Irgendwo in Leipzig an diesem Wochenende trafen sich ungefähr 100 Leute. Sie haben was gehört, mitgekriegt, aber vor allem sind sie wahrscheinlich lose Mitglieder der Leipziger Theater-Techno-Alternativ-Szene. Irgendwie so. Auch zwei, drei Eltern sind dabei. Erwähnenswert nur deshalb, weil 'Totenfloß' nicht in der Spinnerei, in der Skala oder im Centraltheater aufgeführt wurde. Eine Inszenierung, welche illegal über die Bühne in einer verlassenen Fabrik geht.
Damit das nicht auffällt – durch Fahrräder am Eingang zum Beispiel – laufen die Menschen gemeinsam, geführt von den Theatermachern, 20 Minuten lang zu dem mysteriösen Ort. Dort angekommen, erklärt eine der gern namenlos bleibenden Initiatorinnen, dass jeder selbst verantwortlich ist, wenn er nun über den Zaun springt. Sollte die Polizei die Aufführung auflösen, haftet jeder selbst. Keinen stört das, mehr sagt sie auch nicht, ein bisschen mehr Stolz für diese mutige Inszenierung hätte sie ruhig zeigen können. So schlendern alle mehr oder weniger gespannt – viele kennen illegale Partys in Fabrikgeländen zur Genüge – durch die vielen Räume, Gänge und Außenbereiche der alten Fabrik.
Ruhig und bedächtig, aber irgendwie auch ein wenig abgeklärt schauen sich alle um und doch sind sie beeindruckt von der sich bietenden Kulisse. Die Stimmung wird perfekt getroffen, in manchen Räumen kauern Schauspieler, das apokalyptische Werk von Harald Müller hat hier ein perfektes Bühnenbild gefunden.
Nach einer geraumen Zeit, es ist schon dunkel, kommen die Zuschauer im ‘Theatersaal’ an. Sie sitzen auf provisorischen Bänken oder dem Boden. An der Seite spielt jemand mit Gasmaske Gitarre. In der Mitte des Publikums sitzt ein Junge, weiß im Gesicht und zittert vor Angst. Gleich wird er auf die Bühne gestoßen, weg von den Menschen, ausgesetzt weil er nicht mehr ‘clean’ ist. Er schwankt, immer wieder fällt er auf den Boden und erklärt mit verstaubtem nacktem Oberkörper, mit einem Helm auf dem Kopf, dass er genetisch perfekt ist, dem Vorstand gehorsam war und wieder in die Stadt möchte. Von hinten nähert sich, aus der gewaltigen, zerstörten Fabrikwelt, der Checker im hautengen Ganzkörperanzug, schlägt ihm mit einem Stock zu Boden. “Der Checker ist der Checker und checkt alles.”
Er spricht in der dritten Person von sich, “totally clean isser” und ist auf der Suche nach Xanthen, wo es “cleane Bäume gibt, cleanen Boden und cleane Bodys mit denen er cleane kleine Alpha-Einser machen will.” Sie machen sich auf den Weg und treffen unterwegs einen ’19-Hunderter’, eine alte Frau, die sich eingerichtet hat in der verseuchten Einöde. Sie will bleiben, aber der Checker bestimmt nun offensichtlich auch über sie. Er braucht die Beiden zum “Bodencheck, Fresscheck, Trinkcheck”. Als sie etwas zu Essen finden, treffen sie auf ‘Beauty’, eine junge Frau mit Warzen im Gesicht. Der Checker kann sich nicht zurückhalten, auch sie kann es nicht, “vielleicht ist es das letzte Mal”. Wild umschlungen, voll verzweifelter Hingabe zum Objekt, dass ein Lied von der längst vergangenen Liebe singt.
Nebenbei erzählt Beauty dann von ihrem Floß, der Checker ernennt sich zum Kapitän und die vier machen sich auf die Reise nach Xanthen. Die Spannung zwischen den Akteuren wird immer deutlicher, auch wenn die Schauspieler das zu sehr übergehen, der zweite Teil wirkt nicht mehr so ausgespielt, zu schnell werden alle Geschehnisse abgearbeitet. Beauty ist schwanger, der Checker freut sich schon auf den kleinen Checker, doch er wird schwer enttäuscht. Das Baby ist völlig verkrüppelt, die Situation wird brenzliger. Als der 19-Hunderter zu sabotieren beginnt und alles Essen verschwendet, geht sie mit dem Kapitän auf Landgang. Er kehrt “toxic” zurück, steht kurz vorm Tod, aus Wut und Verzweiflung bringt er den “Oldie” um. Danach will auch Itai sterben, der zitternde, ausgesetzte Junge, er spürt das es mit ihm zu Ende geht. Der Checker gibt ihm den Gnadenstoß, danach ist Schluss, es gibt keine Chance mehr bis Xanthen zu gelangen.
Klug, mutig und einfach inszeniert in und vor grandioser Kulisse ist dieses Theater. Der Zuschauer ist mittendrin in der zerstörten und verseuchten Welt. Auch wenn die letzten 30 Minuten nicht mehr ganz an den Anfang herankommen und die Schauspieler manche dramatischen Stellen zu sehr ins Lächerliche ziehen, die Konsequenz und Unaufhaltsamkeit der Macher ist beeindruckend. Es ist offensichtliche Freude am Spiel selbst, denn im Gegensatz zu den großen Theaterhäusern hat hier keiner etwas davon. Außer vielleicht Anerkennung und Stress mit der Polizei.
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