Das Schauspiel Leipzig spielt Elfriede Jelinek. Bislang musste man weit reisen, um inszenierte Texte der österreichischen Nobelpreisträgerin zu bestaunen. In die Theatermetropolen Wien, Hamburg, München - oder ins sächsische Chemnitz. Dort brachte Enrico Lübbe Jelinkes "Rechnitz (Der Würgeengel)" erstmals in Deutschland auf die Bühne. Seit Donnerstag vergangener Woche ist Rechnitz in der Messestadt zu sehen.
Denn Lübbe ist seit August Intendant des Leipziger Schauspiels. Den Jelink-Erfolg brachte er aus Chemnitz mit, um ihn im Rahmen der “euro-scene” in den hiesigen Spielplan aufzunehmen. Eine gute Entscheidung von ihm und Festivaldirektorin Ann-Elisabeth Wolff.
In eineinhalb Stunden thematisiert das Drama die Ermordung von 180 Zwangsarbeitern am 24. März 1945 auf Schloss Rechnitz. Die Täter begingen nebenbei eine illustre Abendgesellschaft, die die SS organisiert hatte. Das Massaker wurde im Nachkriegsösterreich in einen Mantel des Verschwiegens gehüllt.
Für Skandal-Autorin Jelinek also der perfekte Aufhänger, um 2008 wieder einmal mit der erzkonservativen Gesellschaft Österreichs hart ins Gericht zu gehen. Interessanterweise brauchte es vier Jahre, bis ein Grazer Theater das Werk uraufführte. Ursache war möglicherweise die Scharfzüngigkeit, mit der Jelinek der Banalität des Bösen Ausdruck verleiht.
Ein paar Kostproben:
“Wenn Sie uns fragen, leugnen wir schon, bevor Sie Ihre Frage fertig gestellt haben.”
“Wir haben keinen Beweis, dass wir sie überhaupt geholt haben, dass wir sie gekauft haben, die Sklaven.”
“Selber Schuld, die blöden Toten. Was haben Sie auch keine Stimme zum Befehlen und keine Kraft zum Gehorchen.”
Lübbe inszeniert den Text mit fünf Akteuren. Eine Adlige, der Butler, die Dienstmagd, zwei Aristokraten. Fünf Typen, die das Massaker, das nie vollständig aufgeklärt wurde, begangen haben könnten. Sie feiern. Sie sauen sich und den Bühnenraum mit Sauerkraut und Haxe ein. Sie schnappen sich Jagdgewehre und feuern von den Fenstern aus auf ihre Opfer. Der Genozid wird zum Partyspaß. Das Vertuschen kurzerhand zum Volkssport verklärt.
Doch Jelinkes Täter entblößen sich selbst. In ihren Dialogen. Auf der Bühne. Gegen Ende lassen die zwei Damen und drei Herren im nachgebildeten Schlossaal, in dem die obligatoische Dusche nicht fehlen darf, die Hüllen fallen. Sie verkeilen sich zu einem Menschen-Knäuel, das an die Leichenberge in den befreiten Konzentrationslagern erinnern soll.
Nach der Menschenjagd, eingeläutet von einem volkstümlichen Jagdlied aus dem nostalgischen Kofferradio, breiten die Akteure kurzerhand rote Teppiche über die Fäkalien und Essensreste aus der Bühne aus. “Geputzt ist ja schnell.” Das ist großes Theater. Schauspieler und Team erhielten völlig zu Recht stürmischen Beifall.
Weitere Termine:
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