der Universität Leipzig, genauer dem Institut für Angewandte Linguistik und Translatologie, zusammen. Dessen Studenten fertigen die Übersetzungen zunächst für die Stücke Antigone, Lulu und Othello an. Die Simultan-Übersetzungs-Reihe beginnt am 14. Dezember mit Lulu auf Spanisch und geht am 20. Dezember mit Othello auf Englisch weiter. Sobald die Zahl der Audioguides anwächst, kann sich Intendant Lübbe auch vorstellen, dass Fremdsprachen-Studenten und Schulklasse das Angebot wahrnehmen.
Sowohl die übersetzten als auch die kommentierten Vorführungen werden in den Spielplänen künftig ausgewiesen. Für das Schauspiel sind sie wichtig im Sinne der sozialen Inklusion. Das Angebot soll kontinuierlich erweitert werden. Das Schauspiel ist damit das erste Sprechtheater in Deutschland, welches diesen Service regelmäßig anbietet. “Bisher gibt es dies sporadisch am Theater Bielefeld sowie am Musiktheater Gelsenkirchen”, sagt Anke Nicolai von der Firma audioskript. Die Besucherzahlen bei diesen Aufführungen seien jedoch beachtlich gewesen.
Wohl auch deshalb hat das Schauspiel Leipzig die Mühe auf sich genommen. Eine Erschließung neuer Publikums-Sparten täte dem Haus gut. Wie jüngst bekannt geworden, hinterließ Intendant Sebastian Hartmann seinem Nachfolger eine Finanzlücke von 400.000 Euro. Wie hoch allerdings der Bedarf bei den Sehbehinderten ist, das lässt sich schlecht schätzen. “In unserem Verband sind 250 Menschen organisiert”, sagt Christiane Mertens vom Blinden- und Sehbehindertenverband Sachsen in Leipzig. Hinzuzuzählen seien Nicht-Mitglieder sowie Touristen. “In Bielefeld und Gelsenkirchen kamen Gäste aus ganz Deutschland zu den kommentierten Vorstellungen”, ermuntert Anke Nicolai.
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