Ein paar Leipziger Taxis tragen die Aufschrift "Ring des Nibelungen", dazu grafisch das Viertelstück eines Rings. Samstag ist in Leipzigs Opernhaus Premiere, Ulf Schirmer dirigiert, Rosamunde Gilmore inszeniert das "Rheingold", drei weitere RING-Abende wird sie um Monate versetzt folgen lassen. Zurück auf Anfang, das Spiel beginnt: Lieblosigkeit lässt Macht explodieren.

Am Tag der Orchesterhauptprobe stand eine Todesnachricht in der Zeitung, Heribert Steinbach ist vor Wochen gestorben. Wusste man, dass er seit zehn Jahren Leipziger war? Einst Wagner-Tenor, brillanter Tristan auch in Leipzig zur DDR-Zeit, als Gast aus der BRD. Auf dem Gohliser Friedhof wird er nun beigesetzt.

Weltenschöpfer

Am Tag der Orchesterhauptprobe in der Oper zeigen mittags im Museum der bildenden Künste Künstlerin Prof. Rosalie und Direktor Hans-Werner Schmidt die Ausstellungs-Baustelle für “Weltenschöpfer”. Gemälde und Grafiken von Max Klinger und anderen Künstlern aus der Sammlung des Hauses stehen noch auf Schaumgummipolstern am Boden, an die Wand kommen sie zur Illustration von Max Klingers Karriere und der Lebenspfade von Karl May, wie auch des beschwerlichen Aufstiegs Richard Wagners. Ab 15. Mai ist diese Welt zu besichtigen.

Kunst-Schöpferin im Augenblick ist Rosalie mit Monteuren und Programmierern. Sie war die erste Frau, die in Bayreuth Bühnenbild, Kostüme und Lichtgestaltung für einen RING gemacht hat, inszeniert 1994 von Alfred Kirchner und dirigiert von James Levine. Vom damals sogenannten “Designer-Ring” gibt es keine DVD-Aufzeichnungen.

Regenbogen “gerade noch einmal neu gemacht”

Nein, Rosalie verantwortet jetzt im Museum nicht das Ausstellungs-Outfit. Sie schafft drei Räume, thematisch Klinger, May und Wagner zugeordnet. Einen Kunst-Wald mit Schaumstoff-Laub und Irrlichtern bekommt der Maler, Karl May hat einen begehbaren Canyon mit pulsierenden Wänden und Richard Wagners Leitmotive samt stilisierter Helden-Körper-Plastiken werden in Lichtwellen umgesetzt. Der Regenbogen “wurde gerade noch einmal neu gemacht, der ist noch nicht im Computer”, grenzt Rosalie ihre Schöpfung ein, “Sie sehen noch den alten!”.

Rosalie funktionierte früher oft Normteile zu neuen Gebrauchswerten um: “Schwerter zu Pflugscharen. Eimer zu Regenbogen … Eimerlei”, schrieb man 1996 in einem Katalog. Grüne Schirme zu Blätterdächern. Granulat aus geschredderten CDs zu Blumengärten. Seit 1991 arbeitete sie in Leipzig für Ballettabende von Uwe Scholz und das Museum für angewandte Kunst. Jetzt ist alles dem Medium Licht untergeordnet. “Licht”, sagt die Professorin, “ist das Medium dieses Jahrhunderts.”

Wie weit voraus war da der “Laser-Ring” von Harry Kupfer in Bayreuth – und wie weit zurück ebenda der neben Stück und Komposition herlaufende Stummfilm in Christoph Schlingensiefs “Parsifal”, dem der “Holländer” in Leipzig nacheiferte, den man schnell wieder aus dem Verkehr zog.

Zeiten und RINGE

In Leipzig gab es zu Wagners Lebzeiten nach Bayreuth den ersten kompletten RING. In den 1970er Jahren hat ihn Joachim Herz herausgebracht, aber ein Theaterbrand zerstörte die Kulissen. Wie Musikdramaturg Dr. Dietrich Wolf später erzählte, scheiterten Wiederaufnahmeversuche auch daran, dass man seitens der DDR den australischen Siegfried-Sänger Jon Weaving “nicht mehr fand”. Er starb 2011 in Schweden, berichtet uns heute das Internet.
Mit den Gedenktafeln und Großplastiken tat man sich schwer in Richards Geburtsort. Doch mindestens 50 Jahre lässt sich gut zurückverfolgen, wie Richard Wagner in Leipzig ein lebendiges Denkmal in Form von Aufführungsgeschichte hat. In der Nachkriegszeit brachte man auch im Haus Dreilinden, der heutigen Musikalischen Komödie, Wagner auf die Bühne.

Mit den “Meistersingern von Nürnberg” wurde 1960 das neue Opernhaus auf dem Augustusplatz, eingeweiht mit Zuschauerraumdimensionen von Bayreuther Festspielhausformat, wenn auch die Platz-Anzahl inzwischen geringer ist. Ende der 60er hat man als Kellertheater eine kleine Spielstätte geschaffen, wie es sie erst im nächsten Jahrhundert in Bayreuth geben wird, um “Wagner für Kinder” zu spielen.

Ein Star hat seine Fans…

Wenn sich um 1980 und später der Freundeskreis Theater des Kulturbundes traf, kamen oft gut 100 Leute zusammen, daneben gab es einen Theaterjugendklub, als Diskussionsforum nicht als Spiel-Ensemble. Nur hieß das, was damals Martina Aurich und Dr. Heidi Zippel begonnen haben, nicht “Education” sondern “Öffentlichkeitsarbeit”. Prof. Werner Wolf konnte 1985 mit einen Freundeskreis Richard Wagner schon Spezialisten versammeln, von denen bald einige wenige auch schon West-Theater-Erfahrungen berichteten. Beim Freundskreis Bertolt Brecht sprach Uwe Wand über Opernregie und es gab dort auch “Nietzsche und Brecht”, in Kulturbund-Kooperation mit der Karl-Marx-Universität…

Kammersängerin Sigrid Kehl war die absolute Leipziger Wagner-Sängerin, Klaus König, Konrad Rupf waren im Ensemble. Günter Lohses “Meistersinger”-Inszenierung war dann die Premiere zum 20. Opernhausgeburtstag.

Wagner-Werke liefen lange im Repertoire des Hauses, in dem gut und gerne sechs bis acht Vorstellungen je Woche über die große Bühne gingen, der “Holländer” und beim “Parsifal” kam ein Übermenschen-Götzenbild auf die sonst historisierende Rampe, wie es das politische DDR-Kabarett nicht besser zwischen den Zeilen hätte verklausulieren können. Uwe Wand brachte “Tristan und Isolde” heraus, Kurt Masur dirigierte die Premiere.

Kaum dass die DDR demokratisch abgewählt wurde und der Kapitalismus in Leipzig Fuß gefasst hatte, tauchte im “Lohengrin”-Bühnenbild die Keksrolle auf, ein Leipziger Synonym für die Stahl-Glas-Konstruktionen der neuesten Geschäftsbauten.

In Intendant Udo Zimmermanns “Oper im Aufwind” choreographierte Uwe Scholz auch Richard Wagner und es kam ein großes Tableau von Regietheater-Handschriften nach Leipzig.
2013: “Richard ist Leipziger”

Es soll auch die Idee gegeben haben, auf dem Leipziger Marktplatz Hunderte Wagner-Plastiken aufzustellen, so wie einst in Bayreuth, Dutzende von Wagner-Hunden aus Kunststoff standen, und in Wittenberg vom gleichen Künstler, Prof. Ottmar Hörl, in Serie aufgestellte Luther-Statuen installiert waren. Es wurde nichts draus. Und die Schaufenster der Leipziger Innenstadtläden haben jetzt selten den kleinen, feinen, stolzen “Herrgottswinkel”, wie zur Festspielzeit im Einzelhandel in der Bayreuther City üblich.

In den Welten von Marketing und anderen Verlautbarungen mischt sich nun der 200. Geburtstag Richard Wagner mit Völkerschlachtsgedenken, Völkerschlachtdenkmal, SPD-Gründungsfeier und anderem. Wer gedenken will, muss an viele denken. In der DDR von 1983, als man plötzlich verstärkt in Kunst und Geschichte dem “Erbe” nachspürte, gab es im Karl-Marx-Jahr die Luther-Ehrung und das Wagner-Gedenken.

Wagner in Museen und Vereinen

Drei Leipziger Vereine und noch mehr Initiativen wetteifern neben den Institutionen von Kunst und Wissenschaft um Wagner-Publikum. Alles wird erforscht und öffentlich diskutiert: auch “Wagner und die Religion” oder ob Wagner für Leipzig “als Problemfall oder Aushängeschild” anzusehen sei. Auf die Frage muss man aber erst mal kommen.

In Pirna-Graupa ist das Museum “Wagner in Sachsen” schon Besuchermagnet geworden. Im Dresdner Stadtmuseum wagnert es, in Leipzigs Nikolaischule will man Richards Leipziger Kindheit und Jugendzeiten dokumentieren. Auch dann noch, wenn die momentane Sonderschau im Stadtgeschichtlichen Museum wieder abgebaut ist. Im Mai soll das Richard-Wagner-Max-Klinger-Norbert-Balkenhol-Denkmal fertig montiert sein. Auch das ist eine Vereins-Sache.

Wagner-Theater

In Dessau läuft der RING von der “Götterdämmerung” an rückwärts. Halle hat einen kompletten RING , der in der Moderne angesiedelt ist, mit einprägsamen Symbolen, wie einer “Wand des Todes” mit nummerierten Asservaten-Fächern. Und mit Attributen wie dem Rotlichtmilieu, in dem Erda tätig ist, oder der Spielhalle der Menschenkinder.

Leipzig hat sich mit dem RING Zeit gelassen. Zeit lassen müssen, denn der Motor fehlte. Udo Zimmermann hatte einst kühn verkündet, Steven Spielberg wäre sein Traum als Regisseur….

Als der Deutschlandfunk dieser Tage in einer “Langen Nacht der DJ-Kultur” das Werden und Welken von Techno und seinen Gurus dokumentierte, kam keiner darauf, dass der Umgang mit “Loops” sozusagen “vor-postmoderne” Quellen und Wurzeln haben könnte. Man bestaunte ausgiebig die ständigen Wiederholungen von Gleichem, das sich mit wechselnden Schwerpunkten in den Vordergrund drängt. Es grüßen Richard Wagner und die von ihm noch nicht als solche bezeichneten Leitmotive.

“Ein düstrer Tag dämmert den Göttern” (O-Ton)

Regisseurin Rosamunde Gilmore hat angekündigt, das “Rheingold” gegen Ende des 19. Jahrhunderts anzusiedeln und sich dann bis in die Gegenwart zu bewegen.

In den Jahren nach 2010 gedenkt man in Europa nicht nur an Kriegerdenkmälern den Opfern, sondern an einer Friedens-Route den einstigen Friedensschlüssen zwischen Feinden. 300 Urkunden sind belegt. Auch in der Leipziger Gegend, in Altranstädt und Wermsdorf beispielsweise. Vereine kümmern sich dort um internationale Kontakte und Blumen an den Gräbern vor Ort.

In Leipzig-Liebertwolkwitz werden im Herbst Hunderte Einwohner ein Reenactment-Dorf den zivilen Alltag im Oktober 1813 nachleben. Sind das die modernen Walküren zur Seeleneinsammlung auf dem Schlachtfeld?

Zum Aufmarsch uniformierter Armeen soll es Pulverdampf geben – bis schlagartig die Gefechte beendet – und vom Läuten aller Kirchenglocken im Leipziger Land unterbrochen werden. So der Plan des Reenactments, fern der kunstvollen Opernbühne.

Dämmert hier etwas den Göttern?

Mit der “Rheingold”-Premiere wird sich Samstagabend schon mal das “Rheingold”-Rätsel um den neuen Leipziger RING lösen, und neue Rätsel werden sich auftun: bis zur Götterdämmerung. “Es soll eine Produktion werden,” hatte Intendant und Generalmusikdirektor Ulf Schirmer vor Festlegung der Personalien und Daten avisiert, “die sich dann gut und gern 15 Jahre im Repertoire halten kann.”

Ist Richard Wagner ein Leipziger? – Ja, ja! – Und außerdem ist im Mitteldeutschen Verlag gerade ein Buch erschienen “Der Rhein ist die Elbe. Richard Wagners wahre Welten”.

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