Er wollte das Komponieren erlernen, um seinen "Leubald" mit Musik zu versehen, hat Richard Wagner selbst kund getan. 15-jährig hatte er ein Drama geschrieben, das es in sich hat. Eine Rache-Tragödie. Und es wäre plump, ihm vorzuhalten, dass sich nur Theatererlebnisse aus "Hamlet" , "König Lear" und anderen Stücken respektive ihren literarischen Quellen niedergeschlagen hätten.
Richard Wagner musste sein Pitaval aus Morden, Vergewaltigungen, Entführungen, Schlachten und Intrigen ja erst einmal entworfen und geschrieben haben. Bei der Personenvielzahl, den Vorgängen und Vorfällen sowie ihren – zumeist tödlichen Auflösungen – ein Mammutprojekt! Etwa an möglichen Spaß für die Zuschauer hat er dabei nicht denken dürfen.
Jugendsünde und späte Uraufführung
Gemein ist, ihm das Drama als “Jugendsünde” anzukreiden. Es war Richards aktuelle selbstbewusste Produktion, so sehr das Drama Schwestern und Onkel auch erschreckt haben soll. Aus heutiger Kritikersicht lässt sich leicht sagen: “Oft unfreiwillige Komik, aber auch erstaunlich kühne Gedanken des Teenagers verblüffen und lassen seine späteren Werke im Ansatz erkennen.” Man muss nicht Unterhaltungswerte klassifizieren, Selbstversuch macht klug. Auf ins Theater!
Für Richard Wagner blieb sein Stück “Leubald” Erinnerung, er wähnte das Manuskript verschollen. Seine erste Frau Minna hatte es einbehalten und nachgelassen. 1988 war es wieder aufgetaucht und gedruckt worden. Ein Jahr später brachte die Studiobühne Bayreuth die Uraufführung heraus und spielte sieben Sommer lang. Danach ging “Leubald” wieder schlafen…
Geburtstagsgeschenk
Uwe Hoppes Studiobühne Bayreuth schenkte sich und dem Publikum nun zum 200. Wagner-Geburtstag eine Neueinstudierung. “Leubald” wurde dieses Jahr zuerst im Barockgarten des Bayreuther Steingraeber-Palais gezeigt, dann in Sanspareil. Gespielt wird eine respektable Strichfassung für neun Darsteller und einen Musiker. Sommers wimmelt es von Wagner-Festspielgästen auch bei Studiobühnen-Aufführungen unter Leitung Uwe Hoppes im Bretterbuden-Hoftheater an der Klaviertheater, im Römischen Ruinentheater an der Eremitage.
Wie der Barockgarten eine Kulisse aus Natur und Kunst für sich ist, wirkt die Felsenbühne in Sanspareil auf ihre Weise. Schon der Theater-Werbung ist der Hinweis angefügt, dass es empfohlen wird, für den nächtlichen Heimweg eine Taschenlampe mitzunehmen!
Markgräfin Wilhelmines Sanspareil
Wie man Wagners Bilderwelten vom Rhein und den Nibelungen-Orten neuerdings als Ansichten und Erkenntnisse von Elbe und Elbtal südlich Dresdens sowie im Elbsandsteingebirge verortet, könnte Richard genauso zwischen Frankenwald und Fränkischer inspiriert worden sein! Wenn, ja wenn er denn hier gewesen wäre.
Markgräfin Wilhelmine hatte sich nach dem in der Eremitage schon bestehenden Römischen Theater noch 30 Kilometer von Bayreuth entfernt ihren Park “Ohnegleichen”, genannt Sanspareil, geschaffen, mit Morgenländischem Bau, mit Steigen, Treppen und Höhlen aus aufgetürmten Felsen und ab 1746 dem Felsentheater vor einer Grotte, die zum Zuschauerraum wurde. So, als hätte Markgräfin Wilhelmine Richard Wagners gekannt und seinen “Leubald” erwartet.
Des Waldes Grün schuf die lebendige Patina. 800 Meter Spaziergang vom Parkplatz bis zum Theater. Kassentisch und weißer Vorhang trennen das Felsengarten-Foyer vom Zuschauerraum. Man mag mit den Klappstühlchen zusammenrücken wie man will, es passen nur ein paar Dutzend Leute unter das Felsendach vor der Kulissenbühne.
“LLLeeeuuubaaalddd!”
Wagner wird nicht parodiert und nicht vorgeführt. Nur gekürzt. Mit einer energiegeladenen Wirtshausszene geht es los. Da fliegen Tisch, Bänke und Fäuste durch die Luft! Uwe Hoppe reduzierte das Drama auf weniger als zwei Stunden, hat es so entwirrt, dass es neun Darsteller in mehreren Rollen bewältigen können, der Regisseur als trunkener Schrambold und Ritter Roderich.
Plus einem Musiker! Sozusagen in Richards Geiste! Denn zum Schauspiel-Sprechen ertönt ein Soundteppich aus Stimmungsbildern, allen anderen Wagner-Kompositionen entlehnt. Wer vorn sitzt und dem Pianisten über die Arme schauen kann, entdeckt als Partitur eine imposante “Klebologie”. Mit dem “Tristan”-Akkord geht es los und strebt dann langsam dem Liebestod von Adelaide und Leubald entgegen… So ähnlich sieht es das Libretto des Fünfzehnjährigen Richard vor. Der Bearbeiter und Regisseur Uwe Hoppe selbst registrierte, dass im Werk Walküren- und Siegfried-Elemente anklingen, die Worte “Die Frist ist verstrichen” werden im “Fliegenden Holländer” wieder gesprochen.
Wie ein Ohrwurm frisst sich der Ruf “Leubald!” ins Gehirn, wie ihn der Geist haucht zu Beginn des Sommersonnenabend und zum nächtlichen Finale im Ruinentheater des Felsengartens Sanspareil. Und immer wieder tönt es keuchend in zähem Ringen um jeden Buchstaben “LLLeeeuuubaaalddd!” Geister verstecken sich unter Leinentuch, Ritter und Damen tragen historische Roben, man wirft sich in den Staub voreinander und übereinander her, es geht laut zu, grausam und schön, meistens gleichzeitig. Pathos! Großes Kino! Das Publikum bremst sich, um nicht nach jeder Szene zu applaudieren.
Alles “am einen Abendt”
Sie spielt nicht nur Stücke Richard Wagners, die Studiobühne Bayreuth, aber sie hat lebendigen Umgang mit seinem Werk. Wie sonst niemand, kein Super-Star-Regisseur. Aus Leben, Werk und Wirkung werden neue Stücke gebaut. Ja, ein durchaus im Sinne des Museums zum Bewahren, Erhalten, Präsentieren. Mit Schau- und Unterhaltungswert!
Hier wird Wagners Material anders verarbeitet. Den “gantzen Ring” gab es “am einen Abendt” oder “Thannreuther und die Meistersinger. Der gantze Sängerkriech am einen Abendt” ineinander verspielt. Mit Uwe Hoppe guckt man durch die Augen Richard Wagners auf Personal und Schicksalsschläge. Und Uwe Hoppe vermochte da auch Nach-Wirkungen zu verarbeiten, etwa bei den Wagner-Enkeln auf dem Dachboden des Hauses Wahnfried zur Festspielzeit anno 1940…
Seit 1982 hat Uwe Hoppe elf parodistische Adaptionen herausgebracht, teilweise in Nachauflagen. Ob, wie und wo es nächstes Jahr mit “Leubald” weitergeht, stand noch nicht fest, als wir danach fragten.
Uwe Hoppes Studiobühne meint es mit Wagnern ernst, schreibt gar den Wissenschaftlern und selbsternannten Fachleuten ins Stammbuch: “Es wird Zeit, das Stück in die Wagnerforschung einzubeziehen und einige Kapitel neu zu schreiben. Die Einflüsse Goethes und vor allem Shakespeares auf das Werk Richard Wagners und die Antizipationen auf das spätere Werk des Meisters können gar nicht hoch genug eingeschätzt werden.”
Noch Tage nach dem Theater dröhnt es in Zuschauers Kopf “LLLeeeuuubaaalddd!”, vorzugsweise in abendlichem Dämmerlicht…
Aktuelles & Archiv zu Richard Wagner weltweit – allerdings noch ohne “Leubald”!
www.richard-wagner-werkstatt.com
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