Es spricht sich rum, dass er ein neues Stück spielt, irgendwo hat einer ein Plakat gesehen, dann sagt man es dem anderen weiter. So funktioniert die Werbung für Wolfgang Krause Zwieback, bevor der Monatsplan der Schaubühne Lindenfels erscheint. Als "sinnlicher Surrealist" bezeichnet sich der Künstler selbst, um den Philologen oder gar den Satire-Kritikern die Einordnung zu erleichtern. "Woher ist Wohin" ist ein zwiebäckiger Titel, wie man ihn bei ihm gewöhnt ist, Untertitel: "Der Lehrer, der Türmer, die Tänzerin".
Der Weg auf den Turm als Rückweg
Erschrickt noch jemand, wenn ein Autor im Post-Plagiator-Guttenberg-Zeitalter vermerkt, von wem er sich inspirieren ließ? Besonders, wenn man den Philosophen Heidegger nicht gelesen oder studiert hat? Kann man sicher sein, dass es überhaupt um Heidegger geht?
Einerlei. Bei Krause-Zwieback ist die Hauptrolle klar. Und das Publikum sitzt altmodisch in Stuhlreihen, das Saallicht geht theatralisch aus und aus diffusem Urzustand dämmert das Drama heran… Eine Turmkulisse, oben guckt ein Kopf. Der Türmer spricht, dann fährt der Ausguck herab. Denn sein Freund, der Lehrer, kommt über den Feldweg zu Besuch, und schon versinkt man in Gedanken, Sichtweisen, Betrachtungen, Erkenntnissen. Man muss eben nur “den Weg zum Turm als Rückweg betrachten. Unten angekommen geh ich, frisch getürmt.” Von der Schule will auch der Lehrer nicht gleich nach Hause, denn “beim Spielen merkt man nicht, dass man etwas lernt.”
Bei Krause-Zwieback reden die beiden Männer in Betrachtung des Feldwegs und des Turms frei von der Leber und hintereinanderweg, nicht abgesetzt in Person, Figur, Charakter, Gestaltung, Krause Zwieback wendet sich mal hier hin, mal dort hin. Im Frackanzug-Overall, von weitem besehen wirkt der Stoff wie eine Schwimmhaut. Einen ärmellosen Frack trägt die Violinenvirtuosin Kerstin Friese, die sich mit ihren Geigentönen in die Ohren, Nerven und Hirne bohrt. Anders die Tänzerin Steffi Sembner, die in unterschiedlichen Graden der Langsamkeit über den Feldweg schwebt, imposant körperlich-zierlich, aber überaus quirlig, und – wie zu hören – Traum als Schwiegertochter. Spieler und Tänzer lenken bild- oder sprachgewaltig gegenseitig Aufmerksamkeit ab.
Moral-Moritatensänger Krause Zwieback
Unser Erklärer im Frack-Overall, als neue Folge einer Serie einzigartiger Kostüme, Krause-Zwieback ist der Moritatensänger, Kunstbetrachter, Bedeutungsausleger und Moralist des späten 20. Jahrhunderts geblieben, mit seinem Gleichnis des Bergsteigers vom Festmachen und Loslassen. Bei dem im “Hinauf das Hinab entsteht”.
Oder die Story vom O-Saft: “Frisch gepresst heißt nicht, von frischen Orangen.” Denn “Vermutungen bedürfen keiner Versicherungen”. Und schon sind wir bei der Orange Uta! Dort kennt man “Probleme, die sich ungelöst am wohlsten fühlen”.
“Unser Kopf ein Tanzplatz”, fasst es Krause Zwieback in der Gebrauchsanweisung zusammen. Nach Kulissen-, Requisiten-, Lichtmal-, Raum- und Projektionsspielen bleibt es diesmal beim Hoch und Runter des Turmes und ansonsten auf dem Schwarz-Weißen Tanzteppich, von Bernd E. Gengelbach eingerichtet und aufwändig beleuchtet. Mikrofon und Beschallung geben der Stimme Kraft und nehmen dem Sprecher Ausdrucksmöglichkeiten. Ein schwacher Trost – immerhin Gesundheits- und Arbeitsschutz dienlich.
“Woher ist wohin” ist der zweite Teil des dreijährigen Projektzyklus “TUNNEL-TURM-WELTRAUM”. Wobei beim Tunnel voriges Jahr eben nicht der Eisenbahntunnel für S- und Regionalbahnen gemeint war, in dem es im Dezember freie Fahrt geben soll. Ob da auch Schauspieler an Bord sind, wird sich zeigen. Vom Turm des Zuschauers zum Turm des Türmers geguckt, sei der Gedanke erlaubt, wie dieses Theaterstück wirken würde, wäre die Bühne nicht eine übliche und gewohnte Spielstätte, sondern die Turmkulisse eine irgendwie andere Fassade in anderem Klima, ausgedient und vergessen, neu belebt und wiederentdeckt. Fliegt Krause-Zwieback vielleicht unterm Planetariums-Himmel in den Kosmos?
Zwieback wagnerte anderswo
Im Richard-Wagner-Jahr 2013 hat Krause Zwieback auch seinen Wagner gemacht: Woanders, in Zürich, im Theater Rigiblick. Zusammen mit Corinna Harfouch “Sehnsucht nach Erfüllung – Erschöpfung Erlösung”. Als ein Sinn Spiel tituliert, mit Bar, Papagei und Barkeeper. “Eine Frau auf der Suche nach ihrer Geschichte. Das Leben ist Hoffnung. Das Ende ist Karneval.” Also in Zürich, wo Familie Wagner auf Kosten, zu Kurzweil und womöglich auch Unbehagen auf dem Anwesen von Mathilde und Otto Wesendonck logierte. Deren hölzernes Ehebett stand bis vor kurzem in Leipzigs Museum der bildenden Künste in der Ausstellung “Weltenschöpfer”. Leider ohne ein Stück Krause Zwiebacks.
Krause Zwieback bedarf keiner Kategorisierung, er ist sein eigenes Genre. Er startete einst als Student der Hochschule für Grafik und Buchkunst mit seinem “kabasurdem Abrett” und in einer öffentlich-städtischen Szene mit Publikum, das nicht immer zwischen Sinn, Unsinn und Blödsinn unterscheiden wollte, sondern dabei sein. Jenseits der FDJ-Junge-Welt-Poetensprechstunde. Heute gibt es Improvisationstheater nach trainierten Spielregeln und Poetry-Slam scheinbar immer, überall für und mit jedem.
Weitere Vorstellungen: 20./21.09., 20.00 Uhr.
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