Ab 9. September Dokumentar- und Spielfilme in der Kinobar Prager Frühling, vom 14. bis 20. September zeitgenössisches Theater und Tanz in UT Connewitz, in der naTo und im LOFFT; die diesjährige Ausgabe des Festivals "Off Europa" steht ganz im Zeichen der Slowakei. Eine der schillerndsten Gäste wird die Schauspielerin und Regisseurin Sláva Daubnerová aus Bratislava sein. Festivalleiter Knut Geißler hat sich für die L-IZ mit der Künstlerin unterhalten.
Sie sprechen sehr gut Deutsch. Was verbindet Sie mit Deutschland, mit seiner Kultur?
Meine Großmutter sprach Deutsch, außerdem auch Französisch und Latein; sie war eine der wenigen Mädchen am Gymnasium in Prievidza. Prievidza ist eine kleine Stadt in der Mitte der Slowakei. Eigentlich kommt meine Großmutter aus Handlová, einer noch kleineren Stadt oberhalb in den Bergen, und ihr Vater war Bergmann. Bis heute leben dort viele Karpatendeutsche. Und auch meine Familie hat sicher irgendwelche deutsche Wurzeln. Also, meine Großmutter hat mir Deutsch beigebracht. Dann habe ich auf dem Gymnasium eine deutsche Klasse besucht und die mit einem Sprachdiplom des Bundeskulturministeriums beendet. Toll war, dass wir deutsche Lektoren hatten und uns sehr viel mit Literatur beschäftigt haben, mit deutschem Drama und auch mit Filmen.
Kurz nach Öffnung der Grenze war eine Schülerin aus Westdeutschland über einem Austausch in unserer Familie. Das Mädchen war ziemlich am Ende, sie hat nichts gegessen, und hat sich auch die ganze Woche lang nicht gewaschen weil sie wahrscheinlich dachte das Wasser wäre irgendwie anders. Ihre größte Überraschung war, dass wir eine Waschmaschine hatten. Nach 1989 bekamen wir Satellitenfernsehen, plötzlich war da nicht nur mehr ein Sender, sondern ein Meer von ausländischen Kanälen. Ich habe sehr viel MTV, RTL, Pro7 gesehen und dadurch viel Deutsch gehört. Dann gab es eine längere Pause. Zur deutschen Sprache bin ich erst wieder zurückgekehrt als ich “Hamletmaschine” gemacht habe. Ich denke die deutsche Theatertradition, mit Brecht und dem politischen Theater, aber auch das heutige Doku-Theater, ist sehr speziell, aber auch sehr attraktiv für andere Länder. Dieser Einfluss ist eher in Tschechien sichtbar als in der Slowakei, aber auch hier gibt es ein paar Regisseure, die das deutsches Theater beeinflusst hat. Das slowakische Theater ist ansonsten immer noch mehr am Naturalismus und an der Methodik von Stanislavski orientiert.
Ein Solo nach Heiner Müllers “Hamletmaschine”… das wäre in Deutschland in jedem Fall eine große Herausforderung, nicht nur für den jeweiligen Darsteller, die Darstellerin, auch für das Publikum. Wie muss man sich das vorstellen… da entert eine junge Schauspielerin die Bühne in einer slowakischen Kleinstadt mit einem sehr deutschen, sehr wuchtigen und dabei zweifelnden Text, verfasst von einem hoch politischen, mittelalten, ostdeutschen Dichter?
Ich habe Kulturwissenschaft studiert und Theater am Anfang immer nebenbei gemacht. “Hamletmaschine” war voll von Fragen die mich quälten, insofern war das für mich sehr persönlich. Mein damaliger Freund, ein Punk, hatte das Buch, eine Sammlung mit Texten von Heiner Müller, in einer Buchhandlung in ?ilina gestohlen. Er wusste nichts über den Autor, aber er war überzeugt dass ich es mögen würde weil es “ziemlich düster” wäre. Ich mochte es tatsächlich sofort, insbesondere “Hamletmaschine”, weil es ohne Rollenzuschreibung war, weil es wie Poesie klang – und es war sehr musikalisch. Und ich fand eine Radioversion davon von den “Einstürzenden Neubauten”; ich war immer sehr beeinflusst von “industrial music”, ich musste es einfach machen. In dem Text ist so viel drin, dass er mich bis heute inspiriert. Ob ich ein Stück über männliche Identität im 21. Jahrhundert mache oder ein Solo über den slowakischen Nationalaufstand von 1944 schreibe, für beides ist “Hamletmaschine” sehr interessant. Die Reaktionen von den Theaterleuten waren dann eher kühl. Bei bildenden Künstlern war die Annahme besser. Ähnlich war es auch mit “Some Disordered Interior Geometries” nach Gedichten von Inge und Heiner Müller. Ich denke, das Problem war das völlig fremde Material – und mein freier Umgang damit.
Nach “Hamletmaschine” sind Sie bei der solistischen Form geblieben, zumindest bei den sehr erfolgreichen Abenden M.H.L. und “Untitled”. Aber während bei “Hamletmaschine” die Rolle des Künstlers in der Gesellschaft, also eine gewisse Abstraktion im Mittelpunkt stand, sind Ihre folgenden Arbeiten visuell opulenter und körperlicher, auch immer weiblicher geworden. Sind Ihnen Frauenpersönlichkeiten wie die Schauspielerin Magda Husáková-Lokvencová aus M.H.L. oder die Fotokünstlerin Francesca Woodman in “Untitled” besonders nah, oder erzählen Sie über die Biographien und Schicksale auch viel über sich selbst?
Ab M.H.L., und danach für “Iluminarium” oder “Some Disordered Interior Geometries” hat sich die Ästhetik verändert. Die frühen Arbeiten wie “Hamletmaschine”, “Polylogue” oder “Cells” waren noch sehr minimalistisch. Bei M.H.L. habe ich mich etwas mehr entspannt, habe nicht so viel an die Form gedacht. Im Zentrum stand mehr das Thema – und eine reale Frau. Ich arbeite immer intuitiv und ich hatte größere Lust etwas neues auszuprobieren. Ich denke, bei M.H.L. habe ich einfach die Angst weggeworfen.
Die Frauenpersönlichkeiten zu denen ich arbeite sind alle Künstlerinnen, und das Thema Künstler als soziologisches Phänomen interessierte mich von Anfang an. Vielleicht weil ich selbst nicht aus einer künstlerische Familie stamme. Man denkt heutzutage sehr oft “das gab es alles schon”, oder “das hat der und der schon in den Siebzigern gemacht”. Ich finde es besser, die Quellen die mich inspirieren offen zu zitieren. Und natürlich möchte ich durch dieses Material über mich selbst sprechen, es geht also um eine Transformation, eine Neudeutung, eine Neuentdeckung des Materials.
Ihr Theater ist ein Theater das auf Recherche, Materialsammlung(en), man kann sagen auf Forschung basiert. Sie sind nicht nur Darstellerin, sondern auch Autorin. Und schließlich auch Agentin, Verkäuferin Ihrer Arbeiten. Wie geht das in einem eher kleinen Land wie der Slowakei?
Manchmal fühle ich mich schon müde. Der Markt ist sehr klein und es gibt nicht viele Möglichkeiten für Auftritte. Wir haben nur sehr wenige Festivals und die Veranstalter und die Kulturorte haben von Jahr zu Jahr weniger Geld. Natürlich ist es ein allgemeines Problem die Leute heute überhaupt noch ins Theater zu kriegen.
Die brandneue Produktion “Untitled” wurde innerhalb kurzer Zeit an vielen Orten gezeigt. In Fabrikhallen, auf kleinen Festivals, aber auch im Nationaltheater in Bratislava. Freie Künstler haben es üblicherweise sehr schwer in die “heiligen Hallen” des “richtigen Theaters” vorzudringen. Sind Sie vollständig akzeptiert? Oder schmückt man sich mit der experimentierfreudigen Individualistin?
Vor wenigen Tagen wurden wir mit “Untitled” in den Kategorien “Beste Inszenierung”, “Beste Regie” und “Beste weibliche Darstellerin” für den großen slowakischen Theaterpreis “Doksy 2013” nominiert. Es geht voran. Mit kleinen Schritten.
Sie werden sicher Angebote bekommen, als Darstellerin ohnehin, aber auch als Autorin oder Regisseurin. Wird Ihr eigenes Theater, wird P.A.T. weiter bestehen?
Die Angebote gibt es, und darüber freue ich mich natürlich, weil das auch heißt, sich anderen Themen widmen zu können, auch mit anderen Möglichkeiten. P.A.T. ist de facto eine NGO, also eine private Initiative, auf eigene Rechnung… ich hatte nie die Ambition daraus etwas größeres zu machen. P.A.T. gibt mir die Möglichkeit wirklich “frei” zu arbeiten wenn ich eine Idee habe und fühle, dass ich etwas zu sagen habe. Und das passiert im Moment immer noch.
“Off Europa: Perform Slovakia” vom 14. bis 21. September in Leipzig und Dresden
www.bfot.de
www.facebook.com/offeuropa
www.vimeo.com/offeuropa/performslovakia
Sláva Daubnerová zeigt “Untitled” am 15. September 20 Uhr in der naTo und am 17. September im Dresdner Societaetstheater.
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