TV-Regisseur Nuran David Calis inszeniert am Schauspiel Frank Wedekinds "Lulu". Ein erotisches Spektakel, dessen Premiere vergangenen Freitag mit viel Applaus bedacht wurde. Wedekinds Drama war zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein Skandal. Der Schriftsteller schuf mit Lulu eine dämonische Frauengestalt, die gegen die herrschenden patriarchaischen Konventionen rebelliert.
Heute ist die feministische Emanzipation weit vorangeschritten. Und doch werden Frauen wegen ihres Geschlechts in der westlichen Welt sozial benachteiligt. Mitunter sogar sexuell ausgebeutet.
Calis inszeniert einen illustren Abend über sexuelle Gewalt und Erniedrigung, sittliche Verrohung und Pornografie. Während einer Gangbang-Party wird seine Lulu, intensiv verkörpert von Runa Pernoda Schaefer, massenvergewaltigt. Hier, gegen Ende des knapp zweistündigen Abends, ist Lulu das blutverschmierte Opfer. Ein bemitleidenswertes Wesen, das in einer mit Wasser gefüllten Glasbox seine Wunden wäscht.
Zuvor ist sie Täterin. Permanent untermalt mit psychodelischen Klängen lässt Calis seine Lulu in der Betonlobby eines Büroturms die Männer quälen, die sie umgeben. Der Kunstmaler Schwarz begeht Suizid. Geschäftsmann Dr. Goll lässt sich von der Frau, deren Obsessionen er verfällt, an der Krawatte wie ein Hündchen durch die Manege führen.
Der Regisseur zeichnet anfangs das Bild einer dominant-verführenden Sex-Göttin. Eingepfercht in einer Glasbox wartet sie auf die Männer, die sich in ihren Bann ziehen lassen. Der Zuschauer wird fortan Augenzeuge, wie Lulu fortschreitend in sich zerfällt, um schließlich als reines Sexobjekt in der Prostitution zu enden. Die Männer kommen in Fahrstühlen von oben herbeigefahren, Lulu landet am Ende ganz unten. Eine schöne Metapher in Irinia Schicketanz’ Bühnenbild, um das soziale Spannungsverhältnis zwischen Geschäftsleuten und ihren Huren zu charakterisieren.
Diese Lesart des Stoffs erweckt unweigerlich Assoziationen zum Frankfurter Bankenviertel, zu dessen Füßen sich einer der größten Rotlichtbezirke Europas ausbreitet. Eine zeitgenössische Lesart des modernen Klassikers, dessen imposante Inszenierung zu den Highlights dieser Spielzeit zählen wird.
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