Sebastian Göschel nennt sich gern "Fanbeauftragter" beim LOFFT, dem "Produktionszentrum und der Spielstätte für Freie Darstellende Kunst in Leipzig." International glänzt das Haus durch Innovation, aber eben auch durch Ansätze im Theaterschaffen, die Diskussionen befördern, die dann wiederum sich in der gesellschaftlichen Entwicklung niederschlagen - bestenfalls. Denn das kann Theater, abseits schenkelklopfender Bauernstücke und Comedy-Häuser-Zum-Bersten-Bringer. Derzeit liegt die Tanzoffensive im Köcher. Tanner traf Göschel zum Plaudern - über's Behindert-Sein und Behindert-Werden in Leipzig.
Vom 1.-9. Juni findet in Eurem Hause die siebte Tanzoffensive statt. Thema, ja Zentrum dieses Jahr ist der Begriff: mixed-abled. Was soll denn das sein? Und mit wem gestaltet Ihr das Festival?
Nun ja – für den englischen Begriff mixed-abled gibt es keine gute deutsche Entsprechung. Es handelt sich hier um eine künstlerische Entwicklung in den darstellenden Künsten mit behinderten und nicht behinderten Menschen zu arbeiten. Eine angenehme deutsche Entsprechung wäre vielleicht von Menschen mit verschiedenen Fähigkeiten zu sprechen. Freilich gibt es das in den Behindertenwerkstätten und sozialtherapeutischen Einrichtungen schon länger, wir haben uns aber dafür entschieden, diesen Ansatz nicht zu verfolgen. Wir sind ja ein Theater und machen Kunst. Und da gibt es weltweit atemberaubende Weiterentwicklungen und einen hohen Grad an Professionalisierung – und diese Künstler haben wir uns eingeladen. Auf der Bühne stehen also weitestgehend Profis. Zum Beispiel bei Surnature – einem Stück mit einer Butoh-Tänzerin und einem spastisch gelähmten Mann, der hauptberuflich Performer ist.
Andererseits haben wir auch Stücke, die das Thema Behinderung aufgreifen – etwa Lucia Glass, die in The Sound of it vermittelt, wie es sein könnte, blind zu sein. Ein Tanzstück, das komplett im Dunkeln stattfindet. Oder bei Joshua Montens Stück About strangs lands and people, das mit professionellen Tänzern eine Tanzsprache aus der Gebärdensprache heraus entwickelt. Da entstehen Momente, in denen Hörende rein gar nichts verstehen und anders herum.
Außerdem arbeiten wir schon seit einigen Jahren mit dem Tanzlabor Leipzig zusammen, das ja letztes Jahr den Leipziger Bewegungskunstpreis gewonnen hat und sich enorm weiter entwickelt hat. Ihr Stück Heimat +3 eröffnet als Premiere das Festival. Ein weiterer Partner ist die Kinobar Prager Frühling, mit der wir das festivalbegleitende Filmprogramm gestalten. Neben unseren öffentlichen Förderern sind wir der Firma culturtraeger sehr verbunden, die das Festival schon seit Jahren intensiv mit begleitet und auch dieses Jahr ihren Anteil hat.
Kannst Du bitte dazu auch etwas näher ausführen, um was es sich bei der derzeit in allen Munden zu findenden Idee der Inklusion handelt?
Ein Wald- und Wiesenwort, tatsächlich! Und jeder meint was anderes damit. Und es ist auch jedes mal neu zu verhandeln! Wir versuchen darunter ein maximal gleichberechtigtes Miteinander zu verstehen, die Teilhabe aller Menschen entsprechend ihrer unterschiedlichen Fähigkeiten und Einschränkungen. Wir wollen einen Ort der Begegnungen und der Entdeckungen schaffen. Unsere Utopie ist ein selbstverständliches und positives Miteinander, ein alltägliches Zusammentreffen von verschiedenen Fähigkeiten, Möglichkeiten und Wünschen im einmaligen Rahmen eines Festivals. Das ist wie gesagt eine Utopie und auch ein Versuch. Da wir das aber nicht einfach so da stehen lassen wollen, haben wir festivalbegleitend einen Kongresstag organisiert, der für jedermann zugänglich ist und auf dem in verschiedenen Panels Praktiker, Künstler und Wissenschaftler miteinander ins Gespräch kommen. Dabei werden sicherlich einige neue Bedeutungs-Facetten des Wortes Inklusion herauskommen.
Im Vorgespräch hast Du von Schwierigkeiten berichtet im Vorfeld der Tanzoffensive – zum Beispiel – wieder Erwarten – bei der Unterbringung der Protagonist_innen – das musst Du einfach nochmal erzählen, das war ja unglaublich und erschreckend genug in einer Stadt, wie dieser, die sich den Tourismus und das Miteinander so auf die Fahnen schreibt.
Ja, das war teilweise wirklich erschreckend. Nicht so sehr die wenigen Idioten, die das tatsächlich ablehnen, sondern viel mehr die Leute, die sich dessen gar nicht bewusst sind. Wir haben bestimmt 15 Kneipen im Leipziger Westen angesprochen – eine einzige barrierefreie haben wir gefunden. Wir haben mit mehr als 15 Hotels telefoniert, um unsere Gäste unterzubringen – nur bei zweien waren beste Bedingungen gegeben. Auch die viel besungenen alten Fabrikgebäude, in denen sich die Leipziger Kulturhochburgen entwickeln, sind nur selten barrierefrei. Sie würden das sicherlich gern, sind es aber de facto nicht! Dass Leipzig ein Problem mit Probenräumen hat, ist ein alter Hut – aber barrierefreie Proberäume zu finden, ist fast unmöglich. Zumindest, wenn man seinen Künstlern nicht zumuten will, mit Lastenaufzügen zu fahren oder auf der Wiese auf Toilette zu gehen.
Was sind denn die absoluten Highlights des Festes? Also, ganz persönlich aus Deiner Sicht, lieber Sebastian.
Ich habe sehr viel Lust auf Changeable Cohesion der DIN A13 Tanzcompany. Sie sind die Pioniere des mixed-abled im deutschsprachigen Raum und Gerda König eine faszinierende Künstlerin. DIN A13 produziert inzwischen international, sie gehen da hin, wo es weh tut. Das Stück, dass sie mit ins LOFFT bringen ist in Sri Lanka entstanden – ein hochintensives Stück mit super Tänzern, denen eben einige Gliedmaßen fehlen. Sie erzählen die Geschichten ihres Lebens und dass sind häufig Geschichten des Krieges. Hier wird Behinderung plötzlich politisch. Und es geht um einen Ansatz, wie man Geschichte fassbar machen kann, um den Moment, in dem sich die großen Weltenläufe im Individuum niederschlagen.
Festivals sollten heutzutage, wenn’s gut durchdacht und vorbereitet ist, eine gewisse Nachhaltigkeit innehaben. Was waren da Eure Ideen und Gedanken? Was haben die unterschiedlichen Gruppen für einen Vorteil bei Euch ihre Arbeiten zu präsentieren?
Von der langjährigen Zusammenarbeit mit dem Tanzlabor Leipzig hatte ich ja schon erzählt. Wir geben da guten Gewissens einen Vertrauensvorschuss und hoffen die Company damit noch weiter zu pushen. Aber in Sachen Nachhaltigkeit geht es noch um etwas anderes. Wir versuchen ja in dieser Woche barrierefrei Theater zu machen: Das heißt nicht nur, eine Rampe zu haben, sondern auch eine induktive Höranlage, Gebärdendolmetscher, ein gut ausgeschildertes Foyer und gut geschulte Mitarbeiter. Nur so kann die gewünschte lockere, völlig normale Situation entstehen. Das bringt einen unglaublichen Aufwand mit sich, vor allem, weil wir versuchen, die Kunst nicht an die Strukturen anzupassen. Wir wollen den hohen Standard der Tanzoffensive auf der Bühne halten und dabei so weit wie möglich barrierefrei sein. Die Teilhabe an Kultur und Kunst würde damit zu einem zu einem Lifestyle, der überkommene Strukturen der Unterscheidung thematisiert, in ein neues Licht rückt – und nicht zuletzt Spaß macht!
Wie lief’s mit der Förderung? Versteht die Gesellschaft was Ihr da macht?
Ach, die Gesellschaft versteht das ganz gut, aber nicht jeder Förderer und auch nicht jeder Player im Behindertensektor. Das ist ja auch erst mal verständlich: Da kommt ein Theater und sagt wir machen Theater für Behinderte und mit Behinderten. Alle anderen hätten wir aber auch gern mit dabei – auf Augenhöhe wenn’s geht und unter Beibehaltung künstlerischer Standards! Da greift man ja erst mal von außen in ein sich selbst bedingendes, historisch gewachsenes System ein. Viele potentielle Förderer verhalten sich so, als sei die Inklusion bereits vollzogen. Das ist sie aber ganz offensichtlich nicht. Und man will keine Mittel zur Verfügung stellen, die für die Inklusion permanent und immer wieder nötig wären.
Aber es gibt zum Glück auch andere Beispiele – neben den langjährigen Förderern der Tanzoffensive wie der Kulturstiftung des Freistaates Sachsen oder dem Kulturamt der Stadt Leipzig, haben auch die Goethe Stiftung oder das nationale performance netz gefördert. Außerdem gibt es auch im Bereich Behinderung starke Neuentwicklungen, wie ungehindert.com – einer Lifestyle-Plattform für Behinderung, es gibt junge Modemacher für Rollifahrer, DJanes und überhaupt viele gute Typen. Die und das Publikum haben uns Mut gemacht und bestätigt, in dem was wir tun. Und vielleicht so viel: Ich bin mir sicher – das wird eine richtig gute, brisante, relevante und aufregende Tanzoffensive 2013. Vor allem Dank unserer Künstler und unseres Publikums!
Euch ein grandioses bereicherndes und berührendes Fest. Und volle Hallen.
Danke!
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