Wagner-Jahr überall. Egoist schimpft ihn mancher, Scheusal wird kolportiert, Reformator der Oper steht im alten Lexikon, Naturgewalt im Lieben und Leiden nennt ihn Dietrich Mack, Autor des Buches "Wagners Frauen" (Insel-Bücherei Nr. 1373). Seine Anziehungskraft ist unbestreitbar: massenhaft Mäzene, Kenner, Süchtige und Neugierige zieht er an. Politiker, Kaufleute, Musiker, Sänger, Planer, Bauleute verdienen Löhne, Gehälter und Gagen mit seinen Produkten und ihrer laufenden Neu-Produktion. Gegner, Parodisten und Journalisten auch.
“Dialektik unserer Existenz”
Tourismus- und Kunstmarketing feiern Wagner, ganzjährig, wie üblich. Das 200-jährige Geburtstagskind vermag noch immer zu überraschen, zu polarisieren, Berichte und Meinungen aufzuwirbeln. “Warum soll der, der die Welt beschreibt, anders sein als das, was er beschreibt?”, sagte der Theaterregisseur Dieter Dorn im Zeitungs-Interview. “Das ist die Dialektik unserer Existenz.” Dieter Dorn ist ein aktueller Wagner-Werktätiger in Genf, sein Bayreuther “Holländer” liegt eine Weile zurück.
Bevor sonst die Bayreuther Festspiele begannen, machte jemand mit Familien-Knatsch Werbung. Dieses Jahr gaben Richard-Wagner-Premieren den Takt an, scheinbar in allen nur möglichen größeren Opernhäusern Europas. Drei dort sonst nicht zu sehenden Jugendwerke “Die Feen”, “Das Liebeverbot”, “Rienzi” auch in Bayreuth – mit Hilfe der Oper Leipzig sowie des Gewandhausorchesters. Allerdings nicht im Festspielhaus sondern in der üblicherweise sportlichen Wettkämpfen oder Kongressen vorbehaltenen Oberfrankenhalle. Und für Nachrichten sorgten die Bayreuther Baustellen an Wagner-Orten. Da gibt es nun auch einen Wagner-Pfad mit Erklärungs-Kästen an zehn Stationen zwischen dem Wagner-Wohnhaus “Villa Wahnfried” und dem Festspielhaus,. “Walk of Wagner” steht auf dem Flyer.
Keine Grabesruhe
Um den einstigen Wohnsitz “Villa Wahnfried” rattern LKW, vor dem Haus geht es gut sechs Meter in die Grube, in der ein Museums-Neubau errichtet werden soll. Und trotzdem gibt’s im leergeräumten Haus eine Ausstellung über die “Götterdämmerung” König Ludwigs II. mit einem witzigen und filmtrickreichen Video-Dialog des sächselnden Richard und dem Kini, die beide aus Nippes-Kästen plötzlich heraustreten, über sich und die Nachwelt räsonieren: “Mich haben die Menschen aber besser verstanden als Dich!”, sagt der König am Ende.
Von Wagners Garten samt Springbrunnen ist nichts mehr zu ahnen, von der Baustelle separat eingezäunt sind die Gräber, zu betreten durch den Hofgarten. Daneben parkt ein Privat-PKW hinterm Bauzaun.
Mörtel bröckelt am Theater
Am Festspielhaus sind etliche Fassadenteile auf Stoff projiziert, samt den Laternen, die sonst aus der Wand ragen. Nach dem Mörtel aus den Fugen bröselte, mussten Gerüste aufgestellt werden, verkleidet mit bedruckten Planen. Eine Verpackung ohne Beteiligung des Verhüllungskünstlers Christo.
Fast stiehlt das den kleinen bunten Plastik-Wagners die Schau, die Ottmar Hörl in Serie gefertigt und aufgestellt hat. Vor Jahren waren schon seine bzw. Richards große Hunde massenhaft in Bayreuth präsent. Wie er auch Luthers in Wittenberg aufstellte, Karl Marxe in Trier. Anfangs verlacht, entwickeln die Gesellen später ein Eigenleben. Und sind käuflich. Kunst ist Geschäft. Von weitem sieht es aus, als würden die Arme und Hände der gut einen Meter großen Figur dirigieren, von nahem betrachtet, ist es eine Abwehrhaltung. In einem Interview angesprochen, ob die Geste nicht “Mama, nimm mich hoch” bedeuten könnte, quittierte der Bildhauer den Gedanken mit einem Lachen.
Nach wie vor gibt es Festspiel-Karten nur auf jahrelange Voranmeldung. Seit bald 25 Jahren liegt Bayreuth nicht mehr im Zonenrandgebiet sondern mitten in Deutschland. Im Kalten Krieg gab es schon DDR-Exporte, Theo Adam sang den Wotan und ist bis heute mit 13 Festspielzeiten als Rekordhalter, Harry Kupfer inszenierte “Holländer” und “Ring”. Da schwappen nun auch Symbole mit rüber. Frank Castorf baut Berliner Kiez auf, und selbst alte Radioreporter haben Schwierigkeiten “Plaste und Elaste aus Schkopau” auszusprechen oder erzählen vom Ostberliner Funkturm…
Haltbarkeit und Verfallsdatum
Ja, und wer dieses Jahr Frank Castorfs “Ring des Nibelungen”-Premiere nicht sehen konnte, gar sein persönliches minutenlanges Denkmalstehen beim Schlussapplaus, von dem dann alle sprachen, bekam vielleicht eine Karte für “Lohengrin”.
Merkwürdig, wie die Zeit vergeht. Es scheint gar nicht so lange her zu sein, dass Hans Neuenfels am Premierentag 2011 über Deutschland und das Kaff Bayreuth reflektierte, Wagner und König Ludwig als “Totaltrottel” bezeichnete, bevor seine Ratten ihren Lauf nahmen. Und nun ist der “Lohengrin” schon die dienstälteste Produktion im Festspielhaus. Dereinst wird man sich fragen, ob Haltbarkeiten und Verfallsdaten nicht zu kurzfristig gedacht waren, ob denn die Inszenierungen nicht ein paar Jahre länger gespielt werden konnten. Wo es doch hier, so die Worte der Richard-Urenkelin Katharina Wagner darauf ankommt, dass “uns ein Regisseur eine Idee zusätzlich zum jeweiligen Werk zeigt”. Für die Teams ist das ein Wettkampf, besonders wenn sie nicht wissen, oder nicht wissen wollen, was hier schon gezeigt wurde.
Labor-Ratten-Parabel
Hans Neuenfels’ “Lohengrin” spielt bei den Ratten im strahlend hellen Labor des Ausstatters Reinhard von der Thannen, die Züchter sind unsichtbar, die letzten Erzieher geben Kommandos, dann beginnt die Auswilderung, das Ablegen der Rattenfelle, bis zur Bandenbildung auf Kommando. Ein paar filmische “Wahrheiten”, nicht unbedingt erforderlich, geben Orientierung. Schilder sind für die da, die sich auskennen. Wir wissen nicht, wo wir uns befinden. Nur ein Graben, der des Orchesters, trennt uns vom Geschehen.
Mit einer Attitüde von Mühelosigkeit deklamiert Klaus Florian Vogt seine Partie ins große Haus, in traumhaft weichen Momenten scheinen die Töne mit ihm zu tanzen, Annette Dasch als Elsa ist seinem jugendlichen Ungestüm ebenbürtig. Keine Helden und Heroinen, nirgends.
Keine Applausordnung nach den Akten, langer Beifall am Ende, jüngeres Ungestüm trampelt auf den hellhörigen doppelten Fußboden unter den Sitzreihen. Musikalisches Empfinden wandelt sich. Die Live-Akustik des Bayreuther Festspielhauses ist ein Instrument, die Ohren zu justieren. Keine Kino-Übertragung mit bewegten Kamerabildern kann das so bringen. Sehen und Hören aus der Ferne im Augenblick.
Live-Premiere im Kino
Eine Festspielzeit-Eröffnung live ins Kino zu übertragen, war in dieser Saison Weltneuheit. Dass es so etwas jetzt geben wird, hatte man schon vor über 100 Jahren prognostiziert. “Tannhäuser” ging live über Dutzende Kinoleinwände. Das ist noch mal was anderes, als in Bayreuth auf dem Festplatz ein Public Viewing zu schalten, das es jetzt schon gar nicht mehr gibt.
Bis 2015 laufen die Verträge der Halbschwestern Katharina Wagner und Eva Wagner-Pasquier. Sie planen schon darüber hinaus. Noch immer sucht das Unternehmen einen dritten Geschäftsführer. Möge man die beiden Damen weitermachen lassen, wer sonst soll sich erst hineinleben in die Beziehungen der vier Gesellschafter und der Stiftung, deren Urkunde aus dem Jahr 1973 die Bayreuther Festspiele selbst ins Internet stellten. Für alle die mal wieder fragen, warum denn da nur Wagner aufgeführt wird.
Manchmal sind es kleine, kostenlose Broschüren, die in Bayreuth herumliegen, die Musikunterricht offenbaren. Den Begriff vom “Grünen Hügel” gab es nämlich zu Richard Wagners Zeiten noch nicht. Auch Wolfgang Wagner konnte sich nicht erinnern, ab wann davon die Rede war, weiß das Festspiel-Magazin der Bayreuther Thalia-Buchhandlung. Wolfgang Wagner allerdings, schreibt man, sprach lieber vom “Festspielhügel”. Richard sprach vom “Grünen Hügel” wenn er de Heimat von Mathilde und Otto Wesendonck, eine opulente Villa in Zürich, meinte.
Europäische Kultur-Straße Richard Wagner?
2013 nahmen sich viele Orte ihren Wagner. Zürich, Venedig, Pirna-Graupa, München, Magdeburg, Leipzig, Eisenach, Dresden, Bayreuth, Bad Lauchstädt… was bleibt von dieser europäischen Verbindung? Eine gemeinsame Kulturstraße? Nix davon gehört.
Was bleibt von der Kooperation der Bayreuther Festspiele bzw. ihrer Tochter BF Medien GmbH nach den gemeinsam herausgebrachten Jugendwerken? “Rienzi” hatte in Bayreuth eine neue Inszenierung. “Das Liebesverbot” hat im September erst seine Leipzig-Premiere. “Die Feen” gab es szenisch nur in Leipzig, doch wie lange noch? Nach musikalischer Umsetzung durch Sänger und Orchester, Inszenierung, aufgefahrener Bühnentechnik wäre der Produktion ein langes Leben zu wünschen.
Den “RING” für Kinder in der Bayreuther Musik- und Libretto-Fassung brachte man in der Musikalischen Komödie heraus. Erst für 2015 hat Leipzigs Opernintendant und Generalmusikdirektor Ulf Schirmer jährliche Wagner-Festtage angekündigt. Eine Idee, die aus einem der Leipziger Wagner Vereine hervorging, und da gibt’s die Festtage schon jahrelang.
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