Da war Wagner nun schon ein Bayreuther, ein Dresdner und - wenn man dem Vorsitzenden des Wagner-Verbandes folgt - eigentlich ein Leipziger. Ein neues Museum in Pirna-Graupa im aufwendig sanierten Lohengrinhaus gibt es auch noch und die mitteldeutsche Wirtschaftsinitiative versuchte in ihrem Info-Magazin "median" zu schlichten: "Richard ist Mitteldeutscher".

Verrückte Welt, verrückte Kunst: “Wahn! Wahn! Malvinas Wahn!”, stand an der Schultafel in der Nikolaischule. Und es wurde eine erhellende Unterrichtsstunde über Verrücktheiten von Künstlern und Lebenskünstlern. Nicht um den wahnbesingenden Hans Sachs ging es, in dessen Lebenszeit die Nikolaischul-Gründung fällt, sondern um die Wagner-Sängerin Malvina Schnorr von Carolsfeld nebst ihrem Gatten Ludwig, nach dessen Ableben sie mit ihm in spiritistische Verbindung treten konnte … Sie vermochte bezaubernde Lieder zu komponieren, zu malen und zu zeichnen, worüber sie mit niemandem reden konnte. Wagner-Künstler sehen die Welt in ihren Perspektiven, nicht in seinen.

In der Reihe “Kunst verrückt” hatte das Museum für Psychiatrie zu ungewöhnlichem Musikunterricht geladen. Museumsdirektor Thomas R. Müller vermochte scharfsinnig-ironisch gebotenen Ernst unterhaltsam darzubieten, umrahmt mit Franz Promnitz von Promnitzau als Pianist und Erklärer am Flügel und der Sopranistin Gabriele Lamotte. Es gab heitere Momente im Publikum und Applaus wie in der Oper, obwohl nur drei Dutzend Besucher von diesem Abend weitererzählen können. Wagners Welt kann auch klein sein. Dieser Veranstaltung wünscht man Wiederholungen, weitere Forschungen.

Junger Richard

Nun steht auf Max Klingers Sockel das Richard-Männlein vor großem Schatten, bildhaft von Norbert Balkenhol inszeniert. Stadtrundfahrt-Erklärer haben Zeitnot zwischen dem Stasi-Museum in der Runden Ecke, dem Homöopath-Hahnemann-Denkmal und der Neuberin-Truppe im Haus zum Großen Blumenberg. Irgendwie passt das alles zu Richard, erst recht wenn auf dem Richard-Wagner-Platz gerade Lebensmittelmarkt ist. (Welche großen Geister haben solche Wirkungsräume? Karl Valentin auf dem Münchner Viktualienmarkt, Giordano Bruno auf dem Campo de’ Fiori…)

Zwischendrin im Leipziger Wagner-Jahr, in dem irgendwie alle Institutionen und Vereine mitwagnern wollen, bis hin zum Fontane-Bund. Für Apotheker Theodor könnte ja auch arzneimittelinteressant sein, wenn es um Getränke mit niederschmetternden Wirkungen geht.
Jugendwerke, keine Sünden

Ganz ernsthaft hatten sich Bayreuth und Leipzig drei Jugendwerke gegönnt, zuletzt kam in Leipzig “Das Liebesverbot” heraus. Vom Begriff der “Jugendsünden” im Werk Wagners wollen wir absehen, dazu hatte er als junger Mann schon zu viel Idee, Konzept, Struktur und Bild auf die Reihe gebracht, wenn man ihn auch auf die Aufführungen warten ließ…

Um weiter mit dem jungen Wagner zu wagnern, stünde nun eine Kooperation der Leipziger Theater mit der Studiobühne Bayreuth an, die die unvertonte Tragödie “Leubald” aufleben ließ. In allem Ernst, wenn auch gekürzt. Und sogar auf musikalischen Wellen aus anderen Werken. Und das Publikum lachte herzlich mit!

Ob die Oper Leipzig und die Bayreuther Festspiele weiterhin kooperieren, ist eine andere Frage. Man hörte davon noch nichts. In Zeiten knapper Kassen und schneller Verkehrsmittel sollten sich dort Wege finden lassen.

Familien-Dämmerung

“Bayreuth ist Bayreuth und soll Bayreuth bleiben. Leipzig muss Leipzig werden!”, hatte Universitätsmusikdirektor David Timm wagnerenthusiastisch verkündet, und mit der “Götterdämmerung”-Produktion seines Wagner-Festtage-e. V. im Universitäts-Audimax ganze Arbeit geleistet, die zwar nur zwei Mal zu erleben war, aber für eine DVD-Produktion aufgezeichnet wurde. Wagners Familie macht den Schlussteil vom “Ring des Nibelungen” in ihrer guten Stube unter sich aus. Als Lesart der Regie ist das möglich und ging ohne biografischen Missbrauch gut.

Kurz, kürzer und heiter …

Zuerst kam der Wagner-RING für Kinder in der Bayreuther Spielfassung in der Musikalischen Komödie heraus , dann “Rheingold” im Opernhaus, dem noch dieses Jahr “Die Walküre” folgen soll (07.12.2013), dazwischen nun noch eine Uraufführung zum “Ding mit dem Ring” Musikalische Komödie, 26.10.2013.) Das ist viel gewagt im Repertoire eines Stadttheaters. Ticket-Ansturm und Publikumsresonanz hatte der zwei Stunden-RING bei Kindern wie Erwachsenen hervorrufen können.

Ganz anders als Wagners Novitäten in der Geschichte und Durchführung der Musik ist Musical-Temperament zum Text von Ulrich Michael Heissig nun in Thomas Zaufkes Komposition, instrumentiert von Bernd Wefelmeyer zu vermuten. “Wo es bei Wagner ernst und episch ist, geht es bei uns lustig und temporeich zu”, offerierte der Texter. Sogar ein Happy End wurde versprochen!
An Pleiße und Pegnitz …

In Bayreuth gab es eine andere Inszenierung zum “Rienzi” mit dem Leipziger Gewandhausorchester, “Die Feen” sah man in Leipzig opulent ausgestattet, in Bayreuth nur konzertant. “Das Liebesverbot” komplett im Leipziger Opernhaus und in der Bayreuther Oberfrankenhalle. Nicht das Festspielhaus mit seinen Machern kooperierte mit Leipzig, sondern die BF Medien GmbH, wenn es auch eine Tochterfirma der Festspiele ist, so doch mit anderen Finanzierungsquellen, wie auf dem Festspielhügel betont wurde.

Richard war noch auf der Reise von seinen Theatererlebnissen, klassischen Vorbildern, Mythen und musikalischen Eindrücken, unterwegs und aufsteigend in seinen Kosmos. Und schon mit eigener Sprache als Dichter und Tonsetzer!

Man wage es einmal, sich “Das Liebesverbot” in Bad Lauchstädter-Kurpark-Theater-Atmosphäre vorzustellen, mit dort üblichem Orchester! Das wären des jungen Richards Theaterbildermuster, weniger die Weiten des Leipziger Opernhauses, die bis 1960 nun wieder den Bayreuther Dimensionen nachgebaut worden sind.

Verbot fürs “Liebesverbot”?

Misstrauten die Macher Wagners Wirkungen? Regisseur Aron Stiehl ließ sich von Bühnenbildner Jürgen Kirner eine Art provisorische Bauproben-Dekoration auf einen Tanzparkett-Boden stellen, mit Dschungelcamp-Party im Tropenwald wie aus dem Bilderbuch und großen Tieraugen im Gehölz versteckt, die Akteure sind von Sven Bindseil Motto-Party-gerecht eingekleidet. Hinter der aufklappbaren Wand, wie einer umgeblätterten Seite, werden heutige Stapelstühle in eine Art Konferenzsaal für große Beschimpfungen und Verhöre getragen, und quasi einen Raum weiter steht die Kirche in strahlendem Weiß mit nur einem noch helleren Licht-Kreuz an der Wand. Da heraus klingen aber musikalische Symbiosen, die dem jungen Richard alle Ehre machen.

Was zu Wagner und Offenbach im Buchtitel “Höllengalopp und Götterdämmerung” ernsthaft untersucht, beschrieben, verglichen und gedeutet wurde, beweist sich auf der Bühne. Was da als leicht und doppelbödig-heiter anklingt respektive inszeniert ist, hat aber noch nicht den langen Atem der Operette.

In der Registratur übliche Schubkästen prägen das Bild der Wände, natürlich gekennzeichnet und durchnummeriert. Allerdings optisch und ideell verwandt jenen Wänden im aktuellen “Ring” der Oper Halle, in deren Fächern als “Todeswand” die Überbleibsel der Figuren aufbewahrt werden.

Ein “Liebesverbot” für die eigene Wagner-Sammlung ist das allemal, für die, die gern das Opernrepertoire abarbeiten und abhaken wollen. Was aber hat das “Liebesverbot” scheinbar verboten, dass es so selten, fast gar nicht, gespielt wird?

Fragt sich, ob die Bayreuther Kinderoper, die außer “Lohengrin” das Festspielhügel-Repertoire schon bewältigt hat, auch in die Jugendwerke eindringen will.

Spätlese: Wagners Leben elektroakustisch reloadedAngekündigt, aber wieder verschoben war der Nachschlag zu “Wagner reloaded” in der Arena Leipzig. Nun soll es die weitere Aufführung erst 2014 geben, nachdem das Dekorations- und Kostümlager Einbruch und Diebstahl erfahren musste.

Im MDR-Musiksommer, eigentlich bekannt für Konzerte und Übertragungen von meist kleineren, weniger bekannten oder neu entdeckten Spielstätten aus dem Sendegebiet, huldigte man Wagner zur MDR-Musiksommer-Eröffnung mit einer wahrlichen Apokalypse aus Werk und Leben, namentlich verkörpert durch die Rock-Cellos der finnischen Band “Apokalyptika” neben Orchester und Chor des MDR, die elektroakustischen Verstärker nicht zu vergessen.

Getragen wurde die Show zwar von vielen Darstellern, mit tänzerischer Akrobatik als Solisten waren Gregor Seyfferth und der Leipziger Oliver Preiss die Hauptattraktion an Kunst, Können und Ausstrahlung. Umspült wurden sie von einer Klangwolke und Fluten aus Material, Umbauten, kostümierten Menschen und Effekten.

Wenn schon Richard Wagners Musik Rausch-Eigenschaften zugeschrieben werden, und empfohlen wird, beim Autofahren nicht Wagner-Musik zu hören, so wurde hier noch die Wahrnehmungskraft getestet. Irgendwelche Mediziner haben bestimmt auch schon die Hirnströme gemessen, die nach Wagner-Noten beeinflusst worden sind.

Wagner und kein Ende. Das Grab von Richards anzunehmendem Vater, Friedrich Wagner, wurde auf dem Alten Johannisfriedhof markiert. Und eine Leipziger Musikwissenschaftlerin stellte die These auf, Richard wäre wohl doch nicht im unsicheren Jahr 1813 am Brühl zur Welt gekommen, sondern im Vorort Stötteritz.

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